2040
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Terrania
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6.2.2040

Es scheint, als sei die Atempause, die wir uns 1984 verschafft haben, schließlich vorbei, und es gefällt mir nicht.

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Gestern empfingen wir einen Funkspruch, der die gesamte Administration in einen aufgescheuchten Ameisenhaufen verwandelte. Alle Urlaube gecancelt und die Klimaanlagen in den Krisensitzungsräumen kriegen die Kernschmelze.

Der Funkspruch kam von einem amerikanischen Gemüsehändler, der mit seinem Atom-U-Boot im Azorengraben am Tiefseefischen war (mit einer Betäubungsharpune) und einen seltsamen Fisch an Land (oder ins Boot) zog: einen Menschen, der mit Schutzschirm und einer Tasche seltsamen Krams dort spazierenging.

Soweit ziemlich irre, aber OK. Das ist ja auch nicht das Problem. Das Problem ist: er ist kein Mensch. Er ist Arkonide.

Kabumm.

Irgendwelche Fragen?

Allerdings. Die wichtigsten sind: Wie haben sie uns gefunden? Und: Wie tief im Scheiße stecken wir?

Außerdem frage ich mich, wie irgend jemand - und wenn es ein verrückter Arkonide ist - auf die Idee kommt, im Azorengraben spazieren zu gehen.

Das U-Boot hat sich dann nicht wieder gemeldet. Wir haben versucht, es anzufunken, Taucher an seine letzte bekannte Position geschickt - nichts. Nach 1 1/2 Stunden war die Suche zu einer Großaktion ausgewachsen, Flugzeuge, Schiffe - nichts.

Hier ist die Krise am Dampfen. Die Flotte ist auf die Defensivpositonen gegangen, aber die gesamte terranissche Raumflotte kann uns nur Zeit kaufen, und was sollen wir mit Zeit? Wir können nirgends hin.

Wir MÜSSEN diesen Typen erwischen.

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27.2.2040

Das U-Boot hat sich vor der portugiesischen Küste angefunden. Die Besatzung wurde offenbar mit dem Hypnostrahler behandelt, ist aber am Leben. Arbeit fürs MK, und so sitzen wir alle im Flieger nach Portugal.

Ich bin gerade für eine Stunde eingedöst (nicht viel Schlaf die letzte Nacht) und hatte wieder Alpträume. Das ganze muß mich mehr mitnehmen als ich gedacht habe.

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28.2.2040, abends

Bei zwei von den U-Boot-Leuten hatten wir schon Erfolg. Aber es ist schwierig, wer immer die Hypnoblocks gesetzt hat, verstand sein Fach. Jetzt haben wir das Prinzip kapiert, jetzt geht's hoffentlich schneller.

Wir haben viel erfahren, aber klüger sind wir immer noch nicht.

Der Kapitän der U-Bootes, ein älterer Mann, sagte aus, die erste Frage des Arkoniden, nachdem er aus der Betäubung aufgewacht sei, wäre gewesen, wie es auf der Erde aussah und was seit 1971 geschehen sei. Als er vom derzeitigen Zustand des Arkonidenreichs hörte, sei er ausfallend geworden.

Der Mediker des Schiffes hatte den 'Fang' behandelt und gab uns eine ziemlich genaue Beschreibung. 30 bis 40 Jahre, sagte er (bei der höheren Lebenserwartung von Arkoniden also ungefähr das Doppelte). 190cm, 100kg. Exellenter körperlicher Zustand.

Hervorragend.

Wir wissen gar nichts! Crest und Thora können uns auch nicht weiterhelfen. Wir müssen diesen Kerl finden!

Ende der Kaffeepause. Nächste Anti-Hypno-Sitzung.

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28.2.2040, gegen Mitternacht (gähn)

Wir haben ihn!

Unser Gesuchter hat die Identität eines Besatzungsmitglieds namens Phil Holding angenommen und ist in Portugal an Land gegangen.

Drei Stunden Schlaf fürs MK, dann ab mit der Mannschaft, vielleicht finden wir ihn telepathisch. Ich bin auch mit von der Partie, obwohl ich bei solchen Manövern nicht besonders effizient bin.

Ich bin hundemüde, aber aufgekratzt und kann nicht schlafen, also habe ich mich in die Hotelbar gesetzt und versuch's mit einem Schlummertrunk. Der Barkeeper ist ein Roboter, bei dem man sich nicht ausjammern kann und die Klimaanlage ist zu kalt eingestellt. Ich hasse diese modernen Schuppen.

