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Melting Pot

Teil V: Kapitel 25 - 28

Teil I: Kapitel 1 - 11
Teil II: Kapitel 12 - 16
Teil III: Kapitel 17- 22
Teil IV: Kapitel 23- 24
Teil VI: Kapitel 29 - ??


Inhalt

Kapitel 25: Burning Times
Kapitel 26: Off The Leash
Kapitel 27: Parachronic Nemesis
Kapitel 28: Just Deserts


25. Burning Times

(Trier, Deutschland, 1588)

Es war dunkel und über uns standen die Sterne. Metall klonkte, und durch die kalte, feuchte Nachtluft einer Flußniederung sickerte der warme Geruch von Pferden, unseren Pferden. Dann schrie jemand, "Hexen! Hexerei!!" und rannte davon. Unsere Augen gewöhnten sich an das Dunkel. Alex und Amulett waren weg, Malcolm, Sally, Shaya , Shawn und Shabby waren da. Keine Spur von George und Esmeralda. Ich sah Shaya fragend an. Sie schaute in den Himmel und sagte, "1588". Ich tat das gleiche und sagte, "Mitteleuropa, Deutschland, Westen, Mosel -- Katscha!" denn die Erinnerung überrollte mich und ich sah, daß wir von Mauern umgeben waren, auf einem Pfad zwischen Feldern, Kirchtürme hoben sich von der Nacht ab, und ich bekam keine Luft, mein Blut pochte in meinen Ohren, und der Wind roch nach Brand.

Ich schickte die Wölfe kundschaften, und sie fanden einen Weg aus der Stadt hinaus, über einen stufenweise ansteigenden Hang, der Teil der Stadtmauer war, einen schlammigen Pfad entlang und in die Weinberge. Es begann in dicken, feuchten Flocken zu schneien. Wir entkamen aus der Stadt, und erst als wir zwei Hügel weiter in einem verfallenen Bauernhaus untergekommen waren und keine Verfolger zu hören, atmete ich wieder ruhiger. Aber ich schlief nicht in der Nacht, sondern stand alleine Wache, der Ruf in meinen Ohren: "Hexen! Hexerei!"

Im Morgengrauen sahen wir die Verfolger, aber wir hatten unsere Spuren verwischt und sie fanden uns nicht.

Mein Instinkt schrie mich an, davonzulaufen, bis in eine sichere Gegend, wo die Leute anständiges Kantonesisch sprächen. Der Gedanke, daß die anderen ja da waren, daß ich nicht allein war, daß baumhohe Kampfroboter vor uns gefallen waren wie Fichten im Sturm, daß ich Feuer befehlen konnte, zu Eis zu werden -- nichts davon tat so viel, meine Selbstbeherrschung aufrecht zu erhalten wie der Gedanke, daß ich ein sehr schnelles Pferd hatte.

Wind pfiff über die Hänge. Wolfspuren führten bis an die Mauern des Hofes. Es mußte einen Grund geben, weswegen wir hier waren, und der Grund mußte, Göttin steh mir bei, da unten in dieser Stadt liegen, die um die Ruinen der Antike kauerte. "Trier", sagte Sally, die ihre Datenbank konsultiert hatte. Ich zog mein Schwert und fletschte die Zähne. Wenn ich schon nicht weglaufen konnte, konnte ich vielleicht wenigstens etwas umbringen.

Wir trugen Harnische und Eisenhüte, die Kleidung von Söldnern. Wie passend, waren wir doch eben noch in die Kleider und Rüstungen der Söldnergilde des Epsilons gekleidet gewesen, dreitausend Jahre entfernt. Ich nahm mir eine Schüssel mit Wasser und ein Messer und gab mir eine Gestalt eines siebzehnjährigen Knaben. Sally und Shaya wollten ebenfalls eine Umwandlung, was mir Gelegenheit gab, das Schreien und Heulen in meinem Geist und den entsetzlichen Geruch nach verbranntem Fleisch und Haar für einen Moment zu ignorieren. Wir sortierten unsere Sprachen. Shaya rief einen Geist, der sich bereiterklärte, uns ein paar Sprachen beizubringen. Ich ließ ihn das Deutsch meiner Erinnerungen auffrischen. Wir beschlossen, Pilger auf dem Weg nach Santiago zu sein, Shawn und ich Spanier, Shabby Andorraner, Sally Pole, Malcolm ein Tartar. Unsere Schwerter und unsere eigenen Schußwaffen waren unverändert, meine Peacemaker jetzt eine Muskete, unsere Taschen mit Gold gefüllt. So ritten wir durch ein schwarzes Tor in die Stadt ein.

***

Die Stadt war ein ärmliches Kaff wo die Ruinen in besserem Zustand waren als die Häuser. Ausgehend vom Dom waberte ein Geruch von Heiligkeit durch die Straßen und mischte sich mit dem Geruch einer offenen Kloake. Sally übernahm das Reden -- sie gab einen äußerst gutaussehenden Kerl ab -- und fand uns ein Gasthaus und einen Stall für die Pferde, Bier und Wein und Mittagessen und Tratsch. Ich sagte mir in Gedanken klassische Country-Songs auf, während sie mit dem Schankmädchen über die Hexen plauderte und darüber, daß der Bischof Söldner anheuerte, seine Hexenjäger zu schützen. I fell into a burning ring of fire... Katscha! Oh Atlanta, gotta get back to you.

Die anderen gingen in die Kirche. Ich bewachte die Rüstungen. Sie kamen wieder. Ich sah mir die Stadt an. Die Söldnerklamotten verschafften mir Platz um mich herum. Ich prägte mir alle möglichen Fluchtwege ein. Der Fluß sah gut aus.

Plötzlich hörte ich Wolfsgeheul. Um mich herum schauderten die Leute, wichen zurück und flüchteten sich in ihre Häuser. Ich erkannte Malcolms Stimme vom anderen Ufer des Flusses. Ein anderer Garou antwortete, eine Helena-Crosses-the-Alps, sehr höflich. Wenn dieses Mal jemand einen Rettungflieger brauchte, dann wohl nicht Malcolm. Vielleicht ich, wenn ich mich nicht etwas zusammennahm.

***

Zurück im Gasthaus erzählte ein etwas feuchter Malcolm, daß ein Rudel Black Furies vor der Stadt seien: Die Hexenjäger hätten eine der ihren gefangen. Ich merkte, daß meine Hand nach dem Schwert tastete, das nicht da war -- meine Beretta, immerhin, war ein beruhigendes kaltes Gewicht. Sie wollten sie baldestmöglich befreien. Er hätte versprochen, ihnen zu helfen. Gut, sagte ich.

Sally und Shawn hatten mit dem Bischof gesprochen, der bereit war, die Wachunde seiner Jäger gut zu bezahlen. Shaya war im Umbra gewesen und hatte einen dunklen Fleck an dem alten Amphittheater entdeckt, wo wir in der vorigen Nacht erschienen waren, ein flammendes Leuchtfeuer im Dom, und eine starke Linienkreuzung unter einem Turm aus dem 12. Jahrhundert, der erstaunlich unauffällig mitten in der Stadt stand. Die Art der Befestigung, vom Umbra aus gesehen, trug die Handschrift des Hermetischen Ordens. Sie erzählte außerdem, die Leute seien besorgt, weil es schon April wäre und der Frühling nicht kommen wollte. Der Wind habe ihr erzählt, das Eis kämpfe mit dem Frühling um die Herrschaft. Sally nickte wissend. "Kleine Eiszeit", sagte sie, "16. und 17. Jahrhundert." Das hätten wir damals wissen sollen, und was hätte es uns genützt? Klima ist Schicksal, um so mehr, wenn die Menschen in ihrem Hochmut und ihrem Vertrauen auf einen fernen Gott vergessen haben, das Land zu respektieren. Hunger und Krankheit, Mißtrauen und Haß -- just as you sow you shall reap. Wir brauchten Informationen und schnell. Ich bot an, mit den Hermetikern zu sprechen. Die waren schon lange in der Stadt, die würden wohl wissen, wo die Hexenjäger ihre Verliese hatten. Shaya wollte mitkommen. Hermetiker sind nicht gerade meine Lieblingstradition, aber jetzt dankte ich meinen Ahnen oder ihren Geistern für die Grand Convocation, die die Rivalität unserer Traditionen zurücktreten ließ, und für Juniper, die darauf bestand, daß ich die Geschichte der abendländischen Magie paukte.

