15.5.2044
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Arkon, Kristallpalast
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Wir haben Arkon erobert und ich habe derweil nichts getan, als Schach zu spielen. Das faßt die Ereignisse der letzten Wochen ziemlich gut zusammen.

Ein kurzer Überblick über die letzten vier Jahre:

Atlan erwies sich als dufter Kerl. Sogar Mercant mußte zugeben, daß der Knabe schwer in Ordnung war. Die letzten Jahre waren keine einfache Zeit. Im August 2040 trat der Fall Kolumbus ein, die Erde fiel als noch existent auf, und seither sind wir fast ununterbrochen im Einsatz und sogar ich habe meine Wohnung ins HQ verlegt, nachdem ich unerwartet drei Monate nicht heimkam und mein Vermieter meine Bude räumen ließ. Aber das ist eine andere Geschichte.

Atlan war bei den meisten Chefsache-Einsätzen dabei, clever, kompetent, ideenreich und ein Meister darin, vor dämlichen Eingeborenen den Arkoniden vom Dienst zu spielen, ein Job, dem Perry oft genug nicht gewachsen ist. ('Ich bin Administrator, kein Schauspieler!'). Muß im Blut liegen. Bei einem Einsatz auf Topsid war alles, was wir tun konnten, uns nicht mit Lachkrämpfen am Boden zu winden, während Atlan den lokalen Häuptling zur Schnecke machte.

Wir brauchen aber solche Einlagen. Wanderer wiederzufinden, als die ersten Leute für die zweite Zelldusche fällig waren, gestaltete sich schwieriger als gedacht, und wenig später setzte sich Perry in den Kopf, Arkon anzugreifen. Mit der Flotte, was eine wirklich blöde Idee war. Wir hatten noch Glück, daß die Arkoniden dämlich genug waren, den Sammelpunkt der Flotte, einen ganz netten Planeten namens Gray Beast, anzugreifen, anstatt zu warten, bis sie uns sicher in ihrem Territorium hatten. Gray Beast hätte in acht Jahren zur Besiedlung freigegeben werden sollen. Friede seiner Asche.

Nach diesem Desaster (und das ging nicht so glatt wie es hier klingt, aber die Details lassen sich in jeder besseren Chronik nachlesen und sind z.T. zu deprimierend, um sie zu wiederholen), besannen wir uns auf die Dinge, die wir konnten. Perry hatte in einer Hinsicht recht, Angriff war unsere einzige Option. Zur Verteidigung waren wir zu schwach, und der Robotregent verlangte als Vorbedingung einer Verhandlung die bedingungslose Kapitulation. Aber 'Angriff' muß eben nicht heißen 'Flotte'. Jedenfalls nicht, wenn man unter den Mächten der Galaxis den ersten Rang in Sachen Tarnen, Täuschen und Sabotage hält.

Wir mußten uns also nach Arkon einschleusen, und da der Robotregent an allen Ecken seines Imperiums Truppen aushob, war das nicht SO schwierig. Wir suchten uns Zalit aus, einen Planeten mit hinreichend humanoiden Bewohnern, so daß unsere Maskenbildner nicht mal wieder drohten, nach Hollywood zurückzugehen. Der NACHTEIL von Zalit war, daß die Zaliter ausschließlich Männer rekrutieren, was unseren geschätzten männlichen Kollegen ganz normal erschien, es aber tatsächlich im arkonidischen Imperium nicht ist.

Also durften Betty, Ishi, Anne, Laury und ich auf Zalit hocken bleiben, Gucky Gesellschaft leisten, den alle Maskenbildner Hollywoods nicht in einen Zaliter verwandeln können, und Schach spielen.

Anne war die einzige, die froh darüber war, nicht in den Einsatz zu müssen. Ishi trug's mit Fassung und Humor. Ich nagte die Tapeten ab und wünschte mir, zu sein, wo die anderen waren, ob das nun auf Arkon III sein mochte oder in der Hölle. Warten ist das schlimmste am Krieg, und warten, während anderswo die Entscheidung fällt, ist genug, um aus einem Heiligen einen rasenden Roland zu machen. Nach zehn Tagen war ich entschlossen, zu kündigen, zum Teufel mit allem. Zwei Tage spielte ich durch, was ich ihnen alles sagen wollte. Dann entschied ich mich, doch nicht zu kündigen, und entwickelte mit Gucky eine Schach-Variante, die wir Chaos-Schach nannten und bei der wir meistens gewannen, weil man schummeln durfte.