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29.2., Lissabon, vor Sonnenaufgang

Ich war beim zweiten Cognac, als jemand reinkam, sich neben mich setzte und eine Virgin Mary bestellte. Ich sah verwirrt rüber und schaute in das freundliche Großonkelgesicht unseres Geheimdienstchefs.

"Guten Abend, Miss Jamieson. Sollten Sie sich nicht ausruhen?"

"Guten Abend, gleichfalls. Sollten Sie nicht auf Ultima Thule sein?"

Wir nahmen unsere Gläser und verzogen uns in eine Nische. Ich ließ mir vom Barkeeper noch die Flasche geben. Mercant runzelte die Stirn. Ich merkte, daß ich schon einiges intus hatte daran, daß mir das egal war. Trotzdem nahm ich die Flasche mit.

"Ich bin gerade angekommen", sagte Mercant. "Entsetzlicher Flug. Natürlich, alle Flüge von Ultima Thule sind entsetzlich. Was halten Sie von dem Fall?"

Ich kramte nach meinen Zigaretten, um mir beim Denken zu helfen. Mercant gab mir Feuer. Ich nagte an dem Rauch und ließ die letzen Tage Revue passieren. Irgendetwas störte mich, und ich konnte den Finger nicht darauf legen.

"Der Arkonide", begann ich. "Ein ungewöhnlicher Vertreter eines Volkes, bei dem die normale Raumschiffbesatzung zu tranig ist die Schutzschirme einzuschalten, wenn sie angegriffen werden. Während er schon auf der Flucht ist, macht sich die Mühe, einer gesamten U-Boot-Besatzung Hypnoblocks zu verpassen. Langsam und ineffizient. Sie zu töten wäre einfacher gewesen. Er hat es nicht getan. Sonst noch..." Ich dachte weiter nach. Einige Sachen hatten in den letzten Tagen im Hintergrund meines Gehirns an geschlossenen Türen gekratzt, und jetzt kam ich das erste Mal dazu, mich mit ihnen zu befassen.

"Seine erste Frage war, was seit 1971 auf der Erde passiert sei. 1971 Anno Domini. Common Era. Zu der Zeit wußte Arkon nicht, daß Terra existierte, geschweige denn, welches Jahr man dort schrieb. Das stört mich. Schon die ganze Zeit. Aber ich verstehe es nicht."

Irritiert starrte ich auf meine fast niedergebrannte Kippe. Ich brauchte heute lange zum Denken.

"Entschuldigen Sie mich", sagte ich. "Ich BIN müde."

"Selbstverständlich. Gute Nacht."

Ich ging in mein Zimmer hinauf. Ich wurde das Gefühl nicht los, etwas zu wissen, was ich nicht gesagt hatte. Viel zu spät schlief ich ein und träumte schlecht.

Laury weckte mich. "Was für ein Schiff?"fragte sie.

Ich starrte sie belämmert an. "Schiff?"

"Das frage ich dich. 'Das Schiff ist nicht gekommen' hast du gesagt."

"Ich habe geträumt."

"Träum' nicht zu lang. In einer Viertelstunde müssen wir los."

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1.3.

Nichts. Mercant fiel noch auf, daß der Arkonide die Röntgenbilder, die sie auf dem U-Boot von ihm gemacht hatten, anscheinend dort vergessen hat, und er läßt die Stelle, wo wir das U-Boot gefunden haben, bewachen, als lägen dort die Kronjuwelen. Wenn er nicht genau so schlau ist wie wir, kriegen wir ihn vielleicht auf die Tour.

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2.3.

VERDAMMTE HACKE! Durch die Lappen ist er uns gegangen, um Haaresbreite!

Eine Fahndung nach Phil Holding ergab endlich, daß er in irgendeinem drittklassigen Hotel in Lissabon eingecheckt hatte. Von dort aus ging er täglich in die öffentliche Bücherei und studierte Bücher über die jüngere terranische Geschichte von den Tagen der Dritten Macht an.

Auf dem Weg vom Hotel zur Bücherei wollten wir ihn abfangen. Wir postierten sogar einen Telepathen auf dem Dach der Bibliothek, der unseren Kandidaten eindeutig ausfiltern sollte. Ansonsten war jede zweite Person in dem Viertel an dem Vormittag ein Agent. Holding mußte uns einfach in die Falle gehen!

Denkste.