Mit Shabbys Hilfe brachte ich eine Vorstellung und eine Bitte um ein Gespräch in altgriechisch zu Papier, und schnappte mir eine Taube, um die Nachricht zuzustellen. Es klappte, wie etwas einfacheres vielleicht auch geklappt hätte (aber vielleicht auch nicht) und wir wurden hereingebeten.

Uns empfing eine Frau, die sich als "Petra von Bern filia Xavier Steward, Order of Hermes, House Flambeau" vorstellte. Sie war freundlich, wenn auch nicht besonders angetan davon, daß zwei Leute, die das Geheimnis des Turms kannten, sich in eine Situation zu begeben planten, wo die Hexenjäger sie erwischen konnten. Ich durfte gar nicht anfangen, darüber nachzudenken, wie wenig ich von unseren Plänen angetan war. Schließlich sagte sie, sie würde uns die Infos geben, die wir brauchten, wenn wir dafür erlaubten, daß ein Zauber auf uns gelegt würde, der es uns unmöglich machen würde, über diesen Turm zu reden, wenn es wichtig sei. Ich ließ mir die Formel geben und studierte sie. Interessant, und sehr elegante Arbeit. Aber wenn es Ötzi mit dem Faustkeil gewesen wäre, ich hatte nicht wirklich eine Wahl. In keiner Hinsicht.

***

Abends im Gasthaus flirtete Sally mit der Bedienung, und eine Katze strich um meine Beine. Ich faßte hinunter, um sie hochzuheben, und sah Cat. Schwarze Katze, dachte ich, nicht gut. Wir verdrückten uns in den Stall, und er ließ sich widerwillig breitschlagen, sich in einen Tabby verwandeln zu lassen. Vielleicht half es, daß ich ihm dickeres Winterfell in Aussicht stellte, während aus dem Himmel wieder einzelne Schneeflocken fielen. Es war der Abend des 28. April.

***

Wir traten am folgenden Morgen in den Dienst des Bischofs. Ich weiß nicht, wie ich durch den Tag kam. Ich bin überrascht genug, daß ich überhaupt durch den Tag kam. Unsere neuen Quartiere waren in einer Anlage im Dombezirk, ein zweistöckiges Karree um einen Innenhof herum, mit einem befestigten Eingangsturm. Die Zellen waren im Keller. Ich hatte vor, einen Plan zu machen, aber es gelang mir nicht.

Am Nachmittag verdrückten wir uns wieder in die Kneipe. Ich verhexte eine Ratte und ließ sie in dem Karreegebäude los, um festzustellen, ob jemand die Magie bemerken würden. Das war vielleicht nicht superschlau, aber mein Gehirn bestand aus Porridge. Dabei hexte ich auch gleich noch einen ausgesprochen neugierigen Raben K.O., der mir meine Laborratte klauen wollte. Cat berichtete später, der Rabe sei eine Art Kundschafter einer Vogelfrau (oder so) gewesen, die sich selber als "Wächter" bezeichnet hätte. Anscheinend konnte man hier keine tote Ratte umherschleudern, ohne ein übernatürliches Wesen zu treffen, das erklärte vielleicht auch, warum die Leute so nervös waren.

Die anderen hatten besser aufgepaßt als ich und konnten berichten, daß der Bischof die Sünde der Habsucht pflegte, der Franziskaner Jakob große Unterstüzung beim Volk hatte und mit der ganzen Lage nicht glücklich war, und Gottfried, der Dominikaner, ein selbstgerechter Scharfmacher war. Den Bischof zu töten, verlockend wie es war, würde also wohl nicht wirklich helfen. Bestechen vielleicht?

Als es dunkel geworden war, ging ich frische Luft schnappen (in der Dunkelheit waren meine Nerven etwas besser), und sah die Pferde von George und Esmeralda vor dem Dom.

Unsere Pläne, Andromeda zu befreien, gediehen nicht richtig. Wie mächtig waren die Schutzrunen, die der Bischof verwendete, um seine Kerker zu sichern? In wie schlechem Zustand waren die Gefangenen? Würde Magie überhaupt funktionieren, und wenn ja, würde sie hundert fanatische Wachen auf uns herabbeschwören? Wie kam man aus der Stadt raus? Ich wußte, daß diese Leute gefährlich waren, niemand besser, aber ich sah nicht, WIE sie gefährlich waren, und das machte mich nervöser als eine Festung voller Unterirdischer.

***

George übertagte in der Krypta des Doms. Esmeralda nahm einen Job als Dienstmädchen im bischöflichen Palast an. Wir lungerten herum. Meine Ratte war noch auf freiem Fuß.

Am Abend des Beltaine-Festes entschlossen wir uns endlich, Nägel mit Köpfen zu machen. Erstens lief unsere Zeit mit den Furies ab, und zweitens war es ein glückverheißendes Datum, Schneetreiben oder nicht. George, Malcolm und ich fanden einen alten Tunnel, der aus der Stadt hinausführte. Malcolm verabredete mit den Furies, daß wir dort die befreiten Gefangenen -- wir würden sie alle befreien, auf etwas anderes hätte ich mich gar nicht eingelassen -- an sie übergeben würden, und verlangte als unseren Preis, daß sie auch die Normalos in Sicherheit bringen sollten. Esmeralda organisierte Mäntel, Kutten, Decken, einen Schlauch mit billigem Wein und zwei Becher.

Die Befreiung selber erwies sich als Kinderspiel. Es gab keine Wachen an den Kerkern, Sally und Malcolm befreiten die Gefangenen, ich sorgte dafür, daß es keinen Lärm gab und schickte die Wachen schlafen, Shawn und Cat standen Schmiere, George und Esmeralda schafften die Leute aus der Stadt, und die Furies übernahmen es von dort.

***

Das Geschrei am nächsten Morgen war wie erwartet. Niemand glaubte, daß die Wachen beim Saufen eingeschlafen waren, alle schrieen "Hexerei". Ich mußte an Andrea denken, die wenigstens erst ausgerastet war, wenn sie wußte, daß Magie benutzt worden war, und nicht umgekehrt.

Zu meinem Glück suchte sich eine bewaffnete Räuberbande diesen ersten Mai aus, um in Sichtweite der Stadt vorbeizureiten, und nach etwas Zuständigkeitsgekakel wurden wir und etliche andere Söldner in Kirchendiensten ausgeschickt, um die Bandidos zu massakrieren. Zum ersten Mal, seit wir in dieser trostlosen Zeit angekommen waren, fühlte ich mich besser. Ich hoffe, das bleibt eine Ausnahmeerscheinung, dachte ich auf dem Rückweg in die Stadt, der Gedanke kalt und hart wie Eisen gegen das helle, flackernde Vergnügen am Kampf, an der Freiheit von den Mauern. Ich will nicht jemand sein, der zur Entspannung Leute niedermetzelt.

Zurück in der Stadt hatte der nervöse Trübsinn mich wieder, aber die Kampfeslust kribbelte mir noch in den Fingern, und das blieb den ganzen Tag so, während wir die entsprungenen Hexen jagten und der Bischof mehr Leute verhaften ließ, damit die teuren Kerker nicht ungenutzt rumstanden. Immerhin schaffte ich es, niemanden zu erschlagen. Cat lamentierte, wenn er noch eine schwarze Katze wäre, könnte er Bruder Gottfried so richtig unmöglich machen, und ging statt dessen, um Jakob zu bearbeiten.

Und ich dachte, jedes bißchen Übernatürliches hier, jedes bißchen bad vibrations und schlechtes Karma erhöht den Druck im Kessel, und wir sollten mal damit anfangen, uns die realen finsteren Punkte dieser Stadt vorzunehmen, anstatt wahllos Kinder und alte Frauen zu verhaften. Das macht uns zwar vielleicht nicht besser als Gottfried, aber wenigstens effektiver. Also schlug ich am Abend, als wir wieder in der Kneipe saßen, vor, daß wir uns mal mit diesem schwarzen Fleck im Amphittheater befaßten.

Ehe wir aufbrechen konnten, kam ein teuer angezogener vierschrötiger Kerl in die Kneipe, der Hauptmann der bischöflichen Wache, und forderte Esmeralda zum Duell. Ich schlich ihnen nach, um sicherzugehen, daß er fair spielte. Das tat er, und bedauerte das vermutlich, als sein vermeintlich wehrloses Opfer mit gebleckten Zähnen auf ihn losging und auf ihn einhämmerte wie ein manischer Schmied auf ein besonders renitentes Stück Metall. Seinem auf "Einschüchtern und Einmachen" ausgelegter Stil fehlten Finesse und Flexibiliät, und ehe die Nacht viel älter war, fehlte ihm der Kopf. Das Feuerwerk war beängstigend. Diesmal konnte nicht einmal ich es den Leuten verübeln, "Teufelswerk" zu schreien. Cat gab den Mephisto und lenkte den Mob ab, während ich mir Esmeralda griff und sie vom Ort des Geschehens schleppte.

