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MIDGARD:
Jené

Teil II: Kapitel 5 - 9

Teil I: Kapitel 1 - 4
Teil III: Kapitel 10 - 14


Inhalt

Kapitel 5: Tir Magha
Kapitel 6: Der Weg nach Norden
Kapitel 7: Jené und Umgebung, die Erste
Kapitel 8: Chaenne bis Gaofàr
Kapitel 9: Gaofàr


5. Tir Magha

(13.6. - 17.6. 1025 n.K.)

Am nächsten Morgen hatte sich die Stimmung merklich gebessert. Man entdeckte Himbeeren am Wegesrand und sparte so Rationen: wer wußte, ob man die nicht irgendwann nötiger brauchen würde. Vorerst allerdings ging die Reise durch bewohnte Gegenden, und am späten Vormittag entdeckte man sogar ein Wirtshaus am Weg, wo man einkehrte. Und es bereute. Nicht nur, daß der Laden völlig überteuert war -- diesmal gab sogar Kojiro unumwunden zu, daß das Bier irgendwo zwischen schlecht und gräßlich schmeckte. Auf dem weiteren Weg spann sich die Gruppe (besonders Thegil) aus, einen Konkurrenzbetrieb zu eröffnen.

Nachmittags erreichten die Abenteurer die Abzweigung nach Tir Magha. Schriftzeichen und ein Pfeil auf einem großen Stein wiesen die Richtung zur Magierburg, und Sharevi, die sich am Wegkreuz ein paar Buchstaben des breacischen Alphabets hatte beibringen lassen, war sehr stolz, die Aufschrift entziffern zu können.

Der Himmel hatte sich bedeckt, und nach der Hitze der letzten Tage war ein Gewitter zu befürchten, so daß die Abenteurer, als sie gegen Abend ein Dorf an einem See erreichten, dort um Nachtquartier fragten. Es hieß, sie könnten auf dem Heuboden des Schafstalls schlafen. Faksal zog einen großen Fisch an Land, über dessen korrekte Zubereitung sie noch diskutierten, als der Fisch schon längst gegessen war. In der Nacht hörten sie einzelne dicke Tropfen auf das Dach des Schafstalls patschen, aber das erwartete Unwetter blieb aus.


Ein Blick auf den morgendlichen Himmel zeigte, daß aufgeschoben nicht aufgehoben war, also beeilte sich die Gruppe, voranzukommen. Bald kam die Magierburg in Sicht, ein Stück nördlich der Straße auf einem felsigen Hügels gebaut. Um zum Eingangstor zu gelangen, mußte man einen steilen, gewundenen Weg hinaufsteigen. Kojiros fachmännischem Blick erschien diese Burg als nahezu uneinnehmbar -- wenn nur das Versorgungsproblem gelöst war.

Das Tor war verschlossen, aber auf das Ziehen der Klingelstrippe hin tauchte bald jemand in dem kleinen Fenster über der Tür auf, und nachdem ein paar Worte gewechselt worden waren, öffnete sich das Tor. Ein älterer Mann, der sich als Aelwyn vorstellte, begrüßte sie und führte sie (nach dem obligatorischen Ablegen der Waffen) herum.

Gewisse Befürchtungen in der Richtung, daß die Magier vielleicht nicht gerne Besuch hätten, erwiesen sich zum Glück nur insofern als richtig, daß die Magier diesen Besuch nicht in ihren Wohnräumen und Labors herumspuken haben wollten.


Info: Tir Magha

Tir Magha ist der Sitz der Magiergilde Meall Breacs. Es ist auf einen Berg gebaut der aussieht, als hätte ihn ein Urriese mit einer gewaltigen Axt sauber in zwei Teile gespalten. Die Kuppe des Berges liegt einige hundert Meter über Talhöhe. Der südliche Teil der Burg ist über einen Weg zu erreichen, der ein paar Wegstunden, nachdem man Loch Than passiert hat, in nördlicher Richtung von der Guirean-Straße abzweigt. Der Weg führt etwa eine halbe Wegstunde lang in einem eher sanften Anstieg die Knie des Berges hinauf und dann in steilen Serpetinen zur Burg. Ein Maultier läßt sich den Weg noch hinaufbringen, mit einem Pferd wird es schon schwierig.

Die Südburg enthält das Gästehaus mit Waschhaus, eine Bibliothek mit Schreibstube, einen Garten, Hühner und Ziegen, Wirtschaftsräume, Küche und die Unterkünfte der Angestellten und Wachen. Dieser Teil ist für Besucher zugänglich und man trifft hier immer einige Leute, die etwas in der Bibliothek suchen oder mit den Magiern sprechen wollen. Für Unterbringung, Essen und Bibliotheksbenutzung werden zwei Silberpennys pro Tag und Nase kassiert.

Der Nordteil der Burg ist höhergelegen und durch eine tiefe, einen Steinwurf breite Schlucht von dem Südteil getrennt. Anscheinend gibt es keinen Weg für Normalsterbliche und -unsterbliche, in die Nordburg zu gelangen, ohne von einem der dort lebenden Zauberer eingeladen worden zu sein.

Die wichtigsten Personen der Südburg sind Rúrin, der Haushofmeister (ein Zwerg), Leanna ni Callighe, die Hilfsbibliothekarin, und die Köchin Inniu.


Die Abenteurer hatten grade ihr Gepäck in die spartanisch eingerichteten Zimmer des Gästehauses gebracht und redeten jetzt noch mal mit Rúrin über die genaueren Modalitäten, als das Gewitter losbrach. Gründlich.

Entsprechend überracht waren alle, als mitten im schlimmsten Unwetter die Torglocke ertönte. Der Neuankömmling war ein Wesen, daß die Gruppe ob seiner geringen Körpergröße und seiner jämmerlichen Erscheinung hinter vorgehaltener Hand als 'Gullizwerg' titulierte.

Die Gruppe verbrachte zwei volle Tage in Tir Magha. Den Bibliothekar bekamen sie in dieser ganzen Zeit nicht zu sehen. Von Leanna ni Callighe, der Hilfsbibliothekarin, erfuhren sie, daß der alte Mhulladhair ein Gelehrter auf dem Gebiet der Kreaturenkunde sei und viel Zeit mit der Arbeit an einem Buch verbrachte, das ein Standardwerk über die Kreaturen Meall Breacs werden sollte.

Leanna war sehr freundlich und kompetent, wenn auch leicht überarbeitet, da ihr Gehilfe, ein junger Magier namens Tailliur, die Tätigkeit in der Bibliothek für unter seiner Würde erachtete und nichts tat außer meckern und faulenzen. Bei Sharevi kam er mit seinem Gemaule allerdings an die Falsche: die sah nämlich, wie so oft, nicht ganz, wo das Problem lag (oder wollte es nicht sehen) und sagte tröstend zu ihm, er werde es schon noch lernen, wenn er sich Mühe gäbe.

Die Nachforschungen dauerten etwas, da die Abenteurer praktisch die gesamte Recherche Leanna überlassen mußten: Die meisten Bände in der Bibliothek waren in Altnordisch, Tai Breaca oder Grauelfisch verfaßt, und die Magische Bibliothek in der Nordburg war für die Abenteurer überhaupt nicht zugänglich.

Übrigens gab es eine Brücke über den Abgrund, schmal, ohne Geländer, und ziemlich merkwürdig: mal war sie da, dann, mit einem Augenzwinkern, wieder verschwunden. Thegil und Kojiro bekamen sie nie zu sehen. Sharevi versuchte eine Überquerung, aber ehe sie die Mitte erreichte, wurde ihr so schwindelig, daß sie es lieber aufgab.

Was tun mit der überschüssigen Zeit? Faksal, Thegil und Sharevi lernten, das Tai Breaca zu lesen und machten eine überraschende Entdeckung: der 'Gullizwerg', Dilye mit Namen (den irgendwer in saubere Klamotten gesteckt hatte und der auch kein Zwerg war, sondern ein etwa zwölfjähriger Junge, der eisern behauptete, fünfzehn zu sein), saß in der gleichen 'Klasse' -- und überflügelte sie alle, sogar die fixe Gnomin! Ansonsten ließ sich über Dilye noch erfahren, daß er nicht der Gesprächigsten einer war, wild entschlossen, die Magie zu lernen, und regelmäßig Portionen verdrückte, von denen eine doppelt so große Person hätte satt werden können. Wozu man sagen muß, daß das Essen ausgezeichnet war. Inniu, die Köchin, war eine auch über ihre (vegetarische) Kochkunst hinaus beeindruckende ältere Dame. Nicht einmal Tailliur wagte es, in ihrer Hörweite zu meckern.


Kojiro konnte für die Bildungsbeflissenheit der anderen wenig Begeisterung aufbringen und langweilte sich gründlich. Wenn wir dann erst mal in Jené sind, überlegte er sich, stehen wir wahrscheinlich vor einer seit tausend Jahren verschlossenen und verrammelten Tür. Hm! Könnte es wohl sein, daß uns ein Brecheisen dann gelegen käme?

Der Söldner zog also los, um einen Universaltüröffner zu besorgen und erstand im Dorf am Fuße des Berges eine solide Axt.