Samuel Goldstein, der auf dem Dach der Bibliothek saß und naß wurde, meldete sich gegen halb neun bei John: Er habe den Verdächtigen gesehen, aber seine Gedanken nicht lesen können. Nun ist Samuel zwar erst schlappe 17 und neu im Geschäft, aber einen normalen Schirm knackt er vor der zweiten Tasse Kaffee. Der Arkonide muß sich phantastisch gut abschirmen können. Immerhin, so dachten wir, war der Knabe sicher in der Bibliothek, wir mußten nur warten, bis er rauskam. So um drei kam uns die Sache spanisch vor. Wir schickten jemanden in die Bibliothek, und, ta-tah: kein Phil Holding. Unser Papenheimer hatte Lunte gerochen und war auf und davon. Bully fluchte wie ein Bierkutscher. Damit sprach er uns aus dem Herzen.

Natürlich suchen wir jetzt das ganze Land ab, aber das ist die Suche nach der sprichwörtlichen Stecknadel, zumal jetzt, wo er weiß, daß wir hinter ihm her sind.

Aber er wird irgendetwas tun müssen. Und wir werden warten.

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3.3.

Zurück in Terrania. Die Wetten stehen 3:1, daß er als nächstes hier auftaucht.

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10.3.

In der letzten Woche herrschte Ruhe. Wir alle fürchten, daß es die Ruhe vor dem Sturm ist.

Ein einzelner! Und wir stehen da wie Pik Sieben!

Die Psychologen haben ein paar Sonderschichten geschoben und einen Bericht abgegeben. Das zusammengefaßte Paper ist gerade mit der Hauspost auf meinen Schreibtisch geflattert.

Also:

Unser Mr. X ist sehr von sich überzeugt. Dadurch wird er unvorsichtig, siehe die vergessenen Röntgenbilder oder den blanken Leichtsinn, vier Tage in Lissabon zu bleiben.

Er ist für einen Arkoniden ungewöhnlich aktiv.

Und er ist nicht auf dem neuesten Stand der Dinge. Die Psychologen vermuten, daß er versucht, seine Informationslücken zu füllen, ehe er seinen nächsten Zug unternimmt.

Und der wird vermutlich in Terrania stattfinden.

Junge Junge. Psychologe müßte man sein.

Gestern saß ich mit Betty zusammen und zu fortgeschrittener Stunde beschlossen wir, daß Mr.X durch eine Dimensionsverwerfung aus einer Paralellwelt hierhergekommen ist. In seiner Heimatdimension wurde Terra 1971 vom arkonidischen Imperium geschluckt. Armer Hund.

Andere Spätabendspekulationen im MK propagieren, daß die Mafia dahintersteckt (André) oder das Ganze eine Reklame für eine neue Fernsehserie ist (Tako).

So gut wie die Psychologen sind wir allemal.

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25.3.

Noch immer nichts. Vielleicht haben wir die Choose ja nur geträumt. Mercants Analytiker haben die 'Er kommt nach Terrania'-Hypothese bestätigt. Nett von ihm. Erspart uns weitere überklimatisierte Hotels.

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24.4., Abends

Skörld Gonardson.
Geboren 2007 in Greenville, Maine, Nordamerika.
Sohn schwedischer Auswanderer.
Schulbesuch in Portland.
Studium an der California Academy of Spce Flight.
Fachgebiete: Hochenergietechnik, Hypermathematik.
Ab morgen Chef des Prüfstands T18, Terrania Space Fields.
Mr.X?

Gmuna, sein Assisent-Bewacher schwört Stein und Bein, daß das nicht sein kann. Kosnow, Abwehrchef für Terrania hat nichts Belastendes entdeckt, aber zieht aus dem Fehlen von Belastungsmaterial, wie es sich für einen Geheimdienstler gehört, keinerlei voreilige Schlüsse.

John ist unterwegs nach Maine, zusammen mit Laury und André. Sie sind das am besten eingespielte Anti-Hypno-Team.

Bully schlägt vor, den Typen zu verknasten, bevor er was anrichtet. Rhodan erklärt, das käme nicht in die Tüte. Recht hat er ja.

"Versuchen Sie doch mal, ob er Schwedisch spricht", sagte er zu mir.

Ich seufzte. "Sprechen SIE deutsch?" (Er hat deutsche Vorfahren, heißt es.)

Er lachte. "Ja, aber ich verstehe Ihr Argument."

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25.4.

Wir haben die Röntgenbilder von Gonardson, und sie scheinen unseren Verdacht zu widerlegen.

Ich muß da mal hin.

später:

Ich kam im Sanizimmer von Spacefields R&D wieder zu mir. "Was ist passiert?" fragte ich.

