2009
====

Terrania
--------

29.10.2009

Heute habe ich Stefani wiedergetroffen. Die Vergangenheit scheint entschlossen zu sein, mir Epiloge all meiner Taten und Untaten zu liefern, erst das Klassentreffen und jetzt das. Das Klassentreffen war übrigens, im Nachhinein betrachtet, ein geringeres Desaster als gefürchtet. Mit Ann-Britt schreibe ich mir regelmäßig und habe den letzten Urlaub mit ihr auf der Ostsee verbracht, mit Tomas verbindet mich eine rege Diskussion seiner 'populärwissenschaftlichen' Artikel (wobei ich mir nicht anmerken lassen, daß ein 'populärwissenschaftlich' an der Obergrenze meines Verständnisses kratzt), und Nikki ist vor ein paar Monaten bei mir eingezogen. Wir proben eine Fortsetzung unserer 'ungerade-Tage'-Beziehung, bis er wieder einen Anfall von 'Laufenden Schuhen' bekommt. Immerhin streite ich mich mit ihm nicht über den Abwasch.

Also. Stefani.

Stefani kam in der 7. in meine Klasse, da war ich 12 und sie 14, und ansonsten war sie alles, was ich nicht war. Hübsch, sexy, erwachsen (oder was wir damals dafür hielten), überzeugend... und dumm wie Bohnenstroh, was ich damals nicht kapierte. Mit Lichtgeschwindigkeit sammelte sie einen Fanclub um sich. Aus unerfindlichen Gründen reichte es ihr nicht, beliebt zu sein, sie mußte auch noch auf jemanden rumhacken. Der Jemand war ich. Ich war schlaksig, schüchtern, in Mathe besser als in Sport und ein rundherum schwerer Fall von Pubertätskrise (und ungelernte Empathin obendrein).

Dieser Club hat mich drei Jahre lang terrorisiert, mit dummen, boshaften Sprüchen und kleinen, gemeinen Anschlägen. Begegnete man mal einem allein, war der Betreffende natürlich sofort scheißfreundlich, und ich war viel zu harmlos, um mich zu revanchieren. Ich war überhaupt viel zu harmlos. Erst nach drei Jahren endete der Terror, und das verdanke ich Lissa.

Sie kam neu in die Klasse und war damit das ideale nächste Opfer -- aber sie erwies sich als so cool und furchtlos, daß die Bande sie umschlich wie Tiger den Dompteur -- knurrend und fauchend zwar, aber ohne den Mut zum Angriff.

An dem Februartag, wo ich ausflippte und versuchte, Stefani zu Brei zu schlagen (zu meiner eigenen Überraschung war ich stärker als sie), wurde Lissa auf mich aufmerksam und nahm mich ein bißchen unter ihre Fittiche.

Zusammen ließen wir Stefani auflaufen. Nach der 11. ging sie ab, und wenn ich eine Sache in meiner gesamten Schulzeit wirklich bedauert habe, dann, daß ich nie dazu gekommen bin, ihr im Detail zu erzählen, was ich von ihr hielt.

Heute habe ich sie wiedergetroffen. Ich war mit Nikki in einem neuen französischen Restaurant, wir machten uns lächerlich bei dem Versuch, einige der absurderen Spezialitäten zu essen und amüsierten uns gut.

Ein Paar am Nachbartisch schlürfte seine Austern mit der eisernen Verachtung des Neureichen für die Rechnung. Beim Käsegang stupste mich Nikki an und schielte zu ihnen hinüber, ein Fragezeichen im Gesicht. Nikki hat sich nie für Leute wie Stefani interessiert, er las klassische Science Fiction und diskutierte den idealen Sozialismus im alternativen Teehaus, und Leute wie Stefani kamen in seinem Universum nicht vor. Die Frau lachte kurz auf, und ich erkannte Stefani.

Ich bin jetzt 44 und sie ist 46 und sieht auch so aus, wenn sie es auch zu übertünchen versucht -- tatsächlich macht diese mißlungene Realitätsverleugnung sie älter, ein Effekt, den ich schon bewußt eingesetzt habe, da die Leute in meiner Umgebung langsam anfangen, Fragen zu stellen. Aber sie hat immer noch diesen Blick, vor dem unsere kleinen Jungs in der 7. reihenweise umgefallen sind. Ihr Begleiter war ein ca. 65jähriges Exemplar der Spezies Neureicher mit Bauch.

Es war, als hätte Stefani meine Blicke bemerkt, ich schaute schnell woanders hin, als sie aufsah, strich mir mit einer Geste, so typisch wie Stefanis Lachen, die Haare aus der Stirn und spürte, daß sie mich erkannte.

An der Garderobe trafen wir uns schließlich und sie spielte die Szene 'unerwartetes Wiedersehen zweier alter Schulfreundinnen' ab. Ihre andere Hälfte musterte Nikki und mich flüchtig, hakte uns als irrelevant ab und guckte gelangweilt. Nikki heuchelte höfliches Desinteresse, Stefani leckte sich die Lefzen in Erwartung ihres armen Opfers und ich fühlte mich wieder einmal wie ein Extraterrestian auf Studienreise.

"Du hast dich ja gar nicht verändert", sagte sie, und wenn das auch wahr war, war es doch nicht als Kompliment gemeint.

"Ach, danke", sagte ich, "man arbeitet eben an sich. Du bist aber auch kein Jahr älter geworden." Wenn sie das glaubte, war es ihre Sache.