Sich das Unbekannte Finstere im Amphittheater vorzunehmen, klang erheblich verlockender, als sich weiter in dem Hexenkessel der Stadt herumzudrücken. Wir erklärten Gottfried, wir hätten dort etwas Verdächtiges gesehen, sattelten auf, und machten uns auf die Strümpfe.

***

Es war still am Amphittheater, als sei der alte Steinbau nicht in der Stimmung, sich mit irgendetwas abzugeben, das jünger als 1000 Jahre war. Die Grenze zum Umbra war durchlässig wie die Oberfläche eines Moorsees, aber es war nicht das vertraute Penumbra, in dem wir uns wiederfanden. Statt dessen waren wir in einer Arena, in einer Erinnerung, inmitten der Aufmerksamkeit Tausender, auf heißem Sand unter brennender Sonne. Unsere Gegner warteten auf uns, bewaffnet mit Speeren und Dreizacks und kurzen Schwertern, Schilden und Netzen. Sally, Shawn und Esmeralda ließen sich nicht zweimal bitten, suchten sich ihre Gegner und stürzten sich in den Kampf. Ich hatte ein komisches Gefühl bei der Sache und folgte Malcolms Führung, der erst einmal auf Showeffekt machte, und versuchte, mehr herauszufinden. Doch ehe mir das gelang, brach die Erinnerung in Stücke, wir fielen aus einem Abbild in ein anderes und es war dunkel und still unter klaren Sternen. Aus einer Spalte im Boden wand sich ein Drache.

Also, Drache. Shawn ist so groß wie ein Schulbus, und das ist verdammt groß wenn es sich um ein Lebewesen handelt, das vor einem steht und die Zähne fletscht. Dieser Drache war so groß wie ein Jumbo-Jet.

Ich versuchte, mit ihm zu reden, was nicht sonderlich effizient war, aber vielleicht (und vielleicht nicht) seine Aufmerksamkeit ein bißchen von den anderen ablenkte, die in Angriffsposition gingen. Außerdem fiel mir nichts anderes ein, und etwas anderes tat ich auch nicht, sondern überließ die Schlacht Shawn, George, Sally und Malcolm. Nein, ich war nicht in Bestform.

Der Drache fiel, die Welt um uns zitterte, und er war fort, das Theater ein Ruine, der Himmel mit Wolken verhangen und rötlich schimmernd. Hinter mir hörte ich ein klickendes Geräusch und ein Summen. Ich fuhr herum, den Dolch noch in den Händen, und sah zwei japanische Touristen Photos machen.

***
Leute:
wir: Die Black Furies: Die Hermetiker: Der Klerus: Befreite Gefangene:

***

Lab Notes:
  • Zauber um zu verhindern, daß jemand über ein bestimmtes Thema redet, eine Art kleines Geas, fokussiert in einem Zaubertrank, verwendet Mind, Prime, Entropy.
  • Maskerade, eine Frau als Mann erscheinen lassen: Fokus über Verkleiden. Designproblem!

***

gespielt: 2. März 2003 und 31.Oktober - 1. November 2003
rauf


26. Off The Leash

(Trier, Deutschland, 1997)

Zum Glück wandten die Touristen uns den Rücken zu. Da ich halbwegs anständig aussah und nicht mit Schleim und Drachenblut bedeckt war, ließ ich meinen Dolch verschwinden und spazierte auf sie zu, um sie nach der Uhrzeit zu fragen, währen die anderen sich in die Katakomben unter dem Amphittheater verdrückten und sich in den Pfützen dort notdürftig abschrubbten.

Das getan, verließen wir das Theater und standen auf einem Parkplatz. Ich fand Phoenix, jetzt eine in flammenden Mustern angemalte Kawasaki Ninja. Daneben standen Georges und Esmeraldas zuverlässige Gäule: eine Honda Transalp und eine BMW. Während ich mein Gepäck auf Neuigkeiten checkte, ging Malcolm eine Zeitung kaufen. Der Parkplatz führte auf eine befahrene Straße unter weißen Straßenlaternen. Die Zeitung sagte 3. Dezember 1997. Ich tigerte ebenfalls zum Kiosk und holte einen Stadtplan. Das Deutsch, was wir gelernt hatten, schien mit dem, was hier gesprochen wurde, kaum etwas gemeinsam zu haben, aber die Leute verstanden Englisch.

Die hohen Rundmauern der römischen Badeanstalt waren noch da und eine hilfreiche Wegmarke. Die Felder waren Parks und Häuser. Es roch nach Regen und Autoabgasen, als wir uns unseren Weg in die Innenstadt suchten. Die Leute trugen Sachen in gedeckten und dunklen Farben. Schwarz schien äußerst populär zu sein. Die Straßen waren sehr sauber. Dafür, das bald Weihnachten war, gab es wenige bunte Lichter, aber es waren Massen von Leuten unterwegs und fast alle trugen riesige Taschen. Der Marktplatz hatte sich kaum verändert, und war voller Buden, aus denen es nach Zuckerwatte, Lebkuchen, Glühwein und gebrannten Mandeln roch. Andenkenläden verkauften Postkarten mit chinesischen Aufschriften.

Ein paar Tüten Süßigkeiten später fanden wir unsere restlichen Motorräder und Packtaschen in einer Seitenstraße neben dem Dom, der sich auch fast nicht verändert hatte.

Ich besorgte uns Hotelzimmer. Mit Duschen. Sally und Esmeralda gingen Klamotten kaufen (schwarz!) und kamen mit der Jahreszeit angemessenen Tüten wieder. Bis wir alle eingerichtet, geduscht und umgezogen waren, hatten die Läden draußen zugemacht, und in den Kneipen, von denen es hier Dutzende gab, herrschte Hochbetrieb. Cat, jetzt wieder anständig schwarz, hatte ein Goth-Disco ausfindig gemacht, und bis auf Malcolm, der lieber rausgehen und den Mond anheulen wollte, waren wir uns alle einig, daß das genau das war, was der Arzt uns verordnet hatte.

***

Wir hätten uns natürlich denken können (und hätten nichts anders gemacht hätten wir es uns gedacht), daß der beste Ort, die übernatürliche Bevölkerung einer Stadt zu treffen, eine Goth-Disco ist. Esmeralda rannte in einen von ihren Leuten, der aber an nichts weniger interessiert war als daran, sich zu schlagen, und George wurde von einer kompakten Punkette aufgefordert, sich bitte bei Gelegenheit mal beim Prinzen blicken zu lassen. Ich stand in Reichweite, weil wir mit derlei Aufforderungen ja schon einigen Spaß gehabt hatten, und kriegte für meine Mühe Georges zwei Uzis in die Hand gedrückt, als die Punkette erzählte, die Prinzin (?) hätte einen Bann gegen Schußwaffen erlassen. Ich tat das einzig mögliche und verschwand so schnell in den Schatten, daß jeder Beobachter die Szene für eine Illusion halten mußte, was die Punkette dazu veranlaßte, George zu fragen, ob ich Max Schreck sei (oder so).

***

Unser Patron gab uns zu verstehen, daß wir uns einen Urlaub verdient hätten, und wir verbrachten ein paar angenehme Tage in der Stadt, führten unsere Motorräder aus und guckten uns Altertümer an. Im Museum erfuhren wir, daß die Hexenjagden, die 1588 begonnen hatten, nicht die 300-2000 Opfer gefordert hatten, die Sallys Datenbank genannt hatte, sondern genau 386. War das ein Erfolg für uns? Ich fühlte mich nicht so.

George stellte sich bei der Prinzin vor, und ein fehlendes Puzzlestück fiel an seinen Platz, als er dort Bruder Gottfried traf, der wohl auch einen Arbeitsunfall gehabt hatte. Ich rannte in die beiden, als ich gucken wollte, mit wem George da unterwegs war und ob alles in Ordnung war. Gottfried erkannte mich genausoschnell wieder wie ich ihn -- eine reife Leistung, wenn man bedenkt, daß für ihn 400 Jahre vergangen waren anstatt zwei Tage. Die Hexenjagden und seine Rolle darin schienen ihm ehrlich leidzutun, aber ich sah nicht, inwiefern das einen Unterschied machte.