"Das wollte ich gerade von dir wissen", sagte Betty. "Du kamst, sahst, und bist umgefallen. Ganz zu schweigen von..."

Ich hörte sie nicht mehr. Mir fiel gleichzeitig auf, daß ich die Lösung wußte - ich wußte, wer der Arkonide war, warum er hier war und was wir tun mußten - und mir war schlecht. Betty hatte kaum Zeit, mir einen Kübel zu reichen.

Als ich mit Kotzen fertig war, erinnerte ich mich nur noch an das Gefühl, alles gewußt zu haben. Frustriert schlug ich auf die Bettkante. "Scheiß. Scheiße."

Betty hatte den bekümmerten Blick eines kompetenten Telepathen, der mit einem Anti spricht. "Du scheinst auf den Typen echt nicht gut zu reagieren. Hast du dich mal auf Präcog checken lassen?"

"Bist du verrückt? Denskt du, ich will enden wie Ellert?" Ich versuchte aufzustehen und fiel ächzend zurück. Meine Eingeweide fühlten sich an als sei es DIE Zeit des Monats, die es seit über 40 Jahren nicht mehr war. "Betty, ich schwör dir, Gonardson ist derjenige welcher."

Sie seufzte. "Sagt Mercant auch. Aber John und André sagen, daß er ein ganz normaler langweiliger Techniker ist."

"Das Los der Halbtelepathen." Ich war zu weich im Hirn, um mich aufzuregen. Ich versuchte nochmal aufzustehen.

"Laß man", sagte Betty. "Du bist den Rest der Woche krankgeschrieben."

"Was?"

"Jeder weiß, daß Telepathen empfindliche Pflänzchen sind."

Das hat man davon, wenn man öffentlich in Ohnmacht sinkt. Ich sagte etwas nicht stadtfeines. Betty grinste zustimmend. Mit etwas Mühe kam ich schließlich auf die Beine. "Wohin willst du?" fragte Betty.

"Ich hörte gerade, daß ich die nächsten 3 Tage krank bin. Ich fahr' zur Kur."

Und so kommt es, daß ich inmitten einer Krise zum Skifahren fliege.

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28.4.

Ich kam am Sonntagmittag zurück und hatte nicht vor, mich vor Montag zum Dienst zu melden. Als ich gerade in der Badewanne saß, klingelte das Telefon. John war dran. "Solveig? Könntest du bitte mal kommen? Wir haben hier eine Situation."

John ist immmer so höflich. Zehn Minuten später saß ich im Taxi und düste Richtung HQ.

Folgendes war passiert, soweit wir es im Moment rekonstruieren können.

Wir beobachteten den Knaben drei weitere geschlagene Tage, was zu nichts weiter führte, als das er sich die Gesichter unserer Agenten merkte und sie freundlich grüßte, wenn sie ihm über den Weg liefen.

Irgendwann fing Rhodan an, das persönlich zu nehmen. Kann man irgendwie verstehen. Er warf Mr.X einen Köder hin, bugsierte eine nagelneue Space-Jet in seinen Prüfstand und bat um Überstunden, da er in drei Stunden damit losfliegen wollte, und stand dann zwei Stunden kalt wie Hundeschnauze hinter unserem Kandidaten und machte Small Talk. Techniker haben Leute für geringeres erschossen. Nach zwei Stunden warf Gonardson ihn raus, was sein gutes Recht war.

In diesen zwei Stunden rief John aus Maine an: Gonardsons Coverstory war frei erfunden. Eine halbe Stunde später meldete sich Kosnow: Die Analytiker hatte die Röntgenaufnahmen von Gonardson als gefälscht identifiziert.

Kaum war Rhodan aus dem Prüfzentrum raus, wurde Großalarm gegeben und alles machte sich auf die Socken, um Mr.X zu fassen.

In diesem 'kaum' war er weg.

Es gab eine hübsche Verfolgungsjagd. Mr.X war frech wie Oskar, hetzte Leute hinter sich selber her quer durch die Gebäude. Außer ein paar Robotern kam niemand zu Schaden.

Letztendlich sagte Rhodan, er flöge jetzt ab, wir sollten Mr.X höflich bitten, auf seine Rückkehr zu warten. Kosnow fiel aus allen Wolken.

Die Suche ging weiter. Ich tauchte irgendwann auf und wurde mit eingespannt. Bis Mitternacht herrschte wilde Action. Wild und fruchtlos. Mr.X war wie vom Erdboden verschwunden. Um Mitternacht verordnete ich den anderen Mitgliedern meines Suchteams eine Kaffeepause, nahm die Schnellbahn zum Prüfstand und dachte nach.