Wir wechselten einige Unverbindlichkeiten, und sie lud mich für den nächsten Abend in ihre bescheidene Hütte in Terrania ein, "Heinrich ist geschäftlich unterwegs, er hat ja so viel zu arbeiten, nicht wahr, aber wir Mädchen können uns ja einen netten Abend machen."

Ich sagte zu.

"Ich habe dich aus geringerem Anlaß mit Tellern werfen sehen", sagte Nikki auf dem Heimweg. "War sie schon immer so eine Schreckschraube?"

"Da siehst du mal, was dir während der Schulzeit entgangen ist. Und ich werfe nicht mit Tellern nach exotischen Spezies."

"Du willst diese Einladung tatsächlich annehmen? Klingt nach einer latenten masochistischen Ader."

Ich schubste ihn. "Ph. Eher ein Exorzismus. Ich bin Lichtjahre von ihr weg, und ich will mich vergewissern, daß sie genausoweit von mir weg ist."

"Mein Wort genügt dir wohl nicht?"

"Das Wort eines Glücksritters und Heiratsschwindlers?"

Jetzt war er an der Reihe, mich zu schubsen.

-------------------------------

31.10.2009

Am nächsten Tag tauchte ich tatsächlich in Stefanis 'kleiner Wohnung in Terrania', einem Fünfzimmerpenthouse Downtown auf.

Sie schien überrascht, daß ich tatsächlich blöd genug gewesen war zu kommmen. Nach etwas Überlegung hatte ich auf dramatische Garderobe verzichtet und war im Räuberzivil erschienen: Jeans, Pulli, Latschschuhe. Stefani trug Designerplünnen mit einem zu kurzen Rock und gebauschten Schultern, fit für die Arena des Lebens.

Wir machten es uns auf der Couchgarnitur halbwegs gemütlich, Stefani hatte Kaffee und kalorienfreie Plätzchen da. Es kam schnell rüber, daß sie mich für einen kompletten Loser hielt, der Ton, in dem sie von dem sprach, was sie hatte, machte es klar. Die Schilderung meiner Dreizimmeridylle (immer noch ohne Katze -- ich werde mich nie seßhaft fühlen, glaube ich), brachte dieses 'ach wie niedlich'-Lachen hervor, das Kindern, Hunden und armen Verwandten vorbehalten ist.

"Der Typ gestern -- war das dein Mann?" fragte sie neugierig. "Er sah gut aus! Etwas rustikal, aber das war ja immer mehr dein Stil."

Ha. "Nein, nur ein guter Bekannter. Wir gehen manchmal zusammen aus." Soso, sagte ihr Gesicht. Ich fügte hinzu "Ich bin nicht verheiratet."

Sie seufzte, signalisierte Mitgefühl. "Ja, die Männer sind Banausen. Die inneren Werte erkennen sie nicht. Dann hast du überhaupt keine Familie?"

"Naja, mein Vater in Schweden. Aber, ja, ich bin Junggesellin geblieben."

Stefani begann daraufhin natürlich, von ihrer und insbesondere Heinrichs Sippschaft zu erzählen. Es klang relativ beeindruckend, wenn auch etwas unkoordiniert. Der Onkel mit der Million, der Cousin mit der Erbin und so. Sie selbst hatte -- sagte sie -- nach der Schule eine Versicherungslehre begonnen, unentbehrlich, sagte sie, sei sie gewesen, aber bevor sie die zu Ende bringen konnte, war ihr Heinrich über den Weg gelaufen, damals hoffnungsvoller Jungunternehmer im Exportgeschäft und sie hatte beschlossen, ihre Energie seiner Karriere zu widmen. (Ich fragte sie nicht, ob die Versicherung darauf hin pleite gegangen war.) Sie hatte 2 Kinder großgezogen (bzw bei Kindermädchen und in Internaten geparkt, wo sie die richtigen Leute kennenlernten).

Zum Klassentreffen hatte sie wegen eines Wohltätigkeitsballs nicht kommen koennen.

Sie sprach von 'Heinrichs Schiffen', und ich verkniff mir ein Stirnrunzeln -- kommerzielle Schiffahrt läuft im Moment aus Sicherheitsgründen ausschließlich über die GCC, es ist einer unserer größten Schwachpunkte, die Venuspositronik hat ausgerechnet, daß, wenn Terra auffliegt, es wegen eines zivilen Frachters sein wird, aber wir können nicht auf Handelsschiffahrt verzichten. Heinrich chartert wahrscheinlich Frachtraum oder hat Anteile, das ist genug, um jemanden reich zu machen.

"Und was machst du so?" fragte sie dann, nachdem sie zwei Stunden von sich geredet hatte.

Ich zuckte die Schultern. "Ich bin im Staatsdienst. Es ist langweilig, aber es zahlt die Miete."

Stefani machte ein Gesicht als würde ich ausgebeutet wie der klassische Arbeiter nach Marx. (Erinnert mich an Lissas Vorschlag, in die Gewerkschaft zu gehen. In welche, frage ich sie, öffentlicher Dienst?) Von der GCC hatte sie eine schlechte Meinung, und Adams, sagte sie, sei schließlich ein Dieb und Betrüger gewesen und habe sich gewiß nicht geändert. (Natürlich nicht. Deshalb hat ein Kommando unter John ihn ja damals vor seinen Kumpanen, die er um die Beute betrogen hatte, gerettet und Perry ihn eingestellt. Einen ehrlichen Mann können wir uns in der Position nicht leisten.) Wenn ich mich beruflich verändern wollte, könnte sie da vielleicht etwas einrichten...