Leannas Suche ergab derweil folgende Informationen:

In der Bibliothek in der Nordburg habe ich ein Buch über Astromomie und eine Sammlung astronomischer Tafeln gefunden, für die ein gewisser Miciona von Jené als Autor zeichnet. Beide Werke sind sehr alt und wertvoll, sie sind in Altnordisch geschrieben, in einer Runenschrift, die seit vierhundert Jahren nicht mehr in Gebrauch ist. Vorne in dem Astronomiebuch steht eine Widmung, Dieses Buch widme ich in aller Bescheidenheit meinem hochgeschätzten Lehrer und Mentor, Yen-Kinon von Jené, der mir die Augen für die Wunder und Rätsel der Welten öffnete. Miciona. Unter diese Widmung ist ein neunzackiger Stern gezeichnet.

Den neunzackigen Stern habe ich noch in drei anderen Büchern gefunden, einem Buch über Kosmologie, einem erdmagischen Zauberbuch und auf einem so dermaßen abstrusen Werk, daß ich nicht mal rausgekriegt habe, wovon es handelt. In dem Standardlexikon der Symbole von 812 ist aber kein neunzackiger Stern erwähnt. Also habe ich mich weiter mit Micionas Büchern befaßt. Das Astronomiebuch ist vermutlich der zweite Band eines mehrbändigen Werks, aber der einzige, den wir haben. Die astronomischen Tafeln beschreiben Konstellationen, die, wenn ich richtig gerechnet habe, vor 1100 oder 500 oder 200 Jahren am Himmel zu sehen waren. Es ist möglich, das genauer zu berechnen, und ich denke, wenn ich mich da wirklich hinterklemme, finde ich auch noch mehr über Yen-Kinon und Jené und so, also wenn ihr vielleicht wiederkommt, wenn das Feuer des Winters am Morgenhimmel steht..., also, im September, meine ich...


Failinn, Angestellte in der Südburg und Hobby-Gelehrte konnte noch einiges hinzufügen:

Dieses altnordische Runenalphabet wurde für magische Zwecke benutzt, ehe man anfing, danit zu schreiben. Jede Rune hat einen Namen und eine Bedeutung. Es gibt mehrere mögliche Anordnungen des Alphabets. In jeder Anordnung gibt es bestimmte Beziehungen, die ein tieferes Verständnis der Runen und der Regeln der magischen Welt, die sie abbilden, ermöglichen.

Die Rune 'Yhen' steht für Wissen, Erkenntnis, Klarheit und das Zusammenfassen von Kräften. 'Nên' steht für Macht, Dominanz und Kontrolle. Das letzte Zeichen in der gewöhnlichen Ordnung heißt 'Kôi' und steht Ganzheit und Vollkommenheit -- und für die Zahl Neun.

In der 'Mhyr', der kreisförmigen Ordnung, liegen sich Yhen und Nên gegenüber, was man so interpretiert, daß sie Seiten einer Münze sind. Im 'Keryr', der Anordnung des Kosmischen Kreuzes, liegen die beiden Runen im Kreuzungspunkt. Auf Yhen folgt im aufsteigenden Ast noch 'Layi', Weisheit, und 'Mhan', Transformation, auf Nên folgen im absteigenden Ast 'Char', Unterdrückung, und 'Ter', Zusammenbruch.

Naja, das ist alles ziemlich abgefahrenes Zeug, selbst für einige von den Magiern...


Da mußten die Abenteurer Failinn recht geben! Faszinierend war die Sache ja schon, aber doch von eher bescheindenem praktischen Nutzen. Denn egal was es mit Jené nun auf sich hatte -- zuerst mußte man es ja mal finden!

Am Ende kam den Abenteuerern einfaches Glück zur Hilfe. Inniu hatte von ihren Forschungen Wind bekommen und sich daran erinnert, daß einer der Diener gelegentlich eine Spukgeschichte erzählte, die er von seiner Großmutter gehört hatte, und in der ein Ort namens Jené vorkam. Sie schickte die Abenteurer also zu Aelwyn...

Jené? Kindergeschichten... Ich werd's nie vergessen, meine Granma, wenn wir Kinder uns geprügelt hatten, sagte sie, die Geister von Jené kommen in der Nacht und holen die unartigen Kinder, wir glaubten ihr jedes Wort... jagten uns nächtelang gegenseitig Angst ein, daß um Mitternacht ein Schwarzer Mann mit glühenden Augen ans Fenster klopft... was man als Kind so glaubt. War schon ne bemerkenswerte Frau, meine Granma, was die für Geschichten kannte!

Ach, Jené. das war so ne Gegend, ein' Tag von unserm Dorf entfernt wohl, bei klarem Wetter konnt' man so weit gucken... soll wohl irgendwann mal'n Turm gestanden haben, war aber nichts mehr da wie ich'n Kind war. Vielleicht auch nur ne Geschichte, galt als spukig die Gegend, nicht geheuer, ich bin da nich hingegangen. Wüßte auch von keinem, der's gemacht hat.

Mein Dorf, das heißt Gaofàr, ihr geht die Nordstraße längs, an der Gabelung rechts und dann so lange gradeaus, bis es nicht mehr geht, da seht ihr dann die Grauen Berge schon. Ihr geht dann die Riada-Straße nach Norden, so ein, zwei Tage, dann seid ihr da.


Endlich was Handfestes! Die Grauen Berge kannte Sharevi sogar, diese Bergkette bildete die Grenze zwischen ihrem Heimatland und Meall Breac. Damit gab es keinen Grund, noch länger in Tir Magha zu bleiben, und am Morgen des 17. packten die Abenteurer ihren Kram, bezahlten ihre Rechnung und machten sich auf die Strümpfe. Kurz bevor sie die Burg verließen, sahen sie noch, wie eine in Roben gehüllte Gestalt mit Dilye sprach, und vermuteten ganz richtig, daß die Zauberer den Jungen jetzt auf die Nordburg holten.

Die Sache mit dem 'Gullizwerg' hatte noch ein Nachspiel.: Etwas auf halbem Weg ins Tal kam der Gruppe ein vierschrötiger, rothaariger und ziemlich wütender Mann entgegen, der, von der Gruppe angesprochen, unter zahlreichen Schimpfworten von sich gab, er suche seinen entlaufenen Hütejungen, so einen dummen Drecksbengel, der ihn obendrein noch bestohlen habe! Um zwei Silberstücke, zwei ganze Silberstücke, dieser Lausebengel, einfach ausgerückt sei er mit dem schwerverdienten Geld seines Herrn, und der könnte was erleben, dem würde er das Fell gerben, wenn er ihn in die Finger bekäme, zwei ganze Silberstücke!

Worauf Sharevi tröstend meinte, das sei doch nicht so schlimm, und er würde in seinem Leben doch bestimmt noch oft zwei Silberstücke sehen.

Der Vierschrötige erwog kurz, sich mit der Gruppe anzulegen oder vor Wut vom Schlag getroffen zu werden, verwarf dann aber beide Möglichkeiten und stapfte zornig, fast noch Rauch aus den Nasenlöchern ausstoßend, weiter bergauf, dieweil Sharevi fragte, was sie denn nun wieder falsch genmacht hätte, und der Rest der Gruppe sich vor Lachen auf dem Boden wälzte.

Während des ganzen Tagesmarschs versuchte Thegil mit wahrer Elfengeduld, der Nomadin das Konzept der Geldgier zu erklären, kam dabei aber nur soweit, daß Sharevi wieder einmal feststellte 'Die spinnen, die Südländer' -- und Thegil fühlte sich nicht sonderlich berufen, dieser Aussage zu widersprechen.

Das Wetter war nach dem Gewitter trübe und regnerisch geworden, man übernachtete im gleichen Schafstall und wurde mit dem gleichen "na kommt, raus mit euch, ihr Faulpelze", das den gleichen Schafen galt, geweckt.

rauf


6. Der Weg nach Norden

(18.6. - 21.6.1025 n.K.)

Der 18. Juni verlief ereignislos. Kojiro beklagte sich über das Wetter, Thegil und Sharevi rissen Witze, und Faksal trug sowohl das Wetter wie auch den Rest der Gesellschaft mit Fassung. Sie bogen wieder auf die Nordstraße ein und erreichten gegen Abend die Gabelung, von der Aelwyn gesprochen hatte. An der Gabelung stand ein Schuppen, den ein krakelig gemaltes Schild als Wirtshaus mit dem schönen Namen "Tränke" auswies. In der "Tränke" gab es zwar nicht viel, aber das für wenig Geld. Außer den Abenteurern verbrachten noch eine fahrende Heilerin namens Fianna und der Wollhändler Ossan mit seinem Sohn die Nacht unter Carns leckem Dach. ("Es regnet nur bei Ostwind rein, und bei Ostwind regnet's fast nie...")

Thegil unterhielt sich lange mit der Heilerin, die ihn immens beeindruckte, und erkundigte sich schließlich, ob sie vielleicht einen Gehilfen und Mitreisenden bräuchte. Sie brauchte nicht, war aber gerne bereit, einen Schüler oder Gesellen anzunehmen, sofern dieser Lerneifer, Zeit (mindestens drei Monate!) und sein eigenes Pony mitbrächte. Thegil fehlte es zu seinem größten Bedauern an einigem davon, aber er versprach, auf das Angebot zurückzukommen.