Gmunas Büro lag nur fünf Minuten entfernt. Er war da und gab mir bereitwillig alle Daten über die Space-Jet, mit der Rhodan abgeflogen war. Ich ließ mir eine Leitung zum Tower schalten, rief die Startwerte der Jet ab und stellte sie neben die im Test von Gonardson ermittelten. "Vergleichen Sie das", befahl ich Gmuna und ging, um mein Team wieder aufzusammeln.

Eine Stunde später wurde die Jagd wegen allgemeiner Erschöpfung aufgegeben. Nur in Gmunas Büro brannte noch Licht.

Ich schau lieber, daß ich in die Koje komme. Wenn meine Vermutung stimmt, gibt das hier bald Streß, gegen die der ganze Spaß Ende Februar eine Runde Domino war.

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29.4.

Um fünf Uhr morgens rief Gmuna seinen Chef an. Der rief Kosnow an, und daraufhin wurde wieder einmal Alarm gegeben.

Mr.X war an Bord der Space-Jet gegangen, ehe Rhodan gestartet war. Und das Drama war da.

Nicht, daß wir besonders viel tun konnten. Die Trackerschiffe starteten, die Positroniken schafften und das MK kaute nervös an den Fingernägeln.

Komischerweise bin ich nicht nennenswert in Panik. Nicht mehr, seit ich an Prüfstand T16 aus den Latschen gekippt bin, um genau zu sein. Was immer ich an dem Tag gewußt hatte, mußte eine gute Nachricht gewesen sein. Überzeugend, daß ich wegen einer GUTEN Nachricht in Ohnmacht fiel und Alpträume hatte, nicht wahr? Ich glaubte mir kein Wort, und trotzdem war ich nicht in Panik. Wahrscheinlich ging mir der Fall einfach über die Hutschnur.

Ich schiebe die Fakten hin und her. Der Arkonide existiert. Das Problem muß eine Lösung haben, die alle Fakten erklärt. Und in den zwei Monaten, seit Mr.X das erste Mal aufgetaucht ist, haben wir keine Hypothese entwickelt, die auch nur anfängt, alle Fakten zu erklären. Erinnert mich an meinen ersten Kurs in Hypermathematik: 'Vergessen Sie erst mal alles, was Sie über Raum wissen.' Irgendwo sind unsere Axiome falsch. Verdammt, sobald ich aufhöre, darüber nachzudenken, habe ich das Gefühl, es zu wissen, aber ich WEISS es nicht! Ich habe André gefragt, ob er es nicht aus meinem Gehirn pulen kann, aber ich bin nun mal Anti.

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30.4.

Keine Nachricht.

abends:

Wer kennt Hellgate?

Hellgate ist ein kleiner, vollkommen unwichtiger Planet, 12K Lichtjahre von Terra entfernt. Eine unbemannte Meß- und Relaisstation existiert dort.

Hellgate ist nicht ganz die Hölle, aber fast. Eine Umdrehung des Planeten dauert sechs Tage. Die Temperaturen auf der Tagseite betragen fast 150 Grad. Atmosphäre? Ein paar einsame Edelgasatome, die zu stur waren, um ins All zu verschwinden. Hellgate ist ein Brocken aus Stein und Sand. Hellgate ist der Planet, von dem Rhodan sich vor fünf Stunden gemeldet hat. Er hat den Arkoniden. Klingt nach einer guten Geschichte. Ein leichter Kreuzer ist los, um die beiden aufzusammeln.

Ich bin so neugierig, daß ich an der Tischkante nage!

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2.5.

Rhodan und Mr.X sind zurück. Sie haben sich auf Hellgate ein astreines Duell geliefert und sind, vierhundert Meter vor der Station, noch fast in ihren Raumanzügen geröstet worden, weil sie sich gegenseitig belauerten, anstatt sich gemeinsam in die Station zu retten. Was sie am Ende aber doch taten.

Mr.X hat sogar einen Namen: Atlan.

Vielmehr als Name, Rang und Dienstnummer haben wir allerdings immer noch nicht von ihm.

Er behauptet, Flottenbefehlshaber des Großen Imperiums zu sein, aber er wirkte ehrlich überrascht - nein, entrüstet - als er vom Robotregenten und der Degeneration der Arkoniden hörte. Er gibt uns Rätsel auf und amüsiert sich dabei!