***

Nach vier Tagen ging ich Landkarten und Reiseführer kaufen, und wir entschieden uns, nach Berlin zu fahren. Die erste Hälfte der Fahrt war sehr anstrengend, anscheinend war Rush-Hour und alle fuhren schlimmer als in New Jersey, aber nach Mitternacht wurde es besser. Phönix, in dieser Gestalt, war schneller als irgend etwas, das auf Rädern fuhr, sein sollte. Wir übernachteten kurz vor dem Ziel, so daß die Nacht noch jung war, als wir ankamen, auf Erkundungstour gingen, und beeindruckt am Zaun einer Großbaustelle stehen blieben, wo ein Loch in der Erde so tief war, daß nur der Urwald zu einem Krater der Unterirdischen fehlte.

***

Und wer anders lehnte am Bauzaun als Marco Garcia, Buchhändler aus San Francisco, der uns über einem Kaffee, den er nicht trinkt, von Schwierigkeiten mit einem Mädchen und den Technos erzählt und will, daß wir für ihn "irgendein Ablenkungsmanöver" machen. Der muß sich unsere Angeberei im letzten Jahrhundert aber ganz schön zu Herzen genommen haben, wenn er annimmt, daß wir im Alleingang eine ganze Stadt voller Technos ablenken können...


***

gespielt: 1. November 2003
rauf


27. Parachronic Nemesis

(Berlin, Deutschland, 1997)

Sollten wir daran gezweifelt haben, daß immer noch eine höhere Macht von zweifelhaftem Humor unsere Schritte lenkte, so wurde das hinfällig, als eine Frau auf Rollerblades vor dem Fenster zur Straße anhielt, hineinschaute, uns entdeckte und das Café stürmte: Shaya. Sie war schon einige Zeit hier, und machte es möglich, daß wir noch in dieser Nacht eine Wohnung fanden, wenn der auch eine Wand fehlte. Marco empfahl sich und hinterließ uns ein Handy. Ich machte noch irgendeine dümmliche Bemerkung über das Jahr 2010, und daß der Microsoft-Parkplatz gutes Feng Shui hätte, und fragte mich, als Marco aus dem Café driftete, wieso ich einem Vampir, den ich nicht mal leiden konnte, so etwas sagte, und dann sah ich aus dem Augenwinkel die Graue Frau am Nachbartisch sitzen und in einem Buch über Dinosaurier lesen. Der Raum blieb um mich herum stehen, als ich zu ihr hinüberging.

"Ausgestorben", sagte sie zu mir, und hob ihr Buch. Der Dinosaurier sah aus wie Shawn, und als ich genauer hinsah, erkannte ich die kleineren Gestalten, die ihn umgaben, und dann wurde die ganze Szene von einem Lichtblitz von der Farbe einer schweren Gehirnerschütterung verschlungen.

"Bist du OK?" fragte Shaya, und ich merkte, daß ich mit dem Kopf auf den Tisch geschlagen war. Mehrfach.

"Nein", sagte ich, und "Laß uns gehen."

Wir bezogen unsere Bude. Esme brachte eine "Salatschüssel" für den Fernseher, und Sally Weihnachtsdekoration. George, Malcolm und ich studierten die Fluchtwege. Das Haus war ein alter Backsteinbau, mit einem Hinterhof, und einer Feuertreppe: an Fluchtwegen war kein Mangel.

Am Abend gingen wir in eine Goth-Disco ein paar Blocks weiter. (Außer, wie üblich, Malcolm, der nach Werwölfen gucken ging.) Ich hing hauptsächlich in einer Ecke herum, und verpaßte beinahe das Drama des Abends. Shaya mußte mich aufs laufende bringen: Eine Tussi hatte versucht, George wegen eines Verstoßes gegen das Zeitkontinuum zu verhaften. Nach Shayas Ansicht war es die Tussi, die ihre eigenen Realitätsverschiebungen mit sich brachte und anderen dafür die Schuld zuschieben wollte.

Vor ein paar Monaten hätte ich gemurmelt, "Scheiße, Marauder", und mich vom Acker gemacht. Wir werden alle... naja, vielleicht nicht alt. Wunderlich? Schon eher.

Zum Glück gab es eine Schlägerei, und Shaya griff sich im Durcheinander eines der komischen Objekte der "Zeitagentin". Draußen schnappten wir uns die Frau, die sich als Carmen Guiterrez vorstellte und ein sehr offzielles Gehabe an den Tag legte, und verabredeten uns zu einem Infoaustausch im Mauerpark.

Ms. Guiterrez erzählte, sie arbeite für eine Organisation, die ihre eigene Heimatzeitlinie beschützte, indem sie allen Leuten auf anderen Zeitlinien, die mal über die Wahrscheinlichkeitsgrenzen ihrer eigenen Kontinuität gucken wollen, auf die Finger haute. Und zur Zeit gäbe es in diesem Kontinuum beträchtliche Verwerfungen.

Da hatte sie recht. Für einen Moment zitterte die Welt, und wir sahen irgendwo in der Stadt einen Effekt in den Nachthimmel reichen, Teile unserer Ausrüstung verloren ihr Timelock und drifteten durch verschiedene Inkarnationen, ehe sie sich wieder stabilisierten. Das sah nicht gut aus. Wir überzeugten einander, ungefähr auf der gleichen Seite zu stehen und tauschten Telefonnummern aus.

***

Endlich in unserer Bude trafen wir auch Malcolm wieder, der von den Werwölfen erfahren hatte, daß die Technos unten in der Baugrube ein bunkerartiges Hauptquartier unterhielten. Als alle Tee hatten, fragte ich nicht-ganz-so beiläufig in die Runde, wo die Leute eigentlich gedachten, den Jahreswechsel 2010/2011 zu feiern. Auf einem weganischen Frachter?

Den betretenen und überraschten Gesichtern zufolge war ich zumindest nicht dümmer als die anderen: Niemand hatte bis jetzt daran gedacht. Bis zum Morgengrauen überlegten wir uns, was getan werden konnte oder getan werden mußte und die Apokalypse von 2010 zu verhindern.

Es wurde erst spät hell, und der Tag war trüb und kalt. Falls einer von den anderen die Energie hatte, an dem Tag etwas zu tun, ich hatte keine.

***

In der folgenden Nacht, der Nacht des 9. Dezember 1997, klingelte kurz vor Mitternacht das Handy, das Marco uns gegeben hatte. Er hatte seine Süße aufgetrieben, aber die Technos waren auch schon auf dem Weg, und wir sollten uns doch bitte wie von den Hunden der Hölle gehetzt an folgende Adresse begeben.

Wir schwangen uns auf die Motorräder und heizten los. Unterwegs, auf einer in Nacht-Neonlicht gebadeten Chaussee, zitterte die Welt, und ich saß auf einmal auf einem Feuerpferd, auf der Straße von der Breite eines achtspurigen Highways fuhren merkwürdig geformte schwarze Autos, Leute auf den Bürgersteigen gafften uns an, und Bauten aus dem Gernsback-Kontinuum säumten die Straße. Fahnen in blutrot durchbrachen als einziges die Monochromie. Dann war es vorbei, und ich schaffte es gerade eben, nicht in einen plötzlich vor mir aufgetauchten Reisebus zu fahren.

Marco erwartete uns am Eingang zu einer mittelbreiten Straße mit bröckelndem Asphalt, unter dem sich Pflastersteine zeigten, in einem verkommenen Wohngebiet voller leerer Fenster. Vor einem der Häuser stand ein auffällig-unauffälliger weißer Lieferwagen, zehn Meter dahinter ein stumpfschwarzer Mercedes mit abgetönten Scheiben.
"Lenkt sie ab!" sagte Marco, und wir spielten Motorradgang und machten Rabatz. Es stellte sich bald heraus, daß der Lieferwagen bis unter die Oberkante mit technomagischem Gerät beladen war, und der Mercedes eine diamantharte Panzerung hatte. Während die Jungs sich schlugen, räumten Esmeralda und Sally zwei Herren im Schwarz vom Innenhof (fast wären sie freiwillig gegangen, Esmeralda gab eine sehr überzeugende wütende Hausmeisterin ab!), und ich verdrückte mich in eine Gasse und deckte den Technowagen mit Antimagie ein. Nach einer soliden Dosis Chaos hatte Marco das Mädchen, die Technos und ihre Gehilfen zogen ab, und wir sammelten unsere leicht verbeulten Motorräder wieder ein und sahen zu, daß wir Land gewannen.