Ich lehnte höflich ab. Ich versuchte, uns beide durch ihre Augen zu sehen. Offenbar glaubte sie meine Geschichten. Glaubte sie ihre? Sie klang, als hätte ihr das Leben nur zugeteilt, was ihr rechtmäßig zustand, eine der vielen Leute, die das Raumfahrtszeitalter reich gemacht hatte.

Ich verabschiedete mich, als der Abend kam. Ich fühlte mich diffus melancholisch und etwas gereizt. Stefani schien zur Vertreterin einer Klasse von Leuten geworden zu sein, deren Nützlichkeit für die wirtschaftliche Entwicklung des jungen Imperiums ich anerkennen mußte und die ich doch verachtete, weil sie glaubten, das Geld, das sie riskierten und gewannen sei das wichtigste auf der Welt. Ich hatte das Gefühl, nicht zynisch genug zu sein und verstand Freyt, der über 'Zivilisten und Pfeffersäcke' geschimpft hatte, die sich dusselig in Gefahr begaben und darauf vertrauten, daß das Imperium sie rausholen würde. Das Leben schien zu wertvoll, um es für Leute zu riskieren, die nur den Wert des Geldes verstanden.

Ich ging flott durch die abendlichen Straßen und fragte mich, warum ich zornig war. Ich wollte Stefanis Leben nicht. Ich hatte nie irgend etwas von dem gewollt, was sie haben konnte. Vielleicht hatte sie mich deswegen so gehaßt, als wir Kinder waren.

Die Nächte in Terrania sind kalt. Nikki empfing mich mit einer warmen Badewanne und lauschte vergnügt einer farbigen Schilderung, die ich von mir gab. Ich wollte ihn in dieser Nacht sehr nahe bei mir haben. Manchmal legt das Universum es darauf an, dich wissen zu lassen, daß es ein einsamer Ort ist, und heute war einer von diesen Tagen.

-------------------------------

10.11.2009

Vor ein paar Tagen lief ich Stefani wieder über den Weg. Es läßt sich nicht vermeiden, in Terrania Leuten zu begegnen, die Stadt ist immer noch ein Dorf. Sie lud mich zu einem Kaffee ein. Es amüsierte sie, die arme Verwandte zu beeindrucken, und sie hatte einen Knaller loszuwerden: Sie erzählte, daß Heinrich einen Inspektionsflug plante, um sich seine 'Inverstitionsobjekte' (oder so) anzusehen, und ob ich nicht mitkommen wollte?

Ich wollte eigentlich nicht, ließ mich aber beschwatzen. Das interessante an ihrem Eifer, mich an Bord zu kriegen war, daß eine Gazelle mit vier Passagieren weniger wahrscheinlich 'zufällig' einen imperialen Inspektor mitbekommt als eine mit dreien.

"Nimm' dir Urlaub", sagte sie. "Notfalls beruf' dich auf uns."

Einbildung ist auch 'ne Bildung. Ich sagte zu.

Bully genehmigte meinen Urlaub und grinste, daß er damit einen Inspektor spare. "Besteht Anlaß zur Sorge?" fragte ich. "Bei diesen halbgaren Süßwasserkapitänen -- immer", sagte er. Womit ich so klug war wie vorher. Immerhin hatte ich damit meinen Segen von höchster Stelle und packte aus der Asservatenkammer ein paar Spielzeuge ein.

Dann ging ich zum Raumhafen, wedelte mit ein paar Papieren und guckte mir Heinis Schiffchen mal an. Hübsch. So eins will ich auch haben, wenn ich groß bin. Typ Gazelle, 2002er Serie, Sprungkapazität etwa 4E5, mehr bei pfleglichem Umgang. Zugelassen für 8 Personen. Kann von einer Person geflogen werden, empfohlen zwei. Steuerungsupdate und Sicherheitscheck Anfang des Jahres. Eins-a Zustand, Marktwert (ohne die Einrichtung gesehen zu haben) locker 500 K-Solar. Heinrich hatte das gute Stück allerdings, wie erwartet, bei SpaceTrans geleast. (Solveig an Bankkonto:'?' Bankkonto an Solveig: 'vegiß es')

In zwei Tagen soll's losgehen. Denn man tau.

-------------------------------

12.11.2009

Wir haben gerade die Plutobahn hinter uns gelassen und gehen in zwei Stunden in Hypersprung. Außer mir, Stefani und Heinrich ist noch ein Pilot an Bord, Granger heißt er ("wie der Schaupieler" -- welcher Schauspieler, zum Teufel?), Ami, etwa 40 und so zackig als müsse er der ganzen Welt beweisen, daß an ihm ein Offizier verlorengegangen ist. Gegenüber seinem Boss kann er sich natürlich nur in engen Grenzen so aufführen, also bleibt's an mir hängen.

Wenigstens versteht er sein Handwerk. Lange Beschleunigungsphase, hohe Sprunggeschwindigkeit, alles was Menschen und Material schont.