Als der Kreuzer da war, als Rhodan erleichtert den Strahler sinken ließ und sie ihm Handschellen anlegten, meinte er mit einem Blick auf die Dinger, daß sie sich kaum von den älteren Exemplaren aus dem Dreißigjährigen Krieg unterschieden. Er hat einmal vorbeigeschossen, als er einen idiotensicheren Schuß hatte. Und Rhodan hat ihn aus der abgestürzten Space-Jet herausgezogen. Naja, Adel verpflichtet.

Als er erfuhr, daß Rhodan unsterblich ist, fing er an zu lachen.

Er macht höflich und intelligent Konversation, lacht gerne, trinkt vorzugsweise Scotch, sieht aus wie ein junger Gott und bewegt sich wie ein Königstiger in seinem höchsteigenen Dschungel. Betty kriegt ganz glasige Augen, wenn er durch den Raum geht. Ich frotzelte, sie sei viel zu alt für ihn. "Bist du sicher?" fragte sie.

Sie hat recht. Ich bin ganz und gar nicht sicher.

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12.6.

Der Typ hält dicht wie ein Schleusentor. Wir sind keinen Deut klüger als vor sechs Wochen.

Sind wir nicht?

Er war überrascht, daß wir unsterblich sind, aber anders überrascht als andere Leute, falls das Sinn macht.

Crest und Thora haben von einem Atlan nie etwas gehört.

Die Telepathen können auch nicht helfen.

Und ich?

Ich traue mich nicht.

Seit Atlan da ist, träume ich zu oft, Dinge, an die ich mich nicht erinnere, und die mich nicht beunruhigen, weil sie oft schlecht sind, sondern weil sie manschmal so gut sind, daß ich aufwache wie ein Mensch, der zum ersten Mal das Meer gesehen hat, mit Tränen in den Augen. Betty verfolgt mich mit Spott über Liebeskummer, ein Witz, der langsam alt wird. Ich trinke zu viel, damit ich tief schlafe. Aber wenn ich träume, träume ich nicht von ihm. Ich gehe ihm aus dem Weg und denke nicht darüber nach.

Mercant will sich jetzt persönlich hinter die Sache klemmen. Vielleicht werden wir ja doch noch in diesem Leben klüger.

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16.6.

Klüger, ha! Klüger sind wir nicht geworden!

OK, Mercants Leute haben herausgefunden, daß Atlan seit mindestens 70 Jahren auf der Erde sein muß (irgendwie überrascht mich das nicht) und daß er um 1970 herum in der Nähe von Nevada Fields als Ingenieur tätig war. Soso...

Aber die Chose ist: Er ist weg.

Ich sitze in einem Flugzeug und habe ein paar Stunden widerwillig versucht, ihn zu orten, ohne Erfolg. Jetzt bin ich fertig, habe Kopfweh, wir kehren nach Terrania zurück.

Panik? Aber dicke.

Wie ist es passiert?

Ich versuche, am Morgen dieses Tages anzufangen. Wir hatten wieder mal unsere alltägliche Gesprächsstunde mit dem Arkoniden, ergebnislos. Ich war dabei, weil ich den Teufel tun werde und jemand merken lassen, daß es Probleme gibt, und Mercant, der No More Mr. Nice Guy spielte und drohte, das Amulett, das der Arkonide Tag und Nacht trägt, zu beschlagnahmen und zu untersuchen. Natürlich verzog Atlan keine Miene, aber die Drohung scheint gewirkt zu haben - nur leider nicht in die gewünschte Richtung.

Seit Semesterbeginn hält Atlan an der Uni von Terrania eine wöchentliche Vorlesung als Gastdozent über arkonidische Kolonialpolitik während der Expansionsphase. (Das ist 10K Jahre her, aber für uns heute aktuell.) Er ist gut. Der Hörsaal quillt aus den Nähten, wenn er spricht.

Natürlich ist er immer noch Gefangener, und so stehen ihm stets zwei kräftge Wächter zur Seite. Kurze Gedenkminute: Wie wirkt das, zumindest auf Studenten, die jung, intelligent und unzynisch sind? Genau.

Ein oder mehrere von den Studis müssen ihm geholfen haben. Dammit, ICH hätte ihm vermutlich geholfen wenn ich eine von den Studis gewesen wäre! Auf dem Dach von der Uni, kurz bevor er den Gleiter bestieg, der ihn immer von dort abholte, war er weg. Deflektorschirm, klar, primitiver Trick, aber bis seine Bewacher es kapiert hatten und die Ortung hochfuhren, waren drei Minuten vergangen und er irgendwo.

Ich brauch das nicht mehr. Ich brauch das echt nicht mehr.