Nach drei Wochen waren die Zigaretten alle und ich konnte kein Schachspiel mehr sehen. Ich schloß mich in meinem Kabuff ein und widmete mich der alten Kunst der Nabelschau. Außerdem versuchte ich die Aufgabe mit den Murmeln. Wenn ich Telekinese entwickelte, wurde ich vielleicht befördert. Dann erfand ich eine Kulturtheorie, wonach alle bedeutenden Errungenschaften der Menschheit ihre Existenz der Langeweile verdankten. Ich versuchte, die anderen davon zu überzeugen, aber sie wollten meine vollkommen logischen Argumente nicht einsehen. Wir fingen an, Darts zu spielen, gaben es aber wieder auf, weil die Telekinetinnen immer gewannen. Ishi dekorierte alle Räume unseres Bunkers mit Origamienten, -wölfen, -pinguinen und gänzlich unidenfizierbren Viechern. Rosberg, unser Kommandant, sah bei dem Blödsinn, den wir trieben, langsam weiße Mäuse - aber immerhin hatte er Arbeit zu tun, und wenn es nur war, die Funkfrequenzen und die Computerauswertungen zu überwachen. Die Männer hatten noch Zigaretten, wir forderten uns gegenseitig auf, mit ihnen um die letzten zu pokern, aber das hätte am Ende zu Disziplinarstrafen auf allen Ebenen geführt. Betty bandelte sich mit einem jungen hübschen Leutnant an, im blödesten denkbaren Moment blies Rosberg zu einem Appell und es blieb Gucky überlassen, eine potentiell hochpeinliche Situation zu entschärfen. Selbst das dämliche Exerzieren der Mannschaften fing nach drei Wochen an, wie gute Unterhaltung auszusehen. Ich ging dazu über, täglich zu meditieren. Es half, nicht völlig durchzudrehen. Wenn ich genau hinhörte, konnte ich den Pulsschlag des Universums hören. Oder vielleicht bildete ich mir das nur ein. Es ist, als wenn die Dinge um mich herum durchsichtig werden wie ein heißer Sommertag und ein 'dahinter' durchschimmert wie Fäden aus Licht oder ein Lied aus einer Kirche am anderen Ende der Straße. Ich denke, wenn ich den Fäden Namen geben könnte, würde ich das Muster verstehen. Irgendwo da hinten in diesem Netz lag Arkon III. Ich suchte nach den Mustern von Perry, von John, von IRGENDJEMANDEM. Natürlich war es völlig sinnlos, aber es hielt mich beschäftigt.

Am 9. Mai streifte ich ein bekanntes Muster, daß die Farbe von Bitterkeit hatte. Ich wußte nicht, wer es war, die Überraschung, etwas erwischt zu haben, brach meine Konzentration.

Am 11. entschloß ich mich, es noch mal zu versuchen. Ich tastete nach bekannten Mustern - und klinkte ein. Diesmal schleuderte mich der Schock nicht raus, im Gegenteil. Es war als hätte ich an eine Starkstromleitung gefaßt. Ich spürte Haß und eine schwarze Verzweiflung. Terra, dachte ich, oh Gott, und dann dachte ich nicht einmal mehr das.

Hoffnungslosigkeit ist das schlimmste, was es gibt. Wer keine Hoffnung mehr hat, hat GAR NICHTS mehr. Die Schlacke erloschener Sterne, der Tod von allem, was hätte sein können. Es zog mich in den Leerraum, und es gab keinen Grund, diesem Sog Widerstand zu leisten. An einem Ort, der sehr weit weg war, hörte ich Gucky meinen Namen rufen. Es war egal. Wir hatten verloren. Alles verloren.

Und dann geschah das merkwürdigste, was ich je im telepathischen Äther erlebt habe. Es war, als würde ein Klumpen Schlacke zu einer Nova, zu einem neuen Stern. Wie eine Ertrinkende hangelte ich nach dem Licht, hüllte mich darin ein und erkannte es als eine Emotion, nicht Hoffnung, nicht einmal einfach Zorn, sondern eine diamantene Sturheit und eine Entrüstung, die unter uns abgebrühten Charakteren seltener ist als Diamanten. Atlan, dachte ich distanziert, und fühlte mich an jemanden erinnert, dessen Namen ich vergessen hatte. Ich schwor, mir dieses Gefühl zu merken. Es fühlte sich an wie eine Sache, die man eines Tages würde brauchen können. Und diese Nova entzündete das Universum.

In dem Feuer hätte ich fast den Rückweg verloren. Ich mußte konzentriert und kalt denken, um zurück zu finden in den kleinen weißen Raum, wo Gucky gerade anfing, sich ernsthaft Sorgen zu machen.

"Hast du einen Einstieg in den Siebten Himmel gefunden?" fragte er. Ich schaute ihn kariert an. "Wir haben gewonnen", sagte ich. Er machte große Augen und wollte etwas fragen. In dem Moment piepte das Hyperkom. Drei kurz. Ein lang. Ta ta ta taaa. V für Victory.