Fianna hatte auch von Jené gehört:

Das liegt nordöstlich von hier, am Rand der Grauen Berge. Die Gegend hat einen schlechten Ruf, allerdings nicht wegen Jené, wenn ihr mich fragt, sondern wegen des Gesindels. Bleibt auf der Straße, solange es geht, das sind etwa drei bis vier Tage zu Fuß. Wenn die Straße sich dann wieder gabelt, bei dem Wirtshaus am Trollstein, müßt ihr querfeldein, gradewegs auf die 'Drei Schwestern', das ist ein markanter Berggipfel, zu. Reist auf keinen Fall bei Nebel durchs Gelände! Ihr könnt auch an der Gabelung nach Norden gehen und dann in einem der Dörfer fragen, in Carden vielleicht oder in Gaofàr. Wenn ihr gutes Wetter habt, könnt ihr in sechs Tagen Jené erreichen. Erwartet aber nicht zu viel davon: 'Jené' ist einfach nur ein Stück Bergwiese, wo einige Einheimische bei Vollmond einen Turm gesehen haben wollen.


Aber auch Ossan wußte von Jené zu erzählen:

Jené ist eine kleine Stadt, zwei Tage von hier im Norden/Nordwesten. Tatsächlich mein nächstes Ziel. Es gibt dort eine Turmruine, in der es spukt. Ja, ganz sicher, ich habe sie selbst schon gesehen. Druiden? Weiß ich nicht, ob Druiden damit zu tun haben. Schon möglich. Sonst weiß ich von keinem Jené. Wir könnten zusammen reisen, das ist auf den Straßen heutzutage sicherer. Ihr seht aus, als ob ihr zu kämpfen wüßtet -- wie wär's, ihr begleitet mich, ich zahle jedem einen Silberpenny... es ist wirklich sicherer, nicht allein zu reisen.


Was tun? damit, daß es plötzlich zwei Jenés geben würde, hatte nun wirklich keiner gerechnet. Nach längerem Grübeln entschloß sich die Gruppe, den Wollhändler zu begleiten: Zwar war keiner so ganz davon überzeugt, daß es sich bei Jené um eine einfache Turmruine in einer einfachen Kleinstadt handelte (das hörte sich einfach falsch an), aber Ossans Jené lag näher, und die Abenteurer überlegten sich, daß es besser war, eine kurze als eine lange Reise vergeblich zu machen.


Der Morgen des 19. war regnerisch. Fianna brach zu Thegils Betrübnis früh auf, ein Stück gemeinsamen Weges konnte sie nicht motivieren, ihre Geschwindigkeit der eines Karrens anzupassen.

Die Reise dauerte drei Tage, und die Abenteurer hatten ziemlich bald den Eindruck, daß sie hauptsächlich aus dem Grund angeworben worden waren, den Karren des Händlers regelmäßig aus Schlammlöchern in der vom Regen aufgeweichten Straße zu ziehen. Die Landschaft war öde, es gab nur wenige Dörfer, dafür aber um so ausgedehntere Gras- und Heideflächen, vereinzelt Seen und Moore und verstreute Gehölze. Die Straße führte langgezogene Bodenwellen hinab und hinauf (mehr hinab als hinauf, immerhin was), und war in traurigem Zustand. Der andauernde Regen und der stetige Westwind machten es nicht besser. Sogar Sharevi begann, übers Wetter zu meckern: die Temperaturen seien ja ganz nett, aber warum müsse es hier soviel regnen?


Der Mittsommertag dämmerte endlich grau, aber trocken, und im Laufe des Vormittags fegte ein kräftiger Wind von Norden die Wolken weg. Weit im Norden sahen die Wanderer eine schneegekrönte Bergkette: Die Berge Am Ende Der Welt. Noch bevor die Sonnne im Westen stünde, meinte Ossan zuversichtlich, würde man die Stadt Jené erreichen und dort Mitsommer feiern können.

So einfach war es dann natürlich doch nicht.

Kurz nachdem die Gruppe aufgebrochen war, kam ihnen auf der Straße ein Kastenwagen entgegen, auf dem eine müde aussehende Frau mittleren Alters saß. Sie war, stellte sich heraus, eine reisende Händlerin mit Namen Ronayne und eine alte Bekannte von Ossan. Sie warnte die Gruppe, daß der Gesetzlose Brannor mit seiner Bande zwischen hier und Jené die Straße unsicher machte. Sie selbst sei bei Nacht gereist, um Ärger zu vermeiden, aber Ossan mit seinem starken Geleitschutz sollte wohl keine Schwierigkeiten haben.

Der Stärkste des Geleitschutzes sah in dem Zusammentreffen mit der Händlerin ein Zeichen der Götter, endlich ein gewisses Amulett, das sich als komplett untauglich erwiesen hatte und dessen Verkäufer baldestmöglich seine Niedertracht bereuen würde, mit minimalem Verlust loszuschlagen. Ob er den Verlust tatsächlich minimierte, sei dahingestellt, aber Ronayne kaufte ihm das gute Stück nach ausgiebiger Feilscherei tatsächlich todernsten Gesichts ab, und somit war Kojiro wenigstens das sichtbare Zeichen seines peinlichen Kaufs los.

Der Weitermarsch fand in "Schlachtordnung" und (natürlich) unter maximalen Vorsichtsmaßnahmen statt. So kam es, daß Faksal an einer Stelle, wo die Straße zwischen zwei buschbewachsenen Böschungen durch führte, bemerkte, daß da im Wortsinne etwas "im Busch" war. Sie warnte die anderen und machte ihre Schleuder bereit. Die Warnung wäre kaum nötig gewesen, hinter der Hügelkuppe warteten nur zu deutlich sichtbar drei zerlumpte, bewaffnete Gesellen, die dreist "Wegzoll" forderten. Da waren sie aber an die falschen geraten! Kojiro zog seinen Bihänder (endlich was zu tun!), Faksals Schleuder schwirrte, und noch bevor der Räuberhauptmann seinen Strauchdieben ein "zum Angriff" zurufen konnte, war der erste der Bande schon mittels eines gut gezielten Schleudersteins ausgeschaltet. Sharevi warf noch einen Speer nach einem der Weg-Blockierer, ein paar Pfeile flogen ziellos durch die Gegend, und dann ging der Tanz los. Die Räuber, zeigte sich schnell, waren einer Fehlkalkulation aufgesessen: Sie hatten vier Kämpfer (der Junge und der Gnom galten ja wohl nicht) gezählt und sich in der dreifachen Übermacht geglaubt. Dabei hatten sie vor allem den Typen mit dem Bihänder unterschätzt: Wo Kojiro hinhaute, wuchs kein Gras mehr!

Dafür kriegte Sharevi gleich am Anfang eins ins Kreuz und veranstaltete einen taktischen Rückzug unter den Wagen, und der Händler zeichnete sich vor allem durch Ungeschicklichkeit aus. Zum Glück ging es seinem Gegner nicht besser: die beiden standen wohl an einer besonders glitschigen Stelle und ihr Kampf hatte mit nichts soviel Ähnlichkeit wie mit einer soliden Schlammschlacht.

Letztendlich war es Kojiro mit seinem Bihänder, der den Kampf entschied. Er verletzte den Räuberhauptmann so schwer, daß der zusammenbrach. Damit war die Moral der Bande zum Teufel: Was noch rennen konnte, rannte. Thegil und Kojiro gelang es, einen der Fliehenden wieder einzufangen -- Thegil traf ihn schwer am Arm -- und was im Folgenden geschah, sollte dem Elfen noch Wochen später anhängen: als er sah, daß der Eingefangene in wenigen Minuten verbluten würde, heilte er ihn -- der Räuber, überrascht, aber fest entschlossen, sich von diesem Ort zu entfernen, rannte -- und Thegil schlug ihn nochmals nieder. Wie er später sagte, hatte er ihn nur betäuben wollen, dabei aber anscheinend seine eigene Stärke unterschätzt -- jedenfalls kam dieses mal für den Räuber jede Hilfe zu spät.

Der Elf stellt fest, daß dieses Leben ein hartes sei und war für den Rest des Weges deprimiert. Kojiro dagegen hatte Ronayne gut zugehört, als diese sagte, daß die Räuber Kopfgeld wert seien, verschnürte, was sich noch regte, brachte den Händler von der Idee ab, die Hälfte des Kopfgeldes für sich zu fordern, sorgte dafür, daß tote und (noch) lebendige Räuber auf den Karren geladen wurden und die Reise weiterging. Der Söldner war allerdings der einzige aus der Gruppe, der bei all dem nicht die geringsten moralischen Bedenken hatte. Faksal und Sharevi gelang es, die Angelegenheit schließlich pragmatisch zu betrachten, aber dem Elfen ging es schlecht.

Kojiro dagegen freute sich so richtig an der Beute: mehrere Schmuckstücke geringen Werts, das Kurzschwert des Räuberhauptmanns, und ein goldener (wirklich goldener!) Ring, vermutlich ein Siegelring, mit dem Kopf eines gehörnten Drachen verziert.

Der Ring blieb ihm jedoch nicht lange erhalten. Jené war schon in Sichtweite, als sie vor sich auf der Straße einen unglaublich mageren, in Lumpen gekleideten Mann sahen, der eine schmutzige Binde über den Augen trug und an dessen großen Ohren wenigstens ein Dutzend auffällige Ohringe hingen. Er kam ihnen entgegen und sie begrüßten ihn, wie es ihre Gewohnheit war, freundlich. Der seltsame Fremde trat zu ihnen -- und schnappte sich mit sicherem Griff Kojiros Geldbeutel mitsamt Ring. Ein kurzes Handgemenge folgte. Es gelang dem frechen Dieb, sich loszureißen, aber in dem Getümmel verrutschte seine Augenbinde und man sah, daß er große, völlig grüne und fast leuchtende Augen hatte -- ohne Weißes und Pupille. Der Händler murmelte ein Gebet zu Cardir, die Abenteurer waren dagegen vor allem sauer. Sharevi schickte dem Wesen einen Speer hinterher, verfehlte es aber und erreichte nur, daß es kurz stehenblieb, den Speer aufhob, grinste und seine Flucht fortsetzte. Kojiro rannte ihm nach, holte auf -- aber dann verschwand das Wesen hinter einer Straßenbiegung und war weg. Einfach weg.