***

Wir beschlossen, mal ein paar Blicke ins Umbra zu werfen, und sahen ein erschreckend vertrautes Bild. Aus der Mitte der Stadt, da, wo die Baugrube war, hatte sich eine Brücke gebildet, die unser Kontinuum mit einem anderen verband. Im Umbra selber war die Überlappung bereits weit fortgeschritten: Ein Hinausgehen könnte einen ebensogut in das fremde Kontinuum wie in unser eigenes bringen. Es ähnelte mehr dem Krater der Unterirdischen als den dünnen Personenbrücken des Bohnenstengels der Mission in San Francisco oder Stormwalkers Brückenkopf, und das ließ nur einen Schluß zu: Unser Kontinuum wurde tatsächlich angegriffen. Wir rollten die Augen und verwünschten unseren Patron.

Höchste Zeit, uns mal mit unserer Zeitagentin zu treffen: Die ging ja anscheinend berufsmäßig mit so etwas um. Sie ging tatsächlich ans Telefon, und wir verabredeten uns um 4 Uhr nachmittags bei uns.

Hätten wir besser nicht getan. Das fiese an fremden Kontinuen ist, daß man nie auf die richtige Art paranoid ist. Zum Beispiel ein nicht abgeschirmtes Handy benutzt, um seine Raum-Zeitkoordinaten durchzugeben.

***

Marco meldete sich und sagte, seine Süße brauche Kontakt zu Magiern, vorzugsweise Hermetikern, die sie ausbilden und ihr die Spielregeln erklären könnten. Ich hängte mich ans Telefon und erreichte die Chantry im Frankenturm in Trier, die jetzt eine gemischte war, aber bereit, sich um eine Initiatin zu kümmern, wenn sie dafür ein bißchen Tante-Hollys-Märchenstunde kriegten. Sie gaben uns einen Kontakt in Berlin an, Professor Elanor Withworthy, eine Etherite an der technischen Universität, die sich mit Science Fiction und Raumfahrt befaßte. Genau die Frau, die wir brauchten, aus mehr als einem Grund. Wir riefen sie gleich an und verabredeten uns für den Abend.

***

Denn das war bei dem langen Palaver in der vor-vorigen Nacht herausgekommen war: Wenn wir nicht nur das Ende unserer Welt verhindern wollen, sondern auch die Weganer um die Beute betuppen, reichte es nicht, den Absturz zu verhindern. Wir mußten selber ein Raumschiff ausschicken und vor 2010 Kontakt mit der PFE aufnehmen. (Klingt als hätte daraus mal jemand einen Film gemacht.) Wir brauchten ein überlichtschnelles Raumschiff. Und zwar innerhalb der nächsten 10 Jahre.

***

Es wurde vier. Ich lungerte am Fenster herum und sah Ms. Guiterrez die Straße hinunterkommen. Ich sah auch den stumpfschwarzen Mercedes mit getönten Scheiben, der auf der Kreuzung, mehr als einen halben Kilometer hinter ihr, erschien, als sie gerade unser Haus erreichte. Ich schmiß einen Zauber, ehe das Geräusch des Schusses uns erreichte, aber zu spät, gab Alarm, rannte die Treppe runter, aber Ms. Guiterrez war nicht mehr zu helfen.

"Wir treffen uns im Mauerpark", rief ich den anderen zu, zerrte die Leiche durch den Korridor auf unseren Hinterhof und wollte ihre Taschen durchwühlen, aber die Leiche und alles, was sie bei sich gehabt hatte, verschwand. Über den Hinterhof und durch einen anderen Hauseingang rannte ich in eine Nebenstraße und sah, daß ein Rudel Goons vor unserem Haus herumlungerten. Ich pfiff Phoenix. Leider bemerkte einer der Goons, daß sich ein Pferd vom Ort des Geschehens stahl, und zwei Typen in schwarz, auf stumpfschwarzen Motorrädern und mit getönten Visieren, folgten mir.

Die folgende Jagd wäre ohne Phönix, die jetzt wieder ein Motorrad war, ganz schön in die Hose gegangen. Es war dunkel, es nieselte Schneeregen, die Stadt war voller Pfützen von Licht, voller Ampeln und Kreuzungen und voller Autos, alle fuhren wie die Bekloppten, und wir mittendrin, mit 80 Meilen die Stunde. Einen der Goons hängten wir ab, der zweite zog eine Waffe, ich überließ Phönix das Lenken und ließ ihn in mein Schwert fahren, was ihn aber nur von der Maschine hob und ihn nicht daran hinderte, mir nachzurennen wie der Terminator.

Ich kam als letzte im Mauerpark an -- die anderen hatten die U-Bahn genommen.

***

Von frischer Paranoia getrieben, machten wir uns sofort zur technischen Universität auf, wo wir Prof. Dr. Dr. Elanor Withworthy heil und gesund in ihrem Labor antrafen, nur mäßig verwirrt angesichts eines Haufens seltsamer, zerschrunzter und sich ständig über die Schulter guckender Gestalten. Wir verbrachten einen netten, anregenden und für alle Beteiligen informativen Abend mit Tee, Keksen, und Günther, dem Computeroiden der Professorin.

Am Ende waren wir viel klüger. Nur, leider, immer noch planlos.

Unsere Planlosigkeit wurde von einer Studentin gestört, die darauf bestand, sie müsse für irgendein Projekt den Raum vermessen. (Ich bin nicht ganz sicher, daß mir da nicht etwas zentrales entgangen ist.) Schließlich rückte sie damit raus, daß sie auch ein Werviech wäre (eine Ananasi, sagte sie), und eine Prophezeiung sie hergebracht hätte. Eine Prophezeiung war fast so gut wie ein Empfehlungsschreiben, unsere Geister hatten nichts dagegen, also setzten wir sie in den nächsten Sessel und beteiligten sie am Plänemachen. Sie hieß Moira.

Soweit wir das überblickten, war das ja, überlegte ich, auch nur eine Verbindung zwischen zwei Welten, im Prinzip nicht soviel anders als Stormwalkers Brücke, und der Bohnenstengel in San Francisco. In beiden Fällen hatten wir die "Brückenköpfe" gesprengt. Aller guten Dinge sind drei: versuchen wir also den gleichen Trick noch mal. Und weil es kaum so aussah, als könnten wir auf "unserer" Seite in die Techno-Festung marschieren, mußten wir das eben auf der anderen Seite machen. Schließlich kannten die uns noch nicht.

Malcolm, Sally und Shaya, die die Werwölfe bzw. die Stadt kannten, kriegten den Job, den Technos und was sonst so hinter uns her war, vorzuspielen, daß wir noch da waren, während wir anderen unsere zeitflexible Ausrüstung nach etwas durchsuchten, womit man "anständig" aussah -- ich schnorrte mir von Esme einen Cowboysonntagsanzug, George gab passend dazu den Preacher Man. (Das sollte noch Folgen haben). Professor Withworthy ließ Gustav eine Liste voraussichtlicher Überlappungskoordinaten für die nächsten 24 Stunden berechnen, und wir schwangen uns auf die Motorräder und brausten in die nächste Koordinate.

***

Wir kamen in einer dunklen, farblosen Welt heraus, deren grimmige, monumentale Monochromie nur von Fetzen von Rot durchbrochen wurde: Fahnen. Nazifahnen. Ich versuchte, mich zu erinnern, was ich über Nazi-Magie und Okkultismus wußte. Viel war das nicht. Ein nordischer Todeskult zur Linken Hand? George unterbrach meine Überlegungen damit, seine Kleider von sich zu werfen. Sein Preacher Man Outfit hatte sich in ein schwer verschnörkeltes Zeremonialgewand verwandelt, das ihn offenbar gerade angefallen hatte. Er stopfte es in seine Packtasche, ehe ich es genauer ansehen konnte.

Cat und Moira versuchten, den Brückenkopf ausfindig zu machen, während wir anderen einen Unterschlupf ausfindig machten. Auch in dieser monumentalen Stadt, wo der Wind doppelt so kalt war wie bei uns, gab es Gassen und Kioske und Keller. Wir machten uns notdürftig mit der Gegend vertraut, holten Zeitschriften, und wurden dann von unserer Kontaktspinne zurückbeordert:

***

Es war irgendein Prunkgebäude, wie sie alle hier aussahen, Protz ohne Prunk, und das hier war ein Museum. Irgendwo darunter, auf Pfaden, die nur eine Spinne und nicht mal eine Katze gehen konnte, war eine Katakombe, eine Ritualkammer: Der Brückenkopf. In einem verrückten Ritual mit Gold und Blut, Jungfrauenopfern und Drachensäulen wurde hier das Tor offengehalten. Moira hatte das Ritual gestört, als einer der Priester die (kleine, aber giftige) Spinne sah und IIIIIIIIEEEK! MACH DAS DA WEG! brüllte.