Wir starteten eine Stunde vor Sonnenaufgang. Der Ostwind trug wieder Sand mit sich der stach wie Eisnadeln. Ich erlaubte mir den Luxus, bis jenseits der Mondumlaufbahn nichts anderes zu tun als zu gaffen -- im Dienst komme ich da selten genug zu, und ich glaube, selbst, wenn ich jedes einzelne Mal die Gelegenheit hätte zu gucken bis mir die Augen aus dem Kopf fallen, bekäme ich doch nie genug vom Anblick der Erde. Ich war ungestört, Heinrich las das Handelsblatt und murmelte etwas von Aktienkursen und Stefani, nachdem sie sich beklagt hatte, daß Raumflüge so langweilig waren, hatte sich in ihre Kabine zurückgezogen, kaum daß wir die Atmosphäre verlassen hatten.

Beim Abendessen dozierte Heinrich ausführlich über die arkane Kunst des Geldmachens. Ich ließ ihn eine Weile reden und erklärte dann, mein Geldproblem läge eher darin, daß ich nicht wüßte, wie ich das ganze Geld, das ich verdiene, ausgeben sollte (vom Leasen einer Privatyacht, die zu fliegen ich sowieso keine Zeit hätte, mal abgesehen.) Heinrich guckte mich kurz irritiert an, kam dann zu dem Schluß, daß ich irgendeine Auskunft von ihm wollte und begann, etwas über Anlagen, Immobilien, Aktien und Risikopapiere zu erzählen. Als er circa eine halbe Stunde später Luft holte, meinte ich, das sei ja alles gut und schön, aber ich schaffte es doch jetzt schon nicht, das ganze Geld auszugeben, welchen Sinn hätte es dann, weitere Energie zu investieren, damit es MEHR würde?

Er sah mich an wie ein aufgeklärter Missionar einen Wilden, der ihm gerade erklärt hätte, jeder WISSE doch, daß Bananen aus Bananenzeugs bestünden und was dieser phantastische Unsinn über Atome denn sollte. Dann meinte er, ich müsse bei meinen Verhältnissen doch an meine Alterssicherung denken.

Bonk. Da war es wieder. Ein Stück Normalität, das an mir vorbeiging, mir einen trüben Blick zuwarf und weiterstiefelte auf der Suche nach Leuten, die etwas mit ihm anfangen konnten. Ich grinste dem Stück triumphierend zu und sagte, nicht mal dafür sei es nötig.

Stimmt sogar. Ich bin eine reiche Frau. Alle Zulagen inklusive komme ich auf knapp 700 Solar brutto im Jahr, etwa 450 nach Steuern. Minus 150 für meine drei Zimmer, die ich gelegentlich wechsele, wenn es irgendwo anders drei Zimmer gibt, die mir besser gefallen, bleiben 25 im Monat zum Leben -- wenn ich da bin, gebe ich davon höchstens die Hälfte aus und 4 bis 6 Monate im Jahr bin ich auf 'Dienstreise' und lebe von meinem Spesenkonto. Also laufen bei mir Jahr für Jahr für Jahr 120 Solar auf, lümmeln sich auf der Bank rum und produzieren mehr von ihresgleichen. Wenn ich morgen meinen Job kündige und aus Terrania wegziehe, bin ich nach 50 Jahren zwar tot, aber nicht pleite. Lächerlich. Ich sollte mehr für wohltätige Zwecke spenden und das Geldhaben Leuten überlassen, denen es etwas bedeutet.

später:

Nachtphase. Der Sprung ist gut gelaufen, jetzt hängen wir im Nirgendwo nahe eines blauweißen Sterns, der nur eine Nummer und keinen Namen hat und gönnen Menschen und Material eine Erholungspause. Ich hatte meine Hyperpillen verschwinden lassen -- ich kann es nicht ab, döselig aus dem Sprung zu kommen -- und nutzte die späte Stunde für eine kleine Besichtigung.

Ich brauchte nicht mal meinen Overridecode um in den Hauptcomputer zu kommen. (Ja, es gibt einen Overridecode. Ratet mal, was sie sonst noch alles bei der 'Sicherheitsprüfung' einbauen.) Ich sah mir die Flugdaten nur flüchtig an -- es interessiert mich nicht die Bohne, ob Ol' Henry Pot schmuggelt, sondern ob sein Strukturabsorber in Ordnung ist und die Notfallroutinen auf dem neuesten Stand. Die Geräterückmeldungen, die der Flugschreiber vor und nach jedem Sprung aufnimmt, sahen alle gut aus. Die Flugrouten sahen weniger gut aus -- Heinrich oder sein Pilot schienen eine Schwäche dafür zu haben, sich abseits der A-Linien herumzutreiben, um auf Kosten der Sicherheit ein paar Tage zu gewinnen. Ich checkte kurz die Klasse der momentanen Flugstrecke und schluckte trocken. C. Und der nächste Sprung war über eine D-Route angesetzt, und als ich die Datenbank durchging mit der halbausgegorenen Idee, uns mittels eines 'Computerfehlers' auf eine sicherere Strecke umzuleiten, stellte ich fest, daß von diesem weißblauen Stern aus nur D-Routen weiterführten. Hervorragend. Was machten D-Routen im Astrogationscomputer einer Privatyacht? Natürlich konnte Heinrich es sich leisten, die teuren Machinen und seine alterschwachen Knochen mit einem gemächlichen Flugstil zu schonen, wenn er illegale Shortcuts durch die Galaxis nahm! Ich fragte mich, ob er übrhaupt wußte, was er da tat. Die meisten Leute glauben, die Routencodes werden danach vergeben, ob man die Chance hat, auf ihnen in einem Asteroidenfeld oder neben einer Pränova aufzutauchen, und ein paar Spinner trauen sich zu, derlei Unglücke mit persönlicher Flugkunst zu vermeiden. Wenn Heinrich das glaubte, war er ein Idiot. Wenn er wußte, daß die Codes die Wahrscheinlichkeit angaben, feindlichen Schiffen zu begegnenen, war er ein Verbrecher. Und so oder so, ich saß auf einer Bombe. Denn die Abwehr hat ihre Methoden, nicht zuzulassen, daß ein terranisches Schiff feindlichen Aliens in die Pfoten fällt.