Thegil hatte den üblen Verdacht, es könnte sich bei dem Wesen um einen Dämon gehandelt haben. Und als ob der Tag nicht anstrengend genug gewesen wäre. hatten Faksal und Kojiro, während sie weitergingen, das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden, als sei der weite blaue Himmel ein einziges großes Auge, das auf sie herabstarrte.

rauf


7. Jené und Umgebung, die Erste

(21.6. - 23.6.1025 n.K.)

Zum Glück erreichten sie eine Stunde später Jené und hatten von da an Ablenkung genug. Das Mittsommerfest in der kleinen Stadt (der zweitnördlichsten Meall Breacs, wie man ihnen später sagte) war schon in vollem Gange. Am Nachmittag hatten die Wettkämpfe (Felsblockwerfen, Faustkampf, Armdrücken, Lügengeschichten erzählen) stattgefunden, jetzt stimmten die Musikanten ihre Instrumente, die Bierfässer waren angestochen und Hammel drehten sich an Bratspießen. Die Ankunft eines Karrens voller verschnürter Räuber mitten im Trubel blieb nicht unbemerkt: bald drängte sich ein blonder junger Mann durch die Menge zu den Abenteurern vor. Er hatte eine Statur, daß sich ein Bär hinter ihm hätte verstecken können und einen deutlich sichtbaren blauen Fleck im Gesicht, beglückwünschte die Abenteurer, dankte ihnen ausgiebig und erklärte sie zu Ehrengästen. Außerdem würde er anläßlich der Ergreifung der Räuber den Feiernden noch zwei Fässer Bier und einen Ochsen stiften. Allgemeines Gejohle. Erst allmählich wurde den Helden klar, daß sie hier den Lord Conall Mac Mhurdil vor sich sahen.

Der Wollhändler wollte sich im allgemeinen Durcheinander unaufällig verdrücken, aber das entging Faksal nicht: "Moment mal -- erst unser Lohn!"

Der Rest des Tages und der kurzen Mittsommernacht war Fete. Thegil war leider schon zu geschlaucht, um noch viel davon zu haben. Er hörte eine Weile den Musikanten zu und suchte sich dann eine ruhige Stelle, um sich aufs Ohr zu hauen. Sharevi tanzte die ganze Nacht durch und lachte sich einen hübschen Jüngling an. Was Kojiro tat, wurde nicht berichtet. Faksal trieb tatsächlich in einer Ecke einen Geschichtenerzäbhler auf und fragte nach der Ruine.

Die Ruine ist alt, älter als unsere Stadt jedenfalls, als die ersten Siedler unter dem Herrn Amrhan Mac Marach in dieses Land kamen, stand sie schon dort, verfallen wie heute, und wartete. Niemand weiß, wer den Turm, der einstmals dort stand, erbaute, niemand weiß, wer oder was ihn zerstörte. Die Leute holten Steine von dort, mit denen sie ihre Häuser bauten, wenngleich sie den Ort des Nachts mieden.

Nun lebten aber zur Zeit Bechtar Mac Carns, des sechsten Lords von Jené und Großvater des jetzigen Lords, in der Stadt ein Mädchen namens Eivlin ni Eithe und ein Junge, der Ceobhran Mac Andor hieß, und die beiden liebten sich.

Eivlins Eltern waren tot, und ihr älterer Bruder, Cronach Mac Dhaimer, meinte, es sei seine Aufgabe, Hüter seiner Schwester zu sein -- und er hütete die hübsche Eivlin eifersüchtig. Speziell von Ceobhran hatte er überhaupt keine gute Meinung, und daß dieser seiner Schwester den Hof machte, brachte Cronach in Rage. Er drohte mehrfach, so wird erzählt, Mac Andor zu töten, wenn er ihn noch mal mit Eivlin erwischte -- er war völlig verrückt in dieser Sache.

Eivlin und Ceobhran jedenfalls ertrugen das nicht länger und beschlossen, zusammen Jené zu verlassen und in der Ferne ihr Glück zu suchen. Doch der mißtrauische Cronach beobachtete sie und folgte ihnen, bis es sie schließlich an der Ruine, eine Wegstunde vor der Stadt stellte. Keiner Vernunft mehr zugänglich forderte Cronach den viel schwächeren Ceobhran zum Kampf. Ceobhran verteidigte sich tapfer, aber Cronach, rasend vor Wut, bedrängte ihn schwer, und schließlich fiel Mac Andor und Cronach hob die Waffe zum tödlichen Streich. Doch in diesem Moment riß Eivlin, die dem ungleichen Kampf voll Zorn und Sorge zugesehen hatte, ihren Dolch aus der Scheide und tötete ihren eigenen Bruder mit einem Stich in den Rücken.

Niemand weiß, wohin Eivlin und Ceobhran gegangen sind, vom Fluch des Brudermordes verfolgt, doch gewiß ist, daß der Geist der bösen Tat heute noch die Ruine heimsucht.


Am nächsten Morgen (naja, Mittag) erwachte Thegil als erster von den Gefährten und fing sich noch vor dem Frühstück einen gewaltigen Schrecken ein: direkt neben seinem Kopf steckte Sharevis verschollen geglaubter Speer im Boden. Am oberen Ende hing Kojiros Beutel mit sämtlicher Barschaft, wenn auch ohne den wertvollen Ring, dafür mit einem Zettel, auf den in Hochelfisch geschrieben war "tut mir leid". Thegil untersuchte eilig seine eigenen Besitztümer und stellte fest, daß aus seiner sorgsam gehüteten Murmelsammlung zwei Exemplare fehlten -- dafür waren auf ebenso unerklärliche Art zwei Silberpennys in den Beutel geraten. Die Abenteurer spekulierten, was für ein Wesen wohl imstande sei, sich nahe genug an den Elfen heranzuschleichen, um seine Murmelsammlung auszunehmen, bis Thegil die Diskussion mit der Bemerkung abschnitt, so erschöpft wie er am Abend vorher gewesen sei, hätte sich ein Dutzend gepanzerte Ritter an ihn heranschleichen können. Außerdem, fügte er hinzu, möge das Wesen offensichtlich Murmeln, könne Elfisch schreiben und sei somit kultivierter als etliche Menschen, die er in der letzten Zeit getroffen habe, folglich, Dämon hin oder her, könne es unmöglich schlecht sein.

In die Debatte hinein kam ein Bote des Lords Conall, der die Gruppe einlud. Man lehnte nicht ab, wusch sich gründlich, stieg in saubere Plünnen und tauchte etwa zu Mittag bei einem etwas verkaterten, in einem abgedunkelten Zimmer sitzenden Lord auf.

Die Gruppe erfuhr, daß Brannors Bande eine rechte Landplage gewesen war, die nicht mal davor zurückschreckte, Bauern zu überfallen, wenn es mit Reisenden mal grade schlecht aussah. Jetzt würden diese Lumpen, wie sei es verdienten, von der Stadtmauer baumeln, und den Fremden könnte gar nicht genug gedankt werden. Der Lord unterstrich seine Dankbarkeit mit einem Beutel Silber und einer Flasche vom besten Selbstgebrannten -- mit der Distelblüte, seinem Zeichen, auf dem Verschluß.

Insgesamt dauerte der Aufenthalt "bei Hofe" nicht sehr lange. Schließlich hatten die Abenteurer noch etwas vor und Lord Conall einen Kater.

Thegil und Kojiro suchten den einzigen Krämer des Ortes auf, um Beutestücke zu verscherbeln. Der Söldner hielt die gebotenen Preise für völlig unzureichend und erzählte die wüstesten Geschichten, um den Preis zu treiben. Der Elf wußte zwar, daß der Krämer weit unter Wert bot, aber er versank trotzdem fast im Boden. als er hörte, was sein Begleiter sich so alles einfallen ließ.

Aus dem Beute-Verkloppen wurde nichts, dafür fand Thegil unter allerhand Krempel zwei außerordentlich prächtige Glasmurmeln, die, wie er erfuhr, aus der sagenhaften Stadt Soineanne stammten, die in den Bergen Am Ende Der Welt lag. Noch ein Ort, den man mal besuchen könnte.

Sharevi und Faksal waren derweil auf der Jagd nach weiteren Informationen, die den Spuk in der Turmruine betrafen. Endlich gerieten sie an Thymal, einen Trunkenbold, der Beteiligter an jener Geschichte gewesen war, die den miesen Ruf des Gemäuers endgültig zementiert hatte.

Vor fünf Jahren kam ein Landstreicher in den Ort, der den Mund gewaltig voll nahm, was für ein großer Held er doch wäre. Thymal hielt nichts von Großschwätzern und wettete, daß der Typ noch nicht einmal den Nerv haben würde, eine Nacht am Spukturm zu verbringen. Der Landstreicher, längst nicht mehr nüchtern, nahm die Wette sofort an und marschierte schnurstracks zum Turm, obwohl die Nacht scheußlich kalt und naß zu werden versprach.