Woraufhin jetzt das Ritual, wie Sally sagen würde, neu gebootet werden mußte. Und das hieß, neue Jungfrauen. Und das hieß, da waren Cat und George sich einig, wir mußten da rein! Jetzt!

Na großartig.

***

Esme, deren Texas-Ranger Zeug sich in eine schwarze Uniform mit Runen und Offiziersfritten drauf verwandelt hatte, gab den Leuterumscheucher. Shawn den Inspektor, ich, in Georges bissigem Ritualgewand voller schlechtem Karma die Begleithexe, und die anderen Fußvolk. Ich hellte Shawn und Esme ein wenig auf. Esme hätte in blond und blauäugig erschreckend ausgesehen, hätte sie nicht das charakteristische Esme-Grinsen auf der Suche nach Unfug gehabt. Shawn sah angemessen offiziell aus. Cat plazierte sich auf meiner Schulter. Wir fanden den Eingang (mein Studium von Wahrscheinlichkeitslinien hatte unerwartete Einsichten in die Natur von Gelegenheiten mit sich gebracht), latschten rein, Esme kommandierte Leute rum, Cat versuchte, den Mephisto zu geben, was ihm mehr Spaß machte als mir, und Shawn begann zu gucken wie die Echse auf dem heißen Blechdach. Oh, Mist. Hier war alles mit genug Gold dekoriert, um Piraten anzulocken. Hat man schon mal von einem Drachen gehört, der auf Gold allergisch ist? Naja, wie sich im weiteren zeigte, retten Drachen auch Jungfrauen. Mal soll eben nicht alles glauben, was in den Märchen steht.

Näher dran stellten wir fest, daß die Säulen ebenfalls Drachen waren, allerdings Elementardrachen, mächtige Geister, denen es überhaupt nicht gefiel, hier als Türstopper mißbraucht zu werden. Während Esme sich wichtig machte und Shawn so aussah, als müßte er dringend aufs Klo oder jemandem den Kopf abbeißen, sah ich mir die Muster der Zauber des Bannens und des Öffnens an, die den Raum füllten. Es war eigentlich unsere Bürgerpflicht, die Drachen zu befreien. Aber die Element/Spirit-Bindung war etwas wackelig... es sah so aus, als könnten wir sie befreien, wenn wir die Säulen, in die sie gebunden waren, zerstörten oder ernsthaft beschädigten, aber hätten es dann mit den Elementen, nicht den Drachen zu tun. Der Gedanke, bis über die Knie in Feuer oder Metall zu stehen, sagte mir nicht zu, und auch Wasser, Erde oder Luft können unerfreuliche Dinge mit einem anstellen, wenn sie angeätzt sind. Aber wenn wir alle Drachen gleichzeitig... das könnte klappen.

Esme hatte inzwischen die Wachen weggeschickt und die Tür hinter ihnen abgesperrt. Ich weiß auch nicht, wie sie das immer macht. Jetzt hatten wir es nur noch mit fünf Hilfs- und einem Oberpriester zu tun. Cat schnorrte sich zwei Handgranaten (oh je!) und verschwand. Ich bellte auf Garou ein "zum Angriff" und der Run auf die Säulen begann. Das Chaos war unbeschreiblich. Ich ging mit dem Schwert auf meine Säule los, Cat sprengte die gläserne Dachkuppel, die Glasscherben richteten ein Gemetzel unter allen an, die sich nicht an die Wand drückten (was wir taten, weil wir schlau sind, und die Mädchen, weil sie keine andere Wahl hatten), George schlompte das Ritualblut, die Spinne in Hispo war, eh, sagte ich schon, IGITT !, Shawn attackierte seine Säule zu früh, und ich war die erste, die ihre Säule mit dem Schwert durchbohrte. Esme war, glaube ich, die zweite. Moira brauchte am längsten, und die Priester, soweit noch in der Lage, versuchten, uns alle in Kröten zu verwandeln, aber letztendlich hatten wir alle Säulen erlegt, und gegen das jetzt entstehende elementare Chaos sah das Durcheinander vorher aus wie ein Ringelreihen.

***

Wir stolperten raus, die noch völlig bedöselten Mädchen im Schlepptau, und konnten nicht mehr für sie tun, als ihnen das Geld für die Straßenbahn zu geben, damit sie nach Hause fahren konnten. Unser Weg nach Hause war natürlich beim Donnerdrummel, die Brücke zusammengebrochen und die Universen trieben voneinander weg. Ich bat dreist die Drachen um einen Gefallen, und so kamen wir wieder nach Hause. Ich fühlte mich wie Dorothy und hätte Cat fast als "Toto" tituliert. Das hätte er mir ewig nachgetragen.

***

Leute, Orte, usw.:

***

Lab Notes:
  • zeitflexible und zeitfixierte Ausrüstungsgegenstände: Kram von unserer eigenen Zeitlinie bleibt, was es ist. Zeug von wo- oder wann-anders nimmt im Kontext entsprechende Formen an, d.h. feine Plünnen aus dem Wilden Westen verwandeln sich in feine Plünnen aus dem 16. Jahrhundert, und so.
  • "Gegenrealität" -- jede Realität, die in sich selber vollwertig ist (z.B. eigenes Penumbra), aber nicht auf unserer Zeitlinie.
  • Ananasi (Werspinnen). Kreaturen des Weaver, sollen im Multiversum für Ordnung sorgen. Und wo ein Werwolf in Wolfsgestalt zu einem normalgroßen Wolf wird, werden sie zu einem Gewimmel normal großer Spinnen. Die alle miteinander in Kontakt stehen. Was also eine weiß, wissen auch alle anderen. Praktisch. Und ich möchte hier nicht speziistisch sein, aber: IGITT..

gespielt: 27.-29. Februar und 29./30. Oktober 2004
rauf


28. Just Deserts

(Shangri-La, Kasachstan, August 2020)

Wir setzten unseren unterbrochenen Urlaub fort. Das letze Abenteuer wurde in meiner Erinnerung fragmentarisch wie ein wirrer Traum. Unsere Wohnung war noch da. Zeitagenten trafen wir keine mehr. Marco verdrückte sich. Es war manchmal zu kalt zum Motorradfahren, nie zu kalt zum Reiten. Die Umgebung der Stadt war auf eine merkwürdige Art öde, aber dicht besiedelt, voll von identischen, aufgeräumten kleinen Städten, braungrauen Äckern, grüngrauen Wiesen und grünbraunen Wäldern. Wölfe gab es keine. Wenn ich nicht durch die Gegend streunte, las ich alles, was mir in die Finger geriet, geplagt von einer Gier nach Wissen, schlimmer als ich je nach Magie gegiert habe.

Weihnachten kam und ging, und eines Abends sahen wir uns an und fanden, es sei an der Zeit, weiterzureisen. Wir fuhren auf der Landstraße nach Norden, links und rechts von uns Felder, gestreift von Schnee, bis uns eine trockene Brise traf, die nach Staub und Abgasen roch. Wir waren im Woanders. Alex war bei uns, nicht jedoch Shaya.

***

Vor uns waren Hügel, und nicht weit dahinter, zum Greifen nahe fast, Berggipfel, auf denen Schnee blau in der letzten Erinnerung an die Sonne schimmerte. Darüber funkelte rot Antares. Wir hätten in Montana sein können, den Yellowstone-Fluß und die Bighorn-Berge vor uns, aber es war zu warm, und die Erde unter unseren Füßen schwieg, wie sie es in Montana nie getan hat. Das Land war krank, und die wenigen, dornigen Büsche und harten Gräser hatten ihre wahren Namen vergessen. Von nicht allzu fern hörten wir Motorengeräusch. Wir warteten am Rand der Straße.

Eine Karawane, die aussah wie aus einem Mad Max-Film entkommen, bewegte sich auf uns zu. Eine Frau mit einem Motorrad hielt vor uns an und wollte wissen, wer wir wären. Sie sprach Englisch mit einem uns unbekannten Akzent. Außerdem war sie schwer bewaffnet.

Der folgende Dialog war surreal. Ich hörte uns reden und dachte, wir müssen alle den Verstand verloren haben, wir stellen schwer bewaffneten Leuten absurde Fragen und wälzen uns am Boden vor Lachen über die Antworten -- mach das in L.A. und du wirst sofort erschossen, und jeder ist der Ansicht, daß du's nicht besser verdient hast.