Was mach ich nun?

-------------------------------

15(?).11.2009

Ich machte das falsche. Ich beschloß, den nächsten Sprung normal ablaufen zu lassen -- die einzige Alternative wäre gewesen, umzukehren -- und anschließend ein ernstes Wörtchen mit der Navigationsdatenbank zu reden. Vorerst legte ich mich schlafen. Am nächsten Tag wurde der nächste Sprung vorbereitet, und auf irgendeine Art geriet ich mit Stefani in ein völlig unnötiges Gespräch über Dress-for-Success oder so einen Blödsinn, der in meiner gespannten Stimmung für mich einen leicht surrealen Touch bekam.

Wir sprangen, und meine Alarmsirenen gingen schneller an als die des Schiffes. Ich roch Ärger, noch ehe der Computer meldete, daß wir weniger als eine AE von einem Fremdschiff entfernt aus dem Hyperraum aufgetaucht waren.

"Nottransition!" brüllte ich, als wäre ich im Dienst. "Schnell!"

Natürlich guckten sie mich alle an als hätte ich den Verstand verloren. Es war ein sternenreicher Sektor. Granger widmete sich wieder seinen Kontrollen. Stefani meinte, ich sollte mal nicht hysterisch werden. Die freundlich Computerstimme der Gazelle sagte: "Fremdschiff gesichtet. Alarmstufe gelb. Sicherheitsroutinen der Stufe eins gestartet." Ich kam ins Schwitzen. Das andere Schiff rief uns an: Leichter Patrouillenkreuzer Aktaar im Auftrag des Despoten von Tr'ai, zum höheren Ruhme Arkons, wollte wissen, wer wir waren. Granger begann, hektisch durch die Übersetzungroutinen zu spulen und ich kapierte, daß die Leute Arkonidisch gesprochen hatten. "Lassen Sie mich ans Mikrophon", sagte ich zu Granger, der mich glatt ignorierte, was ich nicht gewöhnt bin und nicht gut aufnehme. Ich packte ihn bei der Schulter und zog ihn zu mir herum. (Man muß keine Jiu-Jitsu-Kurse nehmen, wenn man im MK ist, aber ich habe es immer für eine gute Idee gehalten). "Lassen Sie mich an das gottverdammte Mikrophon!"

Offenbar gefiel ihm mein Ton nicht. Er versuchte, meine Hand abzuschütteln aber das war nicht so einfach. "Das ist Meuterei! Verschwinden Sie von meiner Brücke!" Ich ließ mich nicht beeindrucken. "Hören Sie", sagte ich leise -- ich wollte nicht auch noch mit Hein und Stefani streiten. "Da draußen ist eine arkonidische Raumpatrouille. Sie müssen wissen, was das bedeutet. Ich kann uns hier rausholen -- wenn Sie mich lassen." Ich starrte ihm in die Augen und projizierte angestrengt, daß ich ein Profi für solche Situationen war. Schließlich nickte er widerstrebend. Die Patrouille des Despoten von Weißnicht wiederholte ihren Anruf. Ich schnappte mir das Mikro, schaltete die Bildübertragung ein und setzte ein gestelztes Provinzarkonidisch auf. "Dies ist die Privatyacht des Großmuftis von Shallabar ap Mell auf dem Weg nach Driashur, wo der Großmufti Geschäfte zu haben beliebt. Ich bin Kapitänsjunker Eshekar, erster App von Teffla. Mit wem habe ich das Vergnügen?"

Hinterwäldler, die sich für die Nabe der Galaxis halten, sind im Universum gewöhnlicher als Wasserstoff.

Der Bildschirm auf unserer Seite ging an. Mein Gesprächspartner sah definitiv weniger arkonidisch aus als ich, mit seinem roten Zopf und dunkler Haut. Bildübertragung arbeitet meistens für mich.

In dem Moment versuchte Heinrich, mir das Mikro abzunehmen. Ich schaffte es gerade noch, mit der anderen Hand an die Feinabstimmung zu kommen. Wenn man den Drehknopf schlecht genug behandelt, hört es sich für den Gegenüber an, als seien die heulenden Derwische in die Funkanlage geraten. Meine nächsten akustischen Eindrücke waren allerdings kaum anders. Heinrich plusterte sich auf und Stefani fing an zu kreischen. Ich filterte irgendwas raus von 'mein Schiff' und 'wer sind diese Aliens' und 'wer zum Teufel glaubst du, daß du bist' und 'was soll das'. Schließlich brüllte ich aus Leibeskräften 'RUHE' und es wirkte.

"Es sind Arkoniden", erklärte ich. (Nicht ganz, aber hinreichend.)

Stefani guckte mich trotzig an. "Na und?"

Oh mein Gott. Und so was lassen wir auf die Schiffahrtsrouten los. "Wenn sie erfahren, daß wir Terraner sind, bringen sie uns um", sagte ich. (Verkürzte Zusammenhänge. Manchmal hilft's)

"So ein Unfug", sagte Heinrich. "Wir haben doch keinen Streit mit ihnen."