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23.6.

Langsam entwickele ich einen Zorn auf den Typen. Wozu das alles! Er will nach Arkon, sagt er, na klasse, der Robotregent würde einen dermaßen lebhaften Arkoniden vermutlich in eine Gummizelle sperren lassen. Er hätte nicht mehr Glück als wir 1984, und wir säßen in der Scheiße. Ich glaube nicht, daß er uns in der Scheiße sitzen haben will. Vielleicht glaubt er uns nicht, oder er ist einfach nicht wild drauf, unser Gefangener zu sein. SEUFZ.

Mercants Leute haben die Studentin, die Atlan den Deflektor zugespielt hat, eine Marlis Genter, seit zwei Tagen in der Mangel. Sie ist sich keiner Schuld bewußt, aber sie hat ihm nicht nur den Deflektor verschafft, sondern auch ein Ticket zu Venus. Das läßt uns nur, ein vollbeladenes Auswandererschiff die Woche zu überprüfen, und das bitte unter Vorwand - diese ganze Affäre schadet unserem Ruf schon so genug.

Sieht der Kerl denn nicht ein, daß es keinen Sinn hat! (Aber welche Alternativen bieten wir ihm?)

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12.7.

Immer noch nichts. Wenn er nicht den ersten Zug macht, finden wir ihn nie.

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13.7.

Irren ist (nicht nur) menschlich. Marlis Genter hat einen Halbbruder auf der Venus. Dieser hat angeblich einen 'alten Schulfreund' namens Hinrich Volkmar.

Nur ist Marlis' Bruder auf der Venus geboren worden und Hinrich Volkmar in Friesland.

Ab ins Shuttle. Nächste Runde.

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14.7., Venus Port

Wir haben ihn schon anständig in die Enge getrieben. Marlis wird ständig überwacht (armes Mädchen), ihr Halbbruder ebenso. Ich warte auf den Linienflieger nach Astarte und filtere Muster durch.

Wahrscheinlich falle ich wieder um, wenn ich ihn habe.

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15.7.

Rhodan hat den Kampf mit harten Bandagen eröffnet. Ich fürchte, wir machen da einen großen Fehler.

Ich habe mir in letzter Zeit etwas Unterricht geben lassen und gelernt, nur entlang der Muster zu orten, ohne in die Muster hineinzugehen, was sehr viel ungefährlicher ist. In Astarte fand ich niemanden, aber als ich mit dem letzten Liniengleiter zurückkam, spürte ich vor unserem HQ etwas, wie einen Geruch, den man als Kind gekannt hat, eine vertraute Präsenz. Der Lump beobachtete uns! Ich erstattete Bericht und Rhodan kriegte dieses gefährliche Funkeln in den Augen.

Das wahrscheinlichste Ziel des Arkoniden ist die Venuspositronik, und da bringt ihn kein Liniengleiter hin. In den gesamten Venussiedlungen gibt es keine Gleiter, die diese Reichweite haben. Bis auf unsere.

Also versuchte Rhodan den gleichen Trick wie beim letzten Mal: Er ließ die Gleitertür offenstehen und ging fort, um noch etwas zu holen...

Zum Teufel, ich war dabei, ich kann espern, der Arkonide WAR in dem Gleiter im dem Moment als Rhodan mit einem Kampfhubschrauber runterkam und das Feuer eröffnete. Er war nicht mehr in dem Gleiter als das Ding hochging.

Oh Mann. ICH war wütend auf Rhodan, weil er das getan hatte, eine irrationale, dumpfe Wut, wie sie aus der Zerstörung einer Illusion kommt. Rhodan hatte den Arkoniden töten WOLLEN, was überhaupt nicht NÖTIG war und hatte das bis dato geltende Gentlemen's Agreement hinter die Saturnbahn geblasen. An Atlans Stelle wäre ich wütend, und Atlan hat bereits bewiesen, daß er Nützlichkeitserwägungen hintenanstellt, um einen Punkt rüberzubringen.

Das wird böse enden.

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17.7.

Wuriu und Gucky spürten den Arkoniden bei Marlis' Bruder auf, der selber nichts von seinem Besuch wußte und sich wunderte, was mit seiner Speisekammer los war. Der Arkonide paralysierte sie und verschwand im venustypischen Unwetter. Rhodan vergaß seine Ostküstenerziehung und fluchte lauthals. Er WEISS, wie hoch er spielt.

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19.7.