Am nächsten Tag nach dem Frühstück war er immer noch nicht wieder aufgetaucht. Thymal ging zur Ruine, um noch seinem Wettkumpan zu gucken, und er fand ihn dort auch...in kleinen Stücken.


Man war sich einig, daß es eine gute Idee wäre, diese kleine Sightseeing-Tour bei Tageslicht zu unternehmen, und brach noch am gleichen Nachmittag auf. Die Ruine lag etwa eine Stunde von Jené entfernt und machte einen völlig unspektakulären Eindruck. Ein zerfallendes Steinrund, Rest einer ehemals starken Mauer, Kaninchen und Ginstersträucher. Im Laufe einer genaueren Suche entdeckte Thegil eine Kellertreppe, indem er sie herunterfiel. Aber auch der Keller machte nicht besonders viel her: schimmelig, muffig und zum Teil eingestürzt. Zu einer genaueren Untersuchung blieb den Abenteurern keine Zeit. Auf einmal begann die Luft in der Mitte des Raumes zu flimmern, und aus dem Nichts materialisierte ein menschengroßes Ungeheuer. Bevor es damit fertig war, waren die Helden schon am Rennen! Die drei Leichtgewichte der Truppe kamen ohne weiteres die Treppe hinauf ans Tageslicht, aber unter Kojiro brachen die altersschwachen Stufen zusammen. Zum Glück überstand der Söldner dies ziemlich unbeschadet und fing sofort an, die Wand hochzuklettern, was recht gut ging. So entkam auch er dem Spuk -- im Gegensatz zu einem seiner Stiefel.

Die Abenteurer sahen zu, daß sie Land gewannen. Als sie sich aus sicherer Entfernung umschauten, sahen sie eine groteske, halbmenschliche Gestalt auf der Turmmauer stehen und an Kojiros Stiefel kauen.


Das war's ja nun wohl nicht. Sie hielten Kriegsrat und beschlossen, noch einen Tag in der Gegend zu bleiben und mit einem Druiden zu sprechen, der bei einem Hain ein gutes Stück westlich der Stadt lebte. Kojiro stattete seinem alten Bekannten, dem Krämer, noch einen Besuch ab und erstand ein neues (gebrauchtes) Paar Stiefel annehmbarer Qualität, und dann war auch dieser ereignisreiche Tag vorbei.


Den nächsten Tag verbrachten sie auf der Straße. Bis zum Hain des Druiden war es wirklich eine ganze Ecke, und niemand hatte es besonders eilig. Faksal sprach mit dem Alten, der für einen Einsiedler ganz schön auf dem Laufenden war.

"Jené", erfuhr Faksal, war nur der Name der Stadt im lokalen Dialekt, in den Karten sei der Ort als "Chaenne" eingetragen -- das Jené, daß sie suchten, befände sich weit im Osten und sei ein Ort von höchst zweifelhafter Reputation, und die Reputation Yen-Kinons sei, soweit überhaupt möglich, noch zweifelhafter.

Die Motivation der Gruppe schien dem Einsiedler jedoch annehmbar, und so erhielt Faksal einige wertvolle Tips zur Vorgehensweise, wenn auch Thegil ganz blaß wurde, als er davon hörte: "Du meinst, wir sollen uns in einer hübschen Vollmondnacht in einer spukigen Gegend einfinden, brüllen 'Samiel, Samiel, erschein!' und auf das Beste hoffen? Selbst wenn er sich an die Geistergesetze hält und uns zu nichts zwingen kann, kann das ganz schön fies werden!"

Was allerdings nicht hieß, daß Thegil in irgendeiner Form gegen die Fortsetzung der Expedition war, und die anderen waren es ebensowenig.

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8. Chaenne bis Gaofàr

(24.6. - 5.7.1025 n.K.)

Die Abenteurer brachen erst gegen Mittag auf. Schließlich hatte man noch zu frühstücken, Wäsche mußte gewaschen werden (und getrocknet), und natürlich gab es eine Menge zu bereden. Der Druide hatte angedeutet, daß es sich bei dem mysteriösen Ringdieb um einen Dämon gehandelt haben könnte, was ein halbwegs beunruhigender Gedanke war. Aber spielen Dämonen Murmeln?

Sie kamen an diesem Tag nur bis zu der Stelle, wo die Räuber versucht hatten, sie zu überfallen. Faksal untersuchte die Spuren und stellte fest, daß die überlebenden Bandenmitglieder in Richtung Westen geflohen und seither nicht wiedergekommen waren. Die Gruppe entschied sich gegen eine Verfolgung -- es gab wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren, und die Gesetzlosen hatten in dem unübersichtlichen Gelände ein Heimspiel. Es schien klüger, noch ein gutes Stück Weg zwischen sich und diesen Ort zu legen, und so liefen sie noch weit in die Dunkelheit hinein. Die Nacht war sternklar, der lokale Wettergott schien für seine Untaten auf der Herreise wieder gut machen zu wollen.

Die Nacht und der nächste Tag vergingen ohne besondere Ereignisse, abgesehen von einem einzelnen Reiter auf einem guten Pferd, den sie gegen Abend sahen. Er war mit Langschwert und Stoßspeer bewaffnet, trug ein Kettenhemd und einen Überwurf in dunkelrot und weiß.

Am nächsten Morgen sahen sie weitere Leute in diesen Farben, die, so erfuhren sie, die Farben des Lords Gairec Mac Guireans waren, des Herrn dieses Landstrichs. Der Lord ließ die Brücke über den schmalen Fluß reparieren, der die Nordweststraße kreuzte. Früher im Monat hatte es einige Unwetter gegeben, und ein Hochwasser hatte die Brücke weggerissen. Die Abenteurer überquerten den Fluß an der Furt, die sie auf dem Hinweg entdeckt hatten -- fertig war die Brücke noch nicht -- und waren ziemlich angetan von diesem Lord, der keinen Wegzoll nahm, aber Brücken reparieren ließ.

Und so standen sie am Abend des 26. wieder dort, wo sie eine Woche zuvor schon mal gewesen waren -- vor der "Tränke", deren Wirt sie schon freundlich begrüßte. Es war noch früh am Abend, und da die Helden das Gefühl hatten, heute noch keine gute Tat getan zu haben, reparierte Faksal das lecke Dach der "Tränke". Carn war dankbar genug und berechnete ihnen keinen Kupferpenny für ihren zweiten Aufenthalt. Thegil vernahm's mit Erleichterung, denn der Elf hatte ausgerechnet, daß ihr Geld, Sprsamkeit hin, Räuberkopfgeld her, kaum ausreichte, um bis zum nächsten Vollmond über die Runden zu kommen. Von der Rückreise ganz zu schweigen.

Später traf ein weiterer Gast in der "Tränke" ein, ein Mensch namens Bhanabhye, der seine Profession mit "Geschichtenerzähler und Taschenhändler" angab. Er käme aus dem Osten, aus dem Land des Lords Dal Riada, und hätte sich auf "lehrreiche Geschichten" spezialisiert. Auch über Jené wußte er eine lehrreiche Geschichte , die besagte, daß die Zauberer in Jené korrupt geworden seien und viel Böses getan hätten. (Wenngleich, fügte er hinzu, oft in bester Absicht. Unheil sei vor allem daraus entstanden, daß sie schließlich glaubten, Götter spielen zu können.) So sei dann eines Nachts ihr ganzer Turm und Orden vom Boden der Erde verschwunden. Nur Yen-Kinon, der sagenhafte Gründer des Ordens, überlebte den Untergang und ist nun dazu verdammt, so lange auf der Erde zu wandern, bis er all seine bösen Taten mit guten aufwiegen kann.

Über die Straße nach Osten konnte Bhanabhye die vielleicht nicht sehr lehrreiche, aber doch nützliche (?) Warnung geben, daß dort die zwei geringeren Lords Mac Anach und Mac Dráin gerade dabei waren, eine uralte Fehde wegen drei gestohlener Hammel oder ähnlicher Untaten der Großväter wieder aufleben zu lassen. Die Straße führte durch die Ländereien beider Lords, und es könnte, gelinde gesagt, lästig sein, dort zwischen den Fronten erwischt zu werden.

Die Gruppe war absolut nicht wild darauf, eine alt-breacische Fehde live und in Farbe zu erleben und ließ sich eine Schleichweg beschreiben, auf dem sie hoffentlich die beiden Streithähne und ihre Krieger vermeiden konnten.

So fand der nächste Morgen sie auf dem Weg zur Brücke, von wo aus sie sich flußaufwärts ins Gebüsch schlugen. Sie kamen nur langsam voran, da sie ihre Umgebung ständig mißtrauisch im Auge behielten, gerieten aber nicht in Gefahr, sich zu verlaufen. Ihre wichtigste Landmarke, der Gipfel des seltsam geformten Hornbergs, war in der klaren Luft gut zu sehen.

Das Gelände machte der Gruppe am nächsten Tag noch einige Sorgen. Um nicht von eventuellen Spähern gesehen zu werden, hielten sie sich in den Tälern, womit natürlich für Orientierungsschwierigkeiten und nasse Füße reichlich gesorgt war. Tatsächlich wimmelte die Gegend von Scouts, und einer entdeckte auch die Spur der Abenteurer, verlor sie aber zu deren Glück wieder, als sie Mac Anachs Ländereien betraten. Mac Anach hatte aber ebenfalls Scouts...