Ich erfand etwas. Es war einfacher, als die Lage zu erklären. "Nein, aber sie mit uns. Sie kontrollieren den Handel in diesem Sektor und wollen keine Konkurrenz."

"Das ist Piraterie!" empörte sich Heinrich.

Endlich kamen wir der Sache näher. "Ja, das ist es. Und weil sie das größere Schiff haben, müssen wir sie bluffen."

"Sie haben wohl zu viele Videos gesehen! Glauben Sie etwa, Sie können mir auf meinem Schiff Befehle -"

Die freundliche Computerstimme unterbrach ihn: "Wahrscheinlichkeit des Enterns bei 48.3 Prozent, steigend. Sicherheitsroutinen der Stufe zwei gestartet."

"Ich spreche Arkonidisch", sagte ich.

Granger begann, auf Heinrich einzureden. Ich richtete die Kamera neu aus und hörte auf, die Feinabstimmung zu quälen. Ehe der Typ auf der anderen Seite den Mund aufkriegte, sagte ich: "Der Großmufti verlangt zu wissen, ob es in der Absicht der höchstgeehrten Patrouille des Despoten von Tr'ai -- mögen die Götter ihm ein langes Leben schenken -- liegt, ihn auf seiner Reise aufzuhalten, und er wünscht, bekannt zu geben, daß er eine derartige Absicht als eine Kränkung seiner durchlauchten Person und seiner höchstwürdigen Ahnen betrachten wird." (Auf Arkonisich ist so etwas ganz einfach zu sagen, ehrlich.)

Leider hatte der Knabe auf der anderen Seite auch sein Arkonidisch gelernt. Er konnte nicht mit ganz so glänzenden Titeln aufwarten wie ich (er hatte ja auch nicht ein halbes Jahr lang alle Folgen von Sector Patrol Seven sehen müssen, für die Nikki eine unerklärliche Vorliebe entwickelt hat), aber er war immerhin Oberst Ra'ankan Praid, der uns ja nur vor Piraten auf der Route nach Driashur warnen wollte und uns so höflich Geleit anbot und sich auf unser Schiff einlud, daß ich nur gute Miene zum bösen Spiel machen konnte und die Einladung im Namen des Großmuftis selber aussprach.

"Fremdschiff bereitet Enterkommando vor", sagte der Computer freundlich. "Alarmstufe Rot. Sicherheitsroutinen der Stufe drei starten?"

Ein einfaches 'Nein' ist dem Computer in diesem Moment zu wenig. Natürlich hätte es gereicht, den Overridecode per Hand einzutippen, aber es war an der Zeit, ein paar Sachen klarzustellen.

"Computer: Override -- Verifizierung Solveig Jamieson, Solare Abwehr, Dienstnummer..." ich rasselte die Zahlen herunter und wünschte mir, im Hinterkopf Augen zu haben.

"Verifiziert." Die Stimmen klang irgendwie weniger freundlich. "Notfallroutine fortsetzen?"

"Computer: Notfallroutine abbrechen, wiederhole, abbrechen. Alarmstufe Rot aufheben. Die Lage ist unter Kontrolle."

"Notfallroutine abgebrochen." Der Computer klang richtiggehend unglücklich, seine Chance auf einen dramatischen Abgang verloren zu haben. Ich fragte mich, ob diese Modelle generell suizidgefährdet waren oder ob Heinrich ihn dazu getrieben hatte. Dann drehte ich mich um.

Der Ausdruck auf Stefanis Gesicht war das ganze Drama wert.

"Solare Abwehr?" stammelte Heinrich.

"Ja", sagte ich knapp, um nicht vom Thema abzukommen. "Sie kommen an Bord. Ich habe Sie als Würdenträger eines Hinterwäldlerplaneten ausgegeben und mich als ihr Sprachrohr. Die Leute da sind mißtrauisch, aber höflich. Benehmen Sie sich wie der Großmufti aus Sector Patrol Seven und überlassen Sie mir das reden." Ich wandte mich an Granger. "Der Kreuzer schickt ein Shuttle rüber. Könnten Sie bitte ein Anpassungsmanöver fliegen?"

"Sie wollen diese Wilden auf mein Schiff lassen?" Heini hatte die Lage immer noch nicht gerafft.

"Ja."

"Ich werde mich bei Ihren Vorgesetzten beschweren."

"Tun Sie das. Granger, fliegen Sie dies verdammte Anpassungsmanöver!" Der Pilot verdrückte sich an seine Kontrollen.

Die Trai'er kamen, wurden mit gebührenden warmen Worten und kalten Drinks empfangen. (Stefani, Veteranin von einem Dutzend Wohltätigkeitsbällen, brauchte nicht viel um in die Rolle der Gemahlin des Großmuftis und perfekten Gastgeberin zu fallen.) Praid war ganz Offizier und Gentleman, sein Begleiter dafür ein düster blickender Knabe, dessen erste Aktion es war, einen Controller auf unseren Astrocomputer zu setzen und der keine Drinks annahm. Bald darauf sprangen wir, koordiniert mit dem anderen Schiff, tiefer in arkonidisch kontrolliertes Gebiet. Ich checkte den Astrocomputer: zwei weitere Sprünge würden uns nach Driashur bringen. Dazu durfte es auf keinen Fall kommen, so lange würden wir diese Klamotte nicht durchhalten. Die Routen waren bekannt und relativ befahren, bis zur nächsten Beschleunigungsphase blieben mir nur zwei Stunden. Der 'Großmufti' zog sich mitsamt Gemahlin zurück, das beste, was sie tun konnten, und Praid versuchte, sich mit mir über unsere Herkunftswelt und die Rolle eines Großmuftis auf dieser zu unterhalten. Ich versuchte, ihn zu entmutigen, indem ich als kompletter arroganter Bastard auftrat, aber der Knabe war auch nicht von gestern, und sein Begleiter wirkte entschieden zu clever für meinen Seelenfrieden. Ich brauchte etwas Spielraum.