Hier hatte man offenbar den Wahnsinnigen gegenüber mehr Respekt, und wir erfuhren, daß wir in Kasachstan waren, nahe der Stadt Shangri-La, und daß man das Jahr 2020 schrieb.

2020.

Die Karawane zog vorbei. Cat und Moira gingen ins Umbra und stellten fest, daß keines da war. Man konnte hingehen, aber es war wie ein Haus ohne Dach und Boden und Wände.

***

Wir gingen in die Stadt, weil es keinen anderen Ort gab, wo man hingehen konnte, und quartierten uns in einem mittelbilligen Motel ein. Die großen Straßen liefen als Hochstraßen über der Stadt und man hatte einen perfekten Blick auf zwei Gebäudekomplexe, die aussahen wie Godzillas Shopping Malls, und auf Muster in den anderen Straßen und Gebäuden, die andeuteten, daß mehr Komplexe hatten errichtet werden sollen. Ein Viertel bestand ganz aus Hochhäusern ohne Außenwände, wo Leute sich mit Zelten und Planen vor dem allgegenwärtigen Wind und Staub schützten. Aber der größte Teil der Stadt waren Favelas.

Man zahlte in Euros. Pizza kostete ein Vermögen. Die Computer in den Zimmern führten in ein Realm, wie ich es aus den Angebereien von Virtual Adepts kenne. Ich färbte mir die Haare grün und stellte fest, daß die Magie hier dickflüssig war wie Sirup bei Frost. Technomagische Talismane schienen dafür gang und gäbe zu sein. In Ermangelung einer Goth-Disco ließen wir uns eine Kneipe empfehlen, das "Downbelow", das im Stahlgestänge einer Hochbahn hing wie ein Kokon in einem Spinnennetz. Wir tranken ein wenig, tanzten ein wenig, und redeten, wie üblich, zu viel. Wahrscheinlich hat morgen die halbe Stadt irgendwelche Verschwörungstheorien, in denen wir eine prominente Rolle spielen.

***

Lab Notes:
  • kein Penumbra. Was heißt das? -> keine vollwertige Realität/Illusion/Spirit Stuff? Gibt es "Potemkinsche Realitäten", nur Fassade, keine Substanz? Oder kann eine Welt ihr Penumbra verlieren oder integrieren? Was ist mit dem Deep Umbra?
  • Magie ist hier sehr schwierig. Bezüge zum fehlenden Umbra? Evt. ein Realm mit niedrigen Ratings im Prime und Spirit -> wenig frei fließende Quint (wie man sie für Magie braucht), weil viel in technomagische Talismane ("Cyberwear") gebunden? Jedenfalls ist das lästig.
  • Diese Welt scheint sich spätestens 1994 abgespalten zu haben. Wie lange hat sie schon diese Magieschwäche?
  • Es gibt hier eine Firma, die in Luft- und Raumfahrt macht. Ob man da Wissen abgreifen könnte? Oder setzen wir aufs falsche Pferd, wenn wir uns diesem Paradigma unterordnen?
  • Alles mehr VA/ItX als Etherite/NWO...

***

Am nächsten Tag gingen wir shoppen, eine Tätigkeit, der Esme mit quasireligiösem Eifer nachgeht. Es gab alles außer gutem Essen. Ich holte mir ein paar Shuriken und etwas Schmuck-und-Glitzerkram aus Materialien, die ich nicht kannte. Anschließend gingen wir ins Raumfahrtsmuseum. Ich spielte ein bißchen mit meiner neuen Wahrnehmung von Gelegenheiten herum und stellte fest, daß die Magie nicht etwa versackte, sondern in eine definierte Richtung abfloß, ehe sie mir nützlich werden konnte. Während ich mich noch darüber wunderte, kippte Shawn aus den Latschen.

Er erzählte uns, nachdem er wieder zu sich gekommen war, er habe versucht, die Erinnerung dieser Welt zu lesen, und sei durch ein großes Nichts hinuntergefallen in die Steinzeit, ohne die Jahrtausende dazwischen. Waren die bereits in die Magiesenke abgeflossen? War dorthin auch das Umbra verschwunden?

Cat, nachdem wir das Museum verlassen hatten, würgte einen Brocken Paradox hervor wie einen Haarball, und auch das Paradox driftete davon, doch langsamer, so daß wir das Stadtviertel fanden, wo es hinging.

Juri (der Reporter), mit dem wir uns am Abend wieder verabredeten, sagte, in dem Viertel sei nichts besonderes, Hütten und Zelte und ein Basaar.

Malcolm mußte sich wieder mal vorstellen gehen, wir hörten ihn über die Stadt heulen, aber keine Stimme antwortete. Wenigstens waren ihm dieses Mal keine zwanzig Apatschen mit Silbermunition begegnet, sondern nur eine Gang, die ihn aber nach einer kurzen Rangelei und ein paar Knurrern in Ruhe ließ.

***

Wir standen früh auf am nächsten Morgen, weil die Hitze des Tages unerträglich war, und machten uns auf zu dem fraglichen Viertel, und während wir zwischen Zelten, zwischen Ständen mit Tand und Reparaturbuden herumwanderten, mißtrauisch beäugt von den Einheimischen, tauchte auf einmal Malcolms Fuchs auf und murmelte etwas von einem "Palast auf der anderen Seite.".

Die Grenze zum Drüben war dünn wie Papier, und ehe ich mich versah, hatten nicht nur Cat, sondern auch Moira und Alex beschlossen, sie müßten da jetzt rüber. Nun, wenn Cat irgendwohin "rübergeht" ist das eine Aufklärungsmisson, wenn Alex das gleiche tut, ist es eine Invasion, und die sollte man mit voller Stärke ausführen. Die restlichen Werviecher stürmten ebenfalls enthusiastisch durch den dünnen Vorhang, und Esme, Sally und ich folgten wesentlich weniger begeistert.

Drüben war eine prächtig ausgestattete Empfangshalle. Moira zerfiel in ihre Einzelteile, und sie und Cat gingen kundschaften, während Malcolm ein "Hallo, ist jemand hier?" rief. Was, muß man sagen, ganz und gar korrekt ist, wenn man in fremder Leute Empfangszimmer plöppt, und, falls besagte fremde Leute nicht gerade ein größenwahnsinniger Erzmagier und eine kleine Armee schießwütiger Goons sind, auch zu wesentlich besseren Ergebnissen führt als einfach einzubrechen und das gute Porzellan zu klauen. Und wie hoch ist schon die Wahrscheinlichkeit, einen größenwahnsinnigen Erzmagier...

Antwort: Wenn man wir ist -- hundert Prozent !!

Malcolm und ich versuchten es mit Reden, was sinnlos war. Cat und Moira versuchten es mit Verstecken, was auch sinnlos war. Dieses war das Sanktum eines Erzmagiers, wo keine Fliege summte ohne seine explizite Erlaubnis. (Ich glaube, so etwas will ich nicht haben, wenn ich mal groß bin -- langweilig.)

Dann versuchten wir es mit davonlaufen, was so lala gelang, weil die Grenze zum hüben plötzlich sehr massiv war. Zum Glück schossen die Goons nicht gut, und die Feuerwalze, die der Magier uns hinterherschickte, blieb mir im Mantel hängen.

Eine Handvoll Goons kamen uns nach. Sie trugen Rüstungen und bestanden zur Hälfte aus Maschinenteilen. Zum Glück sprang uns ein vorbeifahrender Redneck, der wohl schlecht auf die Goons zu sprechen war, bei. Er hieß Tom und wurde von uns anschließend im Downbelow freigehalten.

Moira hatte viel Substanz verloren, und es dauerte, bis sie wieder eine einzelne Gestalt annehmen konnte.

Außerdem hatte sie wohl ein paar Spinnen von sich im Palast zurückgelassen. "Oh", sagte sie, "da bin ich ja", und erklärte, eine ihrer Spinnen sei in einem Wasserglas unter der Nase des Erzmagiers, dann ging sie in Flammen auf. Esme reagierte fix und warf einen Mantel über sie, und ein völlig unerwartetes und unvorbereitetes magisches Duell folgte, in dem ich feststellen mußte, daß der Erzmagier besser war als ich. Das wurmte mich.

In seinem Sanktum, das war klar, würden wir ihn nie besiegen können, und besiegen sollten wir ihn, denn Erzmagier, die sich für Götter halten, sind nicht gut für ihre Umgebung. Also mußten wir ihn dazu bringen, daß er herauskam. Wir brauchten mehr Informationen. Und ein neues Hauptquartier. Zum Glück hatte Alex seinen Van dabei.