Am Abend waren die Wanderer mächtig erschöpft. In einer kleinen Höhle in einer steilen Wand schlugen sie ihr Nachtlager auf.

Leider diente eben diese Höhle einem großen Bären gelegentlich als Durchgangswohnsitz. Meister Petz erschien gegen Mitternacht und war nicht erfreut, in seiner gemütlichen Höhle Menschen vorzufinden. Daß die rumschrieen, beeindruckte ihn nur wenig: Verschwinden sollten sie! Stattdessen ging doch dies eine Menschlein glattweg zum Angriff über!

Kojiro kannte genau eine Methode, mit Bären fertig zu werden, und sein geliebter Bihänder spielte bei dieser Methode eine entscheidende Rolle. Mit einem mächtigen Hieb erwischte er den Bären wirklich gut. Der Bär mochte es nicht eins aufs Fell zu kriegen und wurde ziemlich schlecht gelaunt. Er schnappte sich Thegil in einer Bärenumarmung, und der Elf spürte schon, wie sich seine Rippen bedrohlich nach innen bogen.

Aber wozu hat man eine Druidin dabei? Faksal, kaum daß sie richtig wach war, murmelte nur ein paar freundliche Worte, und dem Bären verging plötzlich alle Angriffslust. Er setzte sich hin, wunderte sich, daß es ihm so schlecht ging und brummte unglücklich. Kojiro wurde davon abgehalten, dem armen Bären zu einem Bettvorleger zu verarbeiten, und Thegil, der den Standpunkt des Bären irgendwie nachvollziehen konnte, heilte das Tier sogar, bevor sie gingen, um an einem (hoffentlich) bärenfreien Ort die unterbrochene Nachtruhe fortzusetzen.

Sie kletterten in eine Schlucht hinunter, was bei den schlechten Lichtbverhältnissen nicht ohne eine Menge Lärm und ein paar dicke Kratzer abging, folgten ihr, bis sie in ein weites Tal mündete und legten sich in einem dichten Gebüsch wieder aufs Ohr.

Als Sharevi ihre Wache hatte, war es schon Morgen. Sie gähnte noch ein wenig, als sie plötzlich ein Geräusch in den Büschen hörte. Und als sie sich umdrehte, sah sie vier Bögen auf sich gerichtet. Huch.

Ein Späher, diesmal einer von Mac Anach, hatte sich auf die Spur der Gruppe gesetzt. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, als das bärenbedingte Geschrei begann. In Anbetracht der Größe des Geschreis hatte er sich zurückgehalten und Verstärkung geholt.

Der Chef dieser Verstärkung forderte nun Sharevi auf, sie und ihre Gefährten sollten gefälligst friedlich mitkommen und dem Herrn Mac Anach erklären, was sie auf seinem Land zu suchen hatten, andernfalls...

Keiner aus der Gruppe war in der Laune, mit vier Langbögen zu diskutieren, und so wurden alle drei gefesselt und mit vollem Geleit zur Burg von Mac Anach eskortiert. Alle drei? Oh ja. Faksal war nicht der Ansicht, daß eine Gnomin mit ihren Fähigkeiten es nötig hatte, sich von großen, breiten, ungeschickten Menschen gefangennehmen zu lassen, und sie hatte recht. Man übersah sie, als man den Rest der Gruppe kassierte, und man übersah sie den ganzen Weg bis zu Mac Anachs Burg, wo das Tor sich hinter Gefangenen und Bewachern schloß und eine Gnomin aussperrte, die nun überlegte, was, bei der Sonne und dem Wind, sie jetzt anstellen sollte.

Sharevi, Thegil und Kojiro wurden vor den Lord gebracht, und Sharevi fing an, die Geschichte zu erzählen, die sie hierhergeführt hatte. Osric Mac Anach hatte aber zu ihrem Pech eine wirklich miese Laune. Die Schlacht gestern war nicht so gut gegangen, wie er gehofft hatte, man war noch immer weit davon entfernt mit diesem MacDráin-Gesocks anständig aufzuräumen und diese Diebe zur Rückgabe dessen, was sie gestohlen hatten, zu bewegen, und alles, was ihm an diesem Tag noch fehlte, war eine Horde Spinner, die mit irgendwelchen Zauberer-Mondschein-Geschichten ankamen und über sein Land spazierten als sei es die dreckige Hauptstraße ihres elenden Heimatdorfes, Annun hole sie alle!

Gegen so viel schlechte Laune konnte nicht einmal Sharevis Silberzunge etwas ausrichten. Ziemlich schnell fanden die Abenteurer sich im Kerker wieder, wo Kojiro sie mit vergnüglichen Geschichten von dem, was ihnen möglicherweise noch alles bevorstünde, unterhielt.

Faksal suchte währenddessen die Umgebung ab, und da sie Zeit, scharfe Augen, eine ungewöhnliche Perspektive und reichlich Glück hatte, wurde sie nach einigen Stunden tatsächlich fündig: ein von Generationen von Dornenpflanzen überwucherter Gang führte in den Berg, auf dem die Burg stand.

Der Gang, ein ehemaliger Fluchttunnel, der seit beinahe hundert Jahren vergessen war, führte tatsächlich in den Burgkeller, und das einzige, was sich in diesem Teil des Kellers befand, war ein Kerker mit drei Insassen und zwei Wachen, wobei erstere die letzteren mit Fleiß in Unterhaltungen verwickelten. 'Die nun wieder', dachte Faksal sich, und da sie den Zugang von dieser Seite aus nicht öffnen konnte (und wenn, welchen Nutzen hätte das gehabt?), machte sie es sich so gemütlich wie möglich und hörte sich an, was drinnen vorging.

Die Wachen waren halbwegs umgänglich und ließen sich sogar überreden, Thegil Bauernskat beizubringen. Sharevi dichtete derweil ein Lied 'Hundertdreiundfünfzig Arten, einen Gast unterzubringen'.

Leider war am Mittag Wachwechsel, und die nächste Schicht bestand aus zwei völlig humorlosen und generell unausstehlichen Typen. Jeder Versuch freundlicher Unterhaltung führte nur zu knurrigen Bemerkungen und verzerrten Gesichtern auf Seiten der Wachen, so daß man schließlich aufgab. Thegil kramte ein Kartenspiel aus seinen Taschen und brachte Sharevi und Kojiro Elfenpoker bei. Nach ein paar Proberunden begannen sie, um Strohhalme zu spielen -- davon hatten sie ja genug. Anders als Geld. "Oh verflixt," sagte Thegil plötzlich, "wir haben uns ja noch gar nicht nach den Preisen in diesem Lokal erkundigt!" Sherevi leuchtete das nicht ein. "Wieso, wir wollten doch gehen!"

Aus Richtung der Wachen hörte man bei dieser Argumentation ein ersticktes "Aargh!" und "Wann baut man endlich in diesem Kerker anständige Türen ein!"

"Gute Idee," meinte Sharevi dazu, "dann könnte man rein- und rausgehen!"

Die armen Wachen. Im weiteren Verlauf des Tages mußten sie sich noch anhören, wie die drei Gefangenen, die sich über ihren Status so sehr im Unklaren zu sein schienen, eine freundliche Rangelei zu Trainingszwecken abhielten, laut und falsch sangen und schließlich auf die Idee kamen, beim Bau dieser Burg -- oder zunmindest dieser Gästezimmer -- müßten Zwerge beteiligt gewesen sein. Denn Zwerge bauen bekanntlich ohne Fenster.

Die Wachen grübelten, ob das hier nun eine ganz normale Bande von Idioten war (soweit es normale Idioten gibt), oder womöglich irgendwelche Geister oder Wilde Wesen in Menschengestalt, die aus ihren eigenen unbegreiflichen Motiven hier wären und jeden Moment unter Entfaltung größtmöglichen Chaos wieder verschwinden würden. Man erzählte sich schreckliche Geschichten über Leute, die sich die böswillige Aufmerksamkeit der Wilden Wesen zugezogen hatten... (Die Wachen waren nicht sehr weltläufig und nahmen im Grunde an, daß es auf der ganzen Welt nur Lords und Adelskrieger und Bauern gab, und alles, was darüer hinausging oder nicht nach ihren Regeln spielte, war möglicherweise unnatürlichen Ursprungs.)

Irgendwann brachte ein Küchenjunge eine Schale Grütze (mit nur einem Löffel). Von ihm erfuhren sie, daß der Koch sich geweigert hatte, den Gefangenen einen Extrabrei zu kochen und sie deshalb das gleiche kriegten wie alles andere Volk auf der Burg (Adel natürlich ausgenommen). Thegil gewann etwas Vertrauen in dieses Land wieder: die Leute mochten gelegentlich ein wenig bräsig sein, aber sie neigten doch wohl nur selten zu ausgesprochenen Fiesheiten. Sie ließen den Koch grüßen.

Als der Küchenjunge wiederkam, um die Schüssel zu holen, sprach Thegil ihn an: er habe gehört, es habe gestern eine Schlacht gegeben, ob die Dienste eines Heilers gebraucht würden?

Etwa eine Stunde später wurde Thegil hinausgelassen und zum Heiler der Burg gebracht, der die Hilfe gut gebrauchen konnte.

Die Nacht kam, und die Wachen sahen keinen Grund, allzu wach zu bleiben, so daß die Abenteurer Gelegenheit hatten, sich flüsternd mit Faksal zu unterhalten. Sie waren sich einig, daß noch gute Chancen bestanden, die Angelegenheit friedlich zu regeln und selbst, wenn nicht, Faksal im Moment wenig tun konnte.