Natürlich. Schiffscomputer (selbst suizidale) sind wunderbare Maschinen. Voller Überraschungen.

Ich entschuldigte mich, um die Sprungdaten zu checken und sagte Granger einen Code, den er in etwa einer halben Stunde eintippen sollte. Es war eine lange halbe Stunde, in der ich mich mühsam durch die Konversation mit diesem definitiv zu intelligenten Trai'er kämpfte und gleichzeitig eine Art Selbsthypnose versuchte: es ist alles in Ordnung, alles geht nach Plan, alles im grünen Bereich... wie gesagt, ich bin auch sendende Empathin. Leute haben eine Tendenz, meine Stimmung zu übernehmen, so wie ich ihre übernehmen kann. Heute verwendete ich diesen Trick um zwischen mir und Praid eine 'alles in bester Ordnung'-Rückkopplung aufzubauen. Das SCHWIERIGE dabei ist, nicht an seinen eigenen Blödsinn zu glauben.

Nach einer halben Stunde fing der Computer das Rumoren an. Der Code, den ich Granger gegeben hatte, tut nichts weiter, als die Bildschirme bunt blinken zu lassen, ein Ulk, um Greenhorns in Panik zu versetzen. Das tut er gut. Granger kannte den Trick nicht und wirkte ehrlich verwirrt, was mir die Gelegenheit gab, mit der Geste des von der Inkompetenz seiner Untergebenen schwer geschlagenen Captains zu den Kontrollen zu schreiten und noch ein bißchen mehr Verwirung zu stiften. Ich wechselte ein paar belanglose Worte mit Granger und forderte dann den höchstgeehrten Herrn Praid höflichst auf, sein Kontrollmodul von meinem Computer zu entfernen, damit ich den Fehler beheben konnte.

Nach längerem Überlegen und unter den düsteren Blicken seines Kollegen tat er das schließlich. Der Kollege guckte mir auf die Finger, während ich tippte, aber man kann ziemlich lange zusehen, wie jemand Maschinencode in ein fremdes System eingibt, ohne zu verstehen, was da geschieht. Schließlich mußte der Düstere seine Unkenntnis zugeben und fragte mich, was los sei.

Alleine ein dezentes Mißvergnügen darüber auszudrücken, daß man den Namen seines Gegenübers nicht kennt, kann in Arkonidisch locker fünf Minuten dauern. Dafür ist diese Sprache um so schlechter geeignet um technische Probleme darzustellen, so daß ich weitere fünf Minuten auf eine Erklärung des nichtexistenten Computerfehlers verwendete, die nicht mal kürzer gewesen wäre, wenn tatsächlich ein Computerfehler vorgelegen hätte.

In diesen zehn Minuten hatte ich den Computer angewiesen, eine Nottransition von 8K Lichtjahren zu einer terranischen Relaisstation vorzubereiten, seine Bedenken in Bezug auf zu erwartenden Schaden an Menschen und Maschine zu ignorieren und (vergeblich) versucht, die ausgegebenen Sprungdaten ohne Hilfsmittel gegenzuchecken -- die Astrogationsdatenbank aufzurufen hätte geheißen, mein Glück zu strapazieren.

"Bereit", sagte der Computer. "Ausführen?"

Im dem Moment fiel bei dem düsteren der Groschen. Er griff nach seinem Strahler und rief eine Warnung zu Praid.

"Bestätigt", sagte ich. Die Maschinen heulten auf. Die Sterne fielen durchs Spektrum. Und wir sprangen.

Der Trick in seiner Urform stammt von Tifflor und funktioniert mit einem bei 8g abgeschalteten Andruckabsorber. Er beruht darauf, daß terranische Raumfahrer (was immer eine gewisse lästerzüngige Mutantin auch behaupten mag) taffe Kerls sind und, wenn alle Anwesenden gleichermaßen Schläge kriegen, als letzte zu Boden gehen und als erste wieder hochkommen. Man trainiert uns darauf.

Tatsächlich war ich die erste, die nach dem Sprung wieder zu sich kam. Die Notbeleuchtung funzelte trübe vor sich hin. Ich fühlte mich, als hätte man mich auf die Streckbank gespannt, meine Gelenke schrieen bei jeder Bewegung, aber wenigstens KONNTE ich mich bewegen.

Das erste war, unseren ungebetenen Begleitern die Waffen und sonstigen Gerätschaften abzunehmen, dann pulte ich die Hyperschockbehandlung aus dem Erste-Hilfe-Kasten, setzte erst mir eine Spritze und dann Stefani, Granger und Heinrich. Sie waren alle KO und würden es noch eine Weile bleiben, aber ihre Lebenssignale waren stabil.

