1996
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Stockholm
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Ich sitze in einer leeren Wohnung, in der ich fast fünf Jahre verbracht habe, auf meinen gepackten Koffern und warte auf den Gepäckdienst, der in einer halben Stunde kommen wird. Ich habe die Entscheidung getroffen, und ich frage mich, wie ich jemals glauben konnte, sie würde anders ausfallen. Ich gehe nach Terrania zurück, und es fühlt sich an, als würde ich nach Hause fahren.

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Ich war fünf Jahre fort. Was ich getan habe? Ich habe das normale Leben angestarrt wie ein exotisches Tier und ich habe die Menschen studiert wie Bewohner eines fremden Planeten.

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Sie ließen mich nicht gerne gehen, aber sie wußten, daß sie mich nicht halten konnten -- ich sagte John, vor ein Entweder-Oder gestellt würde ich eher für immer gehen als für immer bleiben und er ließ es nicht darauf ankommen, ob ich es ernst meinte. Es dauerte ein paar Jahre, das zu erreichen, aber 1991 packte ich meine paar Sachen und verließ Terrania.

Ursprünglich hatte ich nach Amerika gehen wollen, aber das wäre nur ein weiteres fremdes Land gewesen. Also kehrte ich nach Schweden zurück, zur großen Freude meiner Eltern, die betonten, sie seien froh, mich zu Hause zu haben, denn schließlich sei ich ihre einzige Tochter, und sie würden nicht jünger. Im nachhinein war das vielleicht der erste Moment, wo ich wieder ans Gehen dachte.

Außer Lissa erfuhr niemand, wo ich die Jahre gewesen war. Das brachte einige Probleme mit sich, als ich einen Job suchte -- wichtigste Vorbedingung eines 'normalen Lebens'. Ich schrieb Bewerbungen, und oft genug stand ich irgendwelchen Personalchefs gegenüber, die mein auf 1983 datiertes Schulabgangszeugnis ansahen und mich fragten, was ich denn in den acht Jahren seit damals getan hätte. Da ich keine Unterlagen hatte um zu beweisen, daß ich einer ordentlichen Beschäftigung nachgegangen war -- nein, eine 'ordentliche Beschäftigung' war das kaum gewesen! -- brachte ich in vielen Variationen die Ausrede des faulen Weltenbummlers vor: Reisen bildet.

Und oft genug traf mich daraufhin ein Blick der sagte 'was wir von solchen wie dir zu halten haben, wissen wir schon!', und ich dachte, ich hätte doch nach Amerika gehen sollen. Das ich in jener Zeit nicht völlig depressiv wurde, lag daran, daß ich genau wußte, was ich von 'solchen wie mir' hielt und nicht zu Komplexen neigte.

Es dauerte über ein halbes Jahr, in dem ich mich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, bis endlich eine Softwareklitsche, wo ich als Urlaubsvertretung der Sekretärin gearbeitet hatte, mich als Programmiererin einstellte.

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So lebte ich -- oder tat so. Arbeit, Feierabend. Eine Reihe von Freunden, die OK waren, bis sie bei mir einzogen und es Streit über den Abwasch gab. Ich frage mich, ob ich Männer anziehe mit denen es Streit über den Abwasch gibt, oder ob dieser Streit das Normale ist und unnormal nur, daß ich mich nicht damit abfinden kann. Mit dem letzten von ihnen, Jan, hatte ich schließlich für zwei Jahre eine gute Beziehung mit geteiltem Bett und getrenntem Haushalt, bis wir uns zerstritten, weil er mehr 'Nähe' wollte. Um genau zu sein, er fing an, von gemeinsamer Zukunft zu sprechen. Ich wand mich und erfand Ausreden, die darauf hinausliefen, daß ich mich zu jung für eine Entscheidung fühlte. Er sah mich etwas irritiert an und wies darauf hin, daß ich schon 29 sei und nicht ewig jung sein würde.

Es war das Beste, was er sagen konnte. Ich schmiß ihn wutentbrannt raus und begann, nachzudenken, und alles, was mir zu seinen Worten einfiel war: Oh doch, bei Gott, das werde ich!

Auch wenn es hieß, nach Terrania zurückzugehen.

Vielleicht war es von Anfang an zu spät, zu versuchen, ein 'normales Leben' zu führen. Es gelang mir nicht, für die Zukunft zu planen. Ich lebte ein Provisorium, kaufte keine Wohnung und kein Sommerhaus, schloß keine Versicherungen ab, holte mir nicht einmal eine Katze in meine Mietwohnung im 3. Stock, fuhr Motorrad, weil ein Auto mir etabliert erschien. Jan nannte mich im Streit 'beziehungsunfähig'. Ich war empört und fühlte mich unverstanden. Heute denke ich, vielleicht hat er recht, und es kümmert mich nicht. Es ging nicht um 'Beziehung', und vielleicht nicht mal um Abwasch. Es ging darum, daß ich mich nicht festlegen wollte.

Sich festzulegen hätte geheißen, Sterblichkeit zu akzeptieren. Das kapierte ich langsam in den Nächten nach Jan, als ich alleine zum Tanzen und in die Kneipen ging, weil alle, die in meinem Alter gewesen waren, als ich in dieses Leben trat, nur noch paarweise auftraten und müde waren von der Arbeit, wenn sie nicht kleine Kinder zu hüten hatten. Die einsamen Jungens von 20 Jahren langweilten mich und ich blieb zu Hause, allein, zog Bilanz und rief schließlich, im September, bei John an.

Sie nahmen mich wieder. Mit Handkuß (d.h., der Option, nach Wanderer zu fliegen).

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Was hat's gebracht, frage ich mich, außer Einsicht?

Ich habe viel gelesen, Sachen, zu denen ich während meiner Zeit im MK nie gekommen bin, Bücher über Geschichte und Philosophie. Ich habe in einem Chor gesungen, Unterricht im Gitarrespielen genommen, Segeln gelernt und an regelmäßigen Sportarten Karate, Fechten und Schießen betrieben, zum leisen Befremden meiner Freunde und Bekannten. Ich glaube, ich bin heute fitter und klüger als vor fünf Jahren, und das ist doch was.

Ich sitze auf meinen gepackten Koffern, unten höre ich den Wagen des Gepäckdienstes. Morgen früh bin ich in Terrania, und es fühlt sich an, als führe ich nach Hause.

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© inge 1986, 1997