Der Morgen brachte einen weiteren Wachwechsel -- nur, daß der Mann, der jetzt herunterkam, so gar nicht nach Wache aussah. Er wünschte den Abenteurern vergnügt und unter allerhand flapsigen Bemerkungen einen guten Morgen, befreite sie aus dem Kerker und brachte sie vor den Lord Mac Anach. Der war zwischenzeitlich zu der festen Übberzeugung gelangt, es mit einer Bande harmloser Irrer zu tun zu haben und erklärte ihnen, sie sollten verschwinden, und zwar sofort, und sich nie wieder blicken lassen.

Nichts lieber als das! Um neun Uhr morgens hatte die Straße sie wieder, und auch Faksal tauchte wieder auf.


Einige Tage wanderten sie und hatten keine Probleme außer gelegentlichen Zollstellen und ebenso gelegentlichen Regenschauern. Erstere lernten sie schnell zu umgehen. Eine vergnügliche Episode ereignete sich, als ein Zolleinnehmer gewichtig behauptete, für das entrichtete Geld sei man auf der Hauptstraße immerhin vor Räubern sicher... aber sie könnten ihr Glück ja gerne auf der Nebenstraße versuchen!

Der Gruppe kam sein Ton ein wenig komisch vor, und als sie auf dem Pfad, der zur Nebenstraße führte, verdächtige Spuren entdeckten, schlugen sie sich erstmal ins Gebüsch und warteten ab -- um bald darauf den Zöllner auf einem struppigen Pferd zu sehen, der aus dem Gebüsch auf der anderen Seite kam und eilig den Pfad zurückritt. Faksal wurde zum Kundschaften geschickt und entdeckte entlang der Nebenstraße eine Räuberbande, die grade Position bezog..

Die Abenteurer hielten sich weise zwischen den beiden Straßen, und mit Ausnahme von Kojiro waren sie mit ihrer Lösung dieses Problems sehr zufrieden.

Sie fanden Himbeeren und Wildgemüse, wurden in Bauernhäusern freundlich aufgenommen und machten die Bekanntschaft eines netten Seeungeheuers.

Am 3. Juli konnten sie erneut den Arbeitseifer der Wegzöllner im Lande Lord Mac Direachs des Armen bestaunen. Sie hatten voher schon gehört, daß man die letzte Zollstelle vor der Grenze nach Dal Riada umgehen konnte, indem man hinter dem Dorf Ysni auf den Schleichweg nacfh Cwent einbog -- in Richtung Norden war das sogar eine Abkürzung. Sicherheitshalber erkundigte sich Faksal in Ysni noch mal nach dem Weg -- und geriet dabei an den Vetter eines Zöllners, der nichts eiligeres zu tun hatte, als seinen Verwandten zu informieren.

Da die Abenteurer an diesem Tag eine ausgiebige Mittagspause gemacht hatten, wanderten sie bis weit in den Abend hinein. Die Dämmerung war schon angebrochen, als Faksals empfindliche Nase einen Geruch wahrnahm, der nicht ganz zum Abendfrieden paßte. Die erfahrenen Reisenden schlugen sich eiligst ins Gebüsch und beobachteten wenig später drei Männer, die mißgelaunt und über Wegzollhinterziehung knurrend den Weg entlang stapften: Wo steckte dieses Gesocks nur? Wollten die womöglich die Nacht durchlaufen? Oder hatte man sie schon verpaßt? Dann blieb nur noch, in Cwent zu warten, oder besser, vor Cwent, denn weder der Krämerfürst noch seine Leute schätzten es sonderlich, wenn Offizielle aus Direach auf seinem Territorium rumschlichen. Schon einmal waren sie in Cwent erwischt und anschließend zusammengeschissen worden, nicht nötig, es ein zweites Mal zu provozieren.

Die Leute, die im Gebüsch lagen und sich eins grinsten, sahen sie nicht. Glückliches Meall Breac, dem es nie an Gebüsch mangelt! Man entfernte sich noch etwas in westlicher Richtung vom Weg und legte sich an einer gut verborgenen Stelle schlafen. Und wußte nicht, wie nah man dabei der Hohen Heide kam...

Thegil, der grade die zweite Wache schob, hörte das ferne Singen als erster. Er weckte Sharevi: das mußte die Bardin doch hören! Die beiden kamen schnell zu dem Schluß, daß das Feengesang sein mußte -- waren sie nicht vor der Hohen Heide gewarnt worden? Egal, Sharevi wollte näher ran! Thegil überlegte, was zu tun sei, und schüttelte Faksal wach: Die Gnomin hatte sich schon mehrfach als äußerst schwer zu verzaubern erwiesen und würde hoffentlich einen kühlen Kopf bewahren. Dann begleitete der Elf die ungeduldige Sharevi auf einen nahen Hügelkamm.

Die Hohe Heide war ein Nebelmeer, auf dem die Kuppen der Hügel wie Inseln schwammen. Im Licht der Sterne schimmerte der Nebel wie von eigenem Licht und Leben erfüllt. Und sie sahen in der Ferne Gestalten durch den Nebel, über die Hügel wandern und wußten, daß der ferne, schöne, fremdartige Gesang von ihnen kam. Schließlich verschwanden sie im Nebel, und die Nacht schien dunkler zu werden.

Beeindruckt, aber trotzdem müde, legten die Abenteurer sich wieder aufs Ohr -- mit Ausnahme von Sharevi, die für den Rest der Nacht allein Wache schob und dem Lied der Feen hinterherträumte.

Nicht allzu früh am nächsten Morgen weckte sie die anderen. Man debattierte über den Weg (schließlich lauerten in Cwent die Zollwachen) und blieb wachsam. So kam es, daß Faksal nach einer Stunde Marsch links des Weges tiefe Spuren und ein paar seltsame Dornenranken bemerkte. Sie vermuteten sofort einen Hinterhalt, griffen nach ihren Waffen und machten grimmige Gesichter, doch auch eine genaue Untersuchung der Umgebung förderte nur einen Stoffetzen zutage, der möglicherweise aus der Kleidung einer Zollwache stammte. Außerdem entdecketen sie, daß hinter der behelfsmäßigen Barrikade ein Weg nach Norden führte.. (Die Zollwachen hatten diesen Weg, der in das Dorf Carden führte, tarnen wollen, damit diese Steuerhinterzieher auch brav in Richtung Cwent liefen. Bei Nacht und Nebel war ihnen dieses Unterfangen allerdings eher schlecht gelungen, und so schlugen sie sich einen ganzen langweiligen Tag im Wald vor Cwent um die Ohren, ehe sie sich am nächsten Morgen auf den Rückweg machten: erfolglos, wütend und von Mücken zerstochen.)

Während die Zollwachen vor Cwent herumlungerten, wanderten die Abenteurer mehr oder weniger fröhlich nach Norden. Sharevi war unausgeschlafen, unglücklich und verärgert über die Auswüchse der sogenannten Zivilisation und brach einen Streit mit Kojiro vom Zaun.

Im Laufe des Vormittags trafen sie einen einsamen Wanderer, der ihnen weitere Wegauskünfte gab, und gegen Mittag erreichten sie Carden. An einem Bauernhaus fragten sie nach Essen, wurden kurzerhand eingeladen und erhielten zwar keine direkte Auskunft über Jené ("da im Osten ist ne ziemlich wilde Gegend, da kennen wir uns nicht so aus"), dafür hörten sie aber ein paar Strophen eines alten Liedes mit unendlich vielen Strophen über Zollwachen, Kaufleute, fremde Greenhorns, die Berge -- und eben auch Jené. Sharevi trug ein paar der "153 Gästezimmer" vor (ein Erfolg!) und anschließend gingen alle wieder an die Arbeit. Auch die Helden fühlten sich verpflichtet, sich ein wenig nützlich zu machen, ehe sie Gwyn, die Kräuterfrau des Dorfes, aufsuchten. Gwyn hatte allerdings auch zu tun, und so sah man die Gruppe den Nachmittag über Unkraut jäten. Dafür kriegten sie am Abend von Gwyn jede Menge gruselige Geschichten über die Gegend erzählt. Auch die Geschichte der Abenteurer interessierte die Kräuterfrau, doch als sie von dem seltsamen Wesen, das ihnen den Goldring gestohlen hatte, berichteten, spitzte sie die Ohren, stellte ein paar scheinbar unzusammenhängende Fragen und begann dann zu schimpfen, wie man über einen gelungenen Streich schimpft: halb empört, halb bewundernd. "Ist es denn zu fassen! Dieser alte Lumpenhund! Hätte ich es nicht wissen müssen? So ein Frechheit, das ist ja mal wieder typisch, also nein, so eine bodenlose Frechheit!"

Die Helden waren mächtig interessiert, was die Kräuterfrau in solche Aufregung versetzte, doch Gwyn grinste nur in sich hinein: "Oooch, nur so eine Idee, wahrscheinlich völliger Unsinn..." und schimpfte weiter.

Später am Abend gingen die Abenteurer ins Dorf zurück. die Dorfjugend hatte es eilig, die Fremden zu einem kleinen Bogenturnier herauszufordern. Thegil und Kojiro gingen gerne darauf ein -- und verloren haushoch. Immerhin gab das fogende Armdrücken ihnen eine Chance, sich zu revanchieren: Der Lokalchampion staunte nicht schlecht, als dieser klapperdünne Elf ihn besiegte!