Der Zweite, der hochkam, war Praid. "Es tut mir wirklich leid", sagte ich und paralysierte ihn. Es war die einzige Methode, ihn aus meinem Fell zu halten, dieses Schiff hatte natürlich keine Arrestzellen, und Leute in der Besenkammer einzusperren läßt ihnen zuviel Möglichkeiten, Unfug zu machen.

Als nächstes machte ich Status. Es war genauso schlecht wie nach einem solchen Gewaltmanöver zu erwarten. Der Sprungantrieb und der Absorber waren ein Haufen Schrott. Die Hülle hatte Strukturschwächen davongetragen, hielt aber. Die Lebenserhaltungssysteme liefen auf Notstrom, aber Notstromgenerator, Normalfunk und Normalantrieb waren vom Hypersystem abgekoppelt und unbeschädigt. Ich hatte mit schlimmerem gerechnet. Ein Hüllenleck kann einem wirklich den Tag verderben. Die Spritze begann zu wirken. Die Taster zeigten die terranische Boje wenige AE entfernt. Ich ließ das Normaltriebwerk langsam hochlaufen und manövrierte uns im Schneckentempo so nahe an die Boje heran, daß wir sie mit Normalfunk erreichen konnten. Die Boje selber konnte unseren Input in gerichtete und codierte Hyperfunksignale umwandeln. Ich beschränkte mich auf den Namen des Schiffes und ein SOS. Notrufe haben an all diesen Bojen Priorität. Dann hieß es warten. Ich fuhr die Schiffssysteme auf Minimum, erinnerte mich, irgendwo eine Flasche mit Cognac gesehen zu haben, legte die Füße auf die Konsole und unterhielt mich mit der Flasche. Es hielt mich davon ab, über das nachzudenken, was ich gerade getan hatte und was alles hätte schiefgehen können. Nach mehreren guten Schlucken raffte ich mich schließlich auf, ein vorläufiges Protokoll über die Ereignisse zu schreiben -- IRGEND JEMAND auf Terra würde todsicher einen Bericht in dreifacher Ausfertigung haben wollen. Und jetzt hoffe ich, daß bald ein Funkspruch reinkommt und jemand uns abholt, damit ich auch eine Gelegenheit habe, besagten Bericht abzuliefern.

Der Funkspruch kam eine gute Stunde später und informierte uns, daß wir in etwa 20 Stunden mit einem Rettungsteam rechnen konnten. Granger kam zu sich und ich sperrte die Trai'er doch in die Besenkammer, damit sie nicht zu viel mitbekamen. Selbst WENN sie mit irgendeinem kühnen Manöver das Schiff übernahmen, konnten sie damit nichts anfangen, ehe die Terraner da waren.

Granger wollte wissen, ob ich sie im Auftrag der Abwehr begleitet hätte und ich sagte wahrheitsgemäß, nein, Stefani hätte mich in Unkenntnis meines Jobs auf einen Spazierflug eingeladen und das hier sei mein Urlaub. Ich tat ziemlich cool, weil ich nicht mehr die Energie hatte, irgend etwas anderes als ziemlich cool zu sein, machte die Flasche leer und legte mich dann schlafen. Sollte Granger mit Heinrich und Stefani fertigwerden, wenn die aufwachten.

-------------------------------

17.11.2009

Zur vereinbarten Zeit kam eine Kaulquappe, um uns abzuholen. Die Gazelle wurde angekoppelt, ein Ingenieur untersuchte die Hülle, schüttelte den Kopf und erklärte, für die Rückreise hätten wir uns an Bord der Kaulquappe zu begeben, die Überreste der Gazelle würde der Recyclingfrachter in ein paar Monaten aufsammeln. Heinrich machte eine Szene und drohte, mir die Kosten in Rechnung zu stellen. Ich verwies ihn auf meinen Arbeitgeber und erntete befremdete Blicke von den Besatzungsmitgliedern der Kaulquappe, die diesen Wortwechsel mitbekamen. Stefani schien die Geschichte unter 'Mein Schönstes Ferienerlebnis' abgelegt zu haben und freute sich schon darauf, sie auf dem nächsten Ball einem tief beeindruckten Publikum erzählen zu können. 'Ach, wissen Sie, das ist ja alles nichts gegen UNSEREN letzten Urlaub, Sie wissen doch, wir hatten diese NIEDLICHE kleine Gazelle...' Ich war nur ein weitere kurioser Charakter in ihrer Geschichte. Sie wollte mein Leben nicht. Sie wollte überhaupt nichts von dem, was ich haben konnte. Ich sah sie an und wußte, daß sie Lichtjahre von mir entfernt war, so weit entfernt, daß ich ihre Stimme nie wieder in meinen Gedanken hören würde.

Praid und sein Kollege kriegten eine Piratengeschichte erzählt und wurden auf einem Asteroiden abgesetzt, wo ihre Kollegen sie abholen konnten.

Wir nähern uns Terra. Gerade habe ich meinen Bericht in dreifacher Ausfertigung ans HQ geschickt. Bully sagt, daß er sich nur zu gerne mit Heinrich zum Thema Schadenersatzforderungen unterhalten wird. Grins.

Ich hoffe, Nikki ist zu Hause und hat ein heißes Bad und ein warmes Bett für mich. Meine Knochen haben sich noch immer nicht ganz von dem Hypersprung erholt. Ich fühle mich wie eine angeschlagenes altes Luder und bin, alles in allem betrachtet, ziemlich zufrieden mit mir und dem Verlauf dieser Episode.

===============================

rauf

weiter

Main Page

 

© inge 1986, 1997