***

Nachforschungen am nächsten Tag ergaben eine Menge Fakten, aber keine solide Theorie. Der Erzmagier, der laut Tom unter dem Namen "Rasputin" vage bekannt war, war noch vor drei Monaten ein Kosmonaut namens Komarow gewesen, bis er auf dem Rückflug von Io (dem Jupitermond) einen Unfall hatte. Ein Kollege von ihm, der bei dem Unfall gestorben war, sagte, im letzten Moment bevor es krachte, sei Komarow von einem seltsamen Licht umgeben gewesen. (Ja, Cat kann mit den Geistern der Toten sprechen. Wußte ich auch noch nicht.) Mir ging das Stonehenge der Zukunft und das Schicksal von Thomas dem Niedlichen nicht aus dem Kopf: War es das, was die Leute im 45. Jahrhundert eine " Xuhaïkverschmelzung" nannten? Und wenn ja, was hieß das?

So oder so war Komarow schwer verletzt worden und mit Technoimplantaten aufgemöbelt -- eine Prozedur, die bekanntermaßen als gelegentliche Nebenwirkung kompletten psychopathischen Wahnsinn produziert, etwas, daß sich hier "Cyberpsychose" nennt. So ziemlich alle Beteiligten außer der Cyberwear konnten einem leidtun. Nicht, daß uns das jetzt half.

Ein Avatar abzutrennen ist nichts was ich tun kann -- oder will. Und wir hatten immer noch keinen Plan, wie wir den Kerl aus seinem Sanktum locken konnten.

***

Wir hätten uns nicht den Kopf darüber zerbrechen müssen. Später am Abend (am frühen Abend hatte George eine Erweckungspredigt gehalten, Esme und Sally hatten Gospels gesungen und belegte Brötchen verteilt, dieweil ich mich zu einer Hippiekommune verdrückte), bemerkte jemand (Cat? George?) wir sollten doch mal herausfinden, wie hier die Paradoxlage wären.

Ich machte also meinen guten alten "Hier ist eine Heuschrecke", nur dieses Mal vor aller Augen -- und vermasselte es spektakulär. Ich zog unwillkürlich den Kopf ein, denn sicher würde das Paradox jetzt wie eine Lawine auf mich runterkommen ... nichts kam. Ich sah Cat an, aber auch der schüttelte den Kopf. Und dann spürten wir die Verwerfung im dreidimensionalen Kontinuum.

Um George zu zitieren, "Du wolltest eine Heuschrecke, statt dessen kommen 19 Goons und ein Oberbösewicht. Das nenne ich einen verpatzten Zauber!"

Zum Glück waren wir schneller, und der Schutzschirm, den Sally über uns warf, gut. Zum Glück hatte Alex Granaten dabei, und der Erzmagier, bei all seiner Macht, war auf taktischem Gebiet entweder ein blutiger Anfänger, oder zu hochmütig, um schlau zu sein.

Die Grenze zum Umbra verschwand während des Kampfes, und als der Magier fiel, erhob sich über ihm die Gestalt eines gigantischen, chromblitzenden Dämons. Aber wir haben schon ganz andere Sachen gesehen, wir griffen an wie ein Rudel Marder, selbst als der Dämon die Gestalt von Feuer annahm. Und dann, nur einen Schlag noch vom Sieg entfernt, hielten wir inne. Malcolm rief, "Halt, zurück", und Alex schrie, "Nicht!", und wie konnten wir das letzte magische Wesen dieser Welt vernichten? Wir fielen zurück, und die dämonische Feuergestalt flog schwer und langsam ihrem unsichtbaren Palast zu. Ich folgte ihm auf Phönix, irritiert und verunsichert und mißtrauisch, in der Hoffnung, endlich mit den Wesen reden zu können, aber es reagierte nicht auf meine Rufe. Der heiße Wind, der substanzlos durch das fehlende Umbra fegte, schien das Mitleid aus mir hinauszublasen bis kein Fetzen mehr davon übrig war, und wann, dachte ich, waren sich Malcolm und Alex je auf Anhieb über irgend etwas einig gewesen?

Meine Gedanken schienen sehr langsam und meine Hände sehr schnell, als ich einen der Shuriken herauszog, ihm einen Namen gab und ihn dem Wesen nachschleuderte. Ich fehlte -- ich wußte, daß ich fehlte, es war ein schlechter Wurf -- aber eine kühle Hand legte sich über meine, und ein Wind, der nach Regen im Frühling roch, trug den Wurfstern ins Ziel.

Der Dämon verging in einer gewaltigen Explosion aus purer Magie. Magie floß durchs Umbra wie Ströme von Farbe, spülte Konturen hervor, Magie sprang in die Welt wie ein Fluß, der einen Staudamm bricht, wie der Regen am Ende von "Dune". Denn das, was in der Gestalt des Dämons erschienen war, hatte alle Magie dieser Welt, soweit wir sehen konnten, an sich gerissen, sie aufgesaugt wie eine gigantisches blutsaugendes Insekt, und mit seiner Vernichtung wurde sie frei.

Ich führte Phönix in die Welt zurück. Sie blieb in ihrer Pferdegestalt.

Die anderen sahen aus als habe sie eine Erleuchtung -- oder, in Esmes Fall, der Blitz -- getroffen. Wir verdrückten uns, ehe die Bullen kamen, immer noch mit einem Ausdruck im Gesicht wie Sam auf dem Feld von Cormallen.

Irgendwann später, als wir in einem Diner saßen und dem Reporter die Geschichte erzählten, trieb die Welt von uns weg.

***

Lab Notes:
Also, in der Rekonstruktion sieht das so aus:
  • In dieser Welt haben die Menschen (evt. in Gegenwehr zum Impergium?) die Werviecher ausgerottet, siehe Shawns fehlende Erinnerungsebenen.
  • Es gab/gibt wenige bis keine Magier. Möglicherweise fehlt der "Evolutionsdruck", um Magie zu entwickeln oder zu bewahren, wenn die übernatürlichen Schrecken, unter denen die Menschen zu leiden haben, weg sind? (Aber warum dann so starke Parallelentwicklung zu unserer Welt?)
        -> Rolle von Gaia?
  • Ohne Magier und Werviecher war die Lebenskraft der Welt nicht in Bewegung, sondern stagnierte und bildete Klumpen.
  • Der Kosmonaut Androsch Komarow wurde von einem solchen Klumpen getroffen, der für ihn als Avatar fungierte, und um Größenordnungen stärker und kompetenter war, als die Avatare, die Magier in unserer Welt haben.
        -> Das klingt nach der "Pure One"-Theorie, nach dem alle Avatare Splitter irgendwelcher engelsgleichen Wesen der grauen Vorzeit sind. Wenn ich mich richtig erinnere, hat diese Theorie irgendeine sinistre Konnotation. Komm' ich gerade nicht drauf. Unbedingt Juniper fragen, wenn ich sie je wiedersehe.
  • Sekunden nach Komarows "Awakening" (mehr ein Xuhaïk-Verschmelzung als ein Awakening), kam es zu einem Unfall, der ihn schwer verletzte.
  • Komarow wurde mit cybernetischen Ersatzteilen ausgestattet und vermutlich im Laufe dieser Operation vollkommen wahnsinnig.
  • Es ist wahrscheinlich, daß das Avatar, an das er geriet, bereits wahnsinnig war: die Aktionen von Komarow-als-Rasputin scheinen keine logische Entwicklung von Komarows eigenen Träumen, Werten und Ambitionen zu sein.
  • Komarow-als-Rasputin erschuf sich einen Palast (Den Realm/Sanktum) im Umbra. Dieser Ort ähnelt einer umgekehrten Node. In einem "lebenden" Magiesystem wäre eine Node wie eine Quelle und der Magier wie das Land, aus dem Wasser/Magie verdunstet um dann aus Wolken wieder abzuregnen und zur Quelle zurückzukehren. Um in der Wassermetapher zu bleiben, hätte Komarow-als-Rasputin über seine Node in einer Welt ohne Regen das Grundwasser abgepumpt und alles für sich behalten.
        -> Malcolm sagt, es gibt im bekannten Umbra einen Ort, in dem alles verschwindet und aus dem nichts zurückkehrt, den "Abgrund". Verbindung?
  •     -> Schwarze Löcher???
  • Das "Freisetzen" des "Klumpens" könnte evt. der "Kickstart" sein, den die Welt braucht, um ein "lebendes" Magiesystem zu entwicklen? (Das sind aber viele Anführungszeichen.)

***

Leute, Orte, usw.:

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gespielt: 31. Oktober 2004 und 11./12. März 2005
rauf


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