Wir haben das Boot, mit dem der Arkonide geflohen ist, zerschmettert im Hondo, unterhalb der Marshall-Fälle gefunden. Niemand von uns glaubt, daß er drin war, als das Ding über die Fälle ging.

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21.7.

Sie sind verrückt. Beide. Männer! Argh.

Das Erdmuseum. Dort erwartet Rhodan, den Arkoniden zu finden. Wir haben Befehl, uns zurückzuhalten. Der Chef will sich selber darum kümmern, und er hat hoch und heilig versprochen, ein paar Agenten mitzunehmen, die, anders als wir, in den letzten Tagen irgendwann mal Schlaf gekriegt haben. Nur: Er wird's nicht tun. Er wird alleine gehen.

Ich schau mal, ob ich Atlans Muster erwische. Es hat sich in den letzten Tagen gezeigt, daß ich darin gut bin, meine Orterfähigkeiten werden offenbar von einem Mentalschild am wenigsten beeinträchtigt. Wenn er Mordabsichten hat, schaffe ich es hoffentlich, Gucky noch rechtzeitig loszuhetzen.

Was tut man nicht alles.

abends:

Sie sind verrückt. Beide. Aber das sagte ich schon.

Ich fand Atlans Muster, hielt vorsichtig fest und verstärkte die Bindung, ohne tiefer zu gehen - auf dünnem Eis über einen Abgrund, in dem alte, dunkle Wesen atmeten. Ich hatte ihn.

Ich spürte eine leise Erschütterung des Musters, ein Erschrecken, das in einen schweigenden Teich von Nostalgie fiel, von Erinnerungen, die zu scharf waren.

Zorn - nicht meiner. Herausforderung, Spannung, ein Brechen von Glas. Etwas traf mich am Knöchel und ich fiel. Und dann Triumph, ein Lachen, das nicht gut war.

Etwas schrie in meine Konzentration, und ich rutschte auf Rhodans Kanal: Entsetzen. Angst. Die falsche Entscheidung.

Ich wollte nach Gucky schreien, aber ich fand mich nicht. Stattdessen stürzte ich in die Schatten. Kalte Luft eines fremden, hügeligen Landes unter den Sternen, ein Fluß hinter mir, Schatten und Schmerz und Waffengeklirr, der eine Fehler zuviel, die falsche Entscheidung...

Diesmal wachte ich nicht einfach auf sondern kämpfte mich aus dunklem Wasser an die Oberfläche. Ich schrie Alarm und die Bilder verschleierten sich schon wieder, was ich aufgeschrieben habe sind Fragmente, und ich habe keine Ahnung, was sie mit dem Arkoniden zu tun haben. Vielleicht sollte ich mal mit einem Psychologen sprechen.

Gucky begriff, was ich sagen wollte, er plöppte weg, zu spät, fürchtete ich. Sekunden später war er wieder da, machte große Augen und quietschte empört: "Die sitzen im Erdmuseum auf dem Boden und feiern Verbrüderung und Perry baucht'n Doc! Die haben sich mit Wikingerschwertern geschlagen! Kann mir das jemand erklären? Menschen!" Er entplöppte wieder, wahrscheinlich, um einen Medo zu holen. Der Rest von uns war schon dabei, zum Ort des Geschehens zu rennen.

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Die Antwort auf unsere Fragen war so einfach und phantastisch, wie ich vermutet hatte. Atlan war ein Schiffbrüchiger, auf Terra abgestürzt vor - zehntausend Jahren. Schluck. Allgemeines ergriffenes Schweigen. Ein Wesen, daß sich ES nannte, sagte er, habe ihm das ewige Leben gegeben. (Er hat also einen Bürgen...)

Im Erdmuseum forderte er Rhodan zu einem Duell mit den Replikas der Wikingerschwerter heraus, die dort in einem Schaukasten liegen. Rhodan, als Kind des gehobenen Bürgertums, hatte Fechtunterricht gehabt und selbstbewußt angenommen. Er hatte Gewicht und Schlagkraft der Waffen gewaltig unterschätzt. Und am meisten seinen Gegner, der unter anderem Gladiator im alten Rom gewesen war.

Zehntausend Jahre. Meine Fresse.

Der Arkonide hat klargestellt, daß er nach all den Jahren viel zu sehr an Terra hängt um uns irgendwo reinreißen zu wollen, und wer sind wir, einen Günstling von ES nicht als geehrten Gast aufzunehmen?

Happy-End auf allen Kanälen. Und dafür der ganze Streß.

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Ich geh' doch nicht zu einem Psychologen. Das ganze ist einfach albern.

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Zehntausend Jahre.

Shit.

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