Die Nacht verbrachte man im Heu, frühstückte bei seinen freundlichen Gastgebern, und Thegil setzte sich in eine stille Ecke und kopierte sein Reisetagebuch. Wenn sie in Jené irgendwie verloren gingen, sollte Fianna bei ihrem nächsten Besuch den Bericht mitnehmen, so daß er letztendlich bei Mirzarim Jeman landen würde.

Vor dem Aufbruch wollten sie noch mal mit Gwyn sprechen. Hier suchte sich Sharevi eine stille Ecke und schrieb nach Hause, Thegil schrieb noch schnell ein paar Zeilen an seinen Bruder, Faksal unterhielt sich mit Gwyn über druidische Philosophie und Kojiro beobachtete all diese verrückten Leute mit Staunen.

Während sie noch bei Gwyn saßen, tauchte eine junge Frau auf, die von Gwyn als Ellifanwy ni Aithe aus Gaofàr vorgestellt wurde. Ellifanwy war Jägerin und kam grade von einer Expedition zurück, auf der sie mit zwei Kollegen einen Nachtmarder, ein gefährliches Raubtier, das die Schafherden bedrohrte, verfolgt und schließlich erlegt hatten.

Bald darauf fing es an zu regnen. Kein Grund, nicht aufzubrechen (außer für Faksal, die jede Ausrede nützte, um sich noch in Ruhe mit Gwyn unterhalten zu können), und nach vier Stunden Regen lag vor der Gruppe das Dorf Gaofàr.

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9. Gaofàr

(5.7. - 14.7.1025 n.K.)

Gaofàr war ein Kaff, wenn die Gruppe jemals eins gesehen hatte. Ein Erdwall mit einer darauf gesetzten Steinmauer umschloß vier Bauernhäuser und vier Scheunen, ein Entenhaus, ein paar Gärten und einen kleinen Teich.

Und dieses Kaff war in hellem Aufruhr: In der vergangenen Nacht hatte es einen Überfall jener krummbeinigen, struppigen, gelbäugigen, langzähnigen Bergwesen gegeben, die allgemein Orks genannt werden. Zwar war die Rotte von den Dörflern zurückgeschlagen worden, aber die Erfahrung lehrt, daß Orks oft in einer der darauffolgenden Nächte mit Verstärkung wiederkommen.

Orks? Thegil hatte zwar viel über Orks gehört und gelesen und hielt sie für unangenehme Zeitgenossen, doch tatsächliche Erfahrung mit diesen Wesen hatte nur Sharevi, und sie konnte alle üblen Geschichten, die Thegil je gehört hatte, bestätigen: räuberisches, schmutziges, menschenfressendes Gesindel! Man mußte sofort die nächstgelegenen Dörfer warnen und eine Verteidigung organisieren! Und genau das geschah auch.

So chaotisch die Aktionen der nächsten Stunden auch wirkten, bei Sonnenuntergang war alles auf Posten. Thegil hatte ein paar Gimmicks aus seinem großen Rucksack an strategisch günstigen Stellen plaziert, und über dem ganzen Dorf lag die Ruhe vor dem Sturm. Sharevi summte leise ein vor-dem-Kampf-Lied, Thegil meditierte (seine erste Schlacht!), und Kojiro schärfte sein Schwert.

Das letzte Tageslicht war im Nordwesten erloschen, als Thegil von seinem Ausguck auf einem Dach aus dunkle Gestalten sah, die sich von Osten näherten. Der Elf gab das vereinbarte Zeichen, die Bogenschützen legten ihre Pfeile auf die Sehnen und starrten angestrengt in die Dunkelheit.

Der Trupp von etwa vierzig Orks kam näher, siegesgewiß und ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen. Noch siebenhundert Meter. Fünfhundert. Die Hunde des Dorfes begannen zu kläffen. Dreihundert Meter. Noch immer keine Bewegung. Zweihundertfünfzig. Die Orks gingen zum Sturmangriff über und rannten brüllend auf des schweigende Dorf zu. Plötzlich flammten Feuer, blendeten die nachtsichtigen Orks. Den Bogenschützen von Gaofàr boten die heranstürmenden Pulks ein einfaches Ziel, und viele Orks fielen, von Pfeilen getroffen, zu Boden und wurden von ihren eigenen Leuten überrannt. Aber Orks laufen schnell, und es war noch immer eine Horde beträchtlicher Größe, die Gaofàr schließlich erreichte. Die Verteidiger griffen zu ihren Schwertern.

Sharevi blieb diese Nacht in übler Erinnerung: Sie steckte zwei Treffer ein, ohne selbst auch nur einen landen zu können, und schaffte es grade noch, sich aus dem Schlachtgetümmel zurückzuziehen. Kojiros Bihänder erwies sich als so effektiv wie eh und je, aber die größte Überraschung der Nacht lieferte Thegil. In all dem Getümmel und Geschrei balancierte der unerfahrene Elf zwischen Panik und Rage am Rand der Uzurechnungsfähigkeit -- und als neben ihm ein Ork einen Dörfler niederhieb, ging er über die Kante: der sanfte, gewissenhafte Thegil stieß einen wilden Kampfschrei aus uns stürzte sich mit dem Ausruf: "euch mach ich alle!" auf die Orks, ohne auf seine eigene Sicherheit zu achten, oder die zahlreichen "Schrammen", die er sich bei diesem Unternehmen einfing, irgendwie ernst zu nehmen. Die Orks kapierten bald, daß es der eigenen Sicherheit förderlicher war, diesem Irren aus dem Weg zu gehen, und so stand Thegil bald vor dem einen Wesen, das nicht wegrannte: ein großer Oger mit ledriger Haut und mächtigen Fäusten. Thegil war nicht im geringsten beeindruckt und drosch auf den Oger ein. Dieser versuchte, den frechen Angreifer niederzuschlagen, doch der Elf war zu flink für ihn und landete einen guten Treffer. Au! Das tat ja weh!

Die Bauern von Gaofàr verstanden sich nicht schlecht darauf, ihre Schwerter und Spieße zu führen, und die Orks gewannen allmählich den Eindruck, daß dieser Kampf höchst unfair war (Gemeinheit, die wehren sich ja!) und leiteten einen planlosen Rückzug (auch panische Flucht genannt) ein.

Der Oger wollte sich ebenfalls absetzen, aber da hatte er seine Rechnung ohne Thegil gemacht. Der sah nämlich, daß sein Gegner sich dem Eingemachtwerden unrechtmäßig entzog und brüllte nach einer Sekunde der Verwirrung, in der der Oger einen kleinen Vorsprung gewann "Hiergeblieben!", und da der Oger nicht reagierte, setzte der Elf über die Mauer und rannte, Beleidigungen schreiend, hinter dem Oger her. Kojiro war ziemlich perplex, als er das sah, die Bauern waren starr vor Staunen, und der Oger verstand die Welt nicht mehr. Thegil war der schnellere von beiden, und so blieb dem Oger nichts anderes übrig als sich zum Kampf zu stellen.

Und eingemacht zu werden.

Thegil stand über seinem gefallenen Gegner, starrte eine Weile vor sich hin, machte dann ein ziemlich verwundertes Gesicht und meinte, er fühle sich so müde.

So endete die Schlacht von Gaofàr, über die schon bald Lieder und Legenden im Umlauf sein sollten, und selbstverständlich erhielt Thegil in all diesen Liedern und Legenden eine Ehrenplatz.

Den nächsten Tag verbrachten die Abenteurer abhängig von persönlichen Vorlieben: Kojiro fledderte ein paar tote Orks (wenig ertragreich), Ellifanwy und Sharevi beteiligten sich an den Aufräumungsarbeiten und Thegil, der zwölf Stunden geschlafen hatte und sich danach wieder halbwegs elfisch fühlte, kümmerte sich um die Verletzten. Fast alle Verteidiger hatten Verletzungen davongetragen, doch es gab nur fünf Schwerverletzte und vier Tote zu beklagen. Und die Orks würden gewiß nicht wiederkommen.

Bis zum nächsten Vollmond war es noch eine Weile, und die Abenteurer genossen die Gastfreundschaft von Gaofàr. Thegil machte sich bei den Kindern des Dorfes mächtig beliebt, die es kaum fassen konnten, daß ihr großer Held tatsächlich mit ihnen Murmeln spielte.

Faksal reiste zwischen Gaofàr, Carden und ein paar anderen Orten hin und her, um Gespräche mit den ortsansässigen Druiden zu führen.

Der Ort, den die Leute Jené nannten, war an klaren Tagen vom Dorf aus zu sehen: nicht mehr als eine leidlich ebene Wiese an der Flanke eines Berges. Aber alle waren sich einig, daß es 'spukig' sei dort, und selbst Ellifanwy, die den Ort bei Tag immerhin schon betreten hatte, bezeichnete ihn als 'unheimlich' und sagte, daß sie dort nicht die Nacht verbringen wollte. Und die Abenteurer merkten bald, daß schon der Anblick dieses öden, weit entfernten Fleckens Wiese auf schwer bestimmbare Art beunruhigend war.

Sie lernten auch weitere Strophen des Rundgesanges, darunter zwei, die düster und rätselhaft waren und nicht zu dem heiteren Gesang paßten. Obwohl sie lange darüber nachdachten, wurden sie nicht schlau daraus.

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