Am nächsten Tag landete die DRUSUS und holte uns ab: nach Arkon, und endlich erfuhren wir die ganze Geschichte. Sie waren nicht an den Robotregenten herangekommen, da der von einem Wabenschirm mit 5D-Komponente abgeschlossen gewesen war. Rhodan hatte schließlich die Zündung von Arkonbomben angeordet: Wenn der ganze Planet pulverisiert wurde, wäre der Robotregent auch hinüber. Atlan war verständlicherweise weniger begeistert.

Aber der Robotregent war ihnen auf die Spur gekommen. Er hatte die Arkonbomben entschärfen lassen und den Terranern einen Haufen Kampfroboter auf den Hals gehetzt. Gefangen zwischen den Robotern und dem Wabenschirm hatten sie in die düstersten Aussichten ihrer Karriere geblickt. Aber während die Terraner fertig mit der Welt waren, wurde Atlan immer wütender: Seine Leute hatten diese größenwahnsinnige Maschine gebaut. Wie konnten sie! Wie konnten sie ihr ihr Schicksal anvertrauen! Und wie konnte dieser überdimensionierte Haufen von Schrauben und Ersatzteilen, dieser Schrottplatz überalterter Schaltungen es WAGEN, ihn, Atlan, Admiral des Großen Imperiums und Kristallprinzen, so zu behandeln? Er stand auf, trat auf den Wabenschirm zu und verlangte von dem Robotregenten, ihn, Atlan Mascaren von Gonozal, als rechtmäßigen Herrscher des Arkonidischen Imperiums anzuerkennen.

Was der Robotregent tat.

Die Kampfroboter packten zusammen. Der Wabenschirm öffnete sich. Der rote Teppich wurde ausgerollt. Und Atlan hielt Einzug im Kristallpalast.

Wenn ich bedenke, daß wir seine Titel, auf denen er nicht bestand, immer als nette historische Dreingabe empfanden.

An Bord der DRUSUS gab es zum ersten Mal Champagner.

Wir betraten den Kristallpalast durch die Hintertür. Aus einem verzweifelten Sabotageunternehmen war auf einmal eine diplomatische Angelegenheit geworden, unser alter Kumpel Atlan war der zukünftige Kaiser von Arkon und wir hatten nicht mal anständige Klamotten dabei.

Also. Der Kristallpalast. Geh hinein. Zieh die Senso-Schirme ab, die lächerlichen arkonidischen Komfortstühle, die geschmacklose spätarkonidische Kunst, die mißbilligenden Blicke der Höflinge. Und DANN sieh dich um. Du hörst deine Schritte nicht. In einer Empfangshalle mit dem gesamten terranischen Einsatzteam ist es so still, als wärst du alleine. Und die Decke ist so hoch wie der Himmel, und die Phasen des Tages spiegeln sich darin wie im Inneren eines Kaleidoskops. Die Einrichtung ist weiß, aber sie sieht nicht weiß aus, die Farben des Tages spielen auch darauf. In Volièren, deren Wände man nicht sieht, singen mechanische Vögel in den Farben des Regenbogens.

Die Räume, in denen wir untergebracht sind, liegen im Flügel für geringere Würdenträger, da sich keiner von uns dem Luxus gewachsen fühlt, mit dem Arkon höhere Würdenträger überschüttet. Hologramme richten dir dein Zimmer als alles ein, was du haben willst. Die Betten sind so weich, daß ich beschlossen habe, auf dem Boden zu schlafen, wie sich das für eine Barbarin gehört. Der Teppich ist weicher als mein Bett zu Hause, und das Bad alleine ist größer als meine Wohnung in Terrania. Dienstbare Roboter umschwirren einen und machen einem Komplimente, wenn man es ihnen nicht explizit verbietet. Die Kleiderschränke sind mit Roben und Gewändern für alle Gelegenheiten bei Hofe gefüllt. Ich habe mich in ein extravagantes Teil aus leuchtendblauem Samt verliebt. In Terrania wäre man damit overdressed für eine Opernpremiere (in London könnte es gerade durchgehen), unter den Plünnen in meinem Schrank ist es schlicht. Heute abend droht uns ein festliches Dinner mit verschiednen hohen arkonidischen Beamten. Der Roboter hat mich auf das zu diesem Anlaß passende Gewand hingewiesen, ein Ereignis in Gold und Seide und Farben, die ich noch nie auf Stoff gebracht gesehen habe. Die Roboter servieren Getränke, die wie flüssiger Frühling schmecken. Über mir ist eine Projektion des Nachthimmels von M13, taghelle Sterne. Das Hologramm, daß ich fürs Zimmer ausgesucht habe, erinnert an die Ruine eines Tempels, Marmor und Dunkelheit und die Rufe großer Tiere in der Ferne. Ich fühle mich wie ein Bauer am Kaiserhof, und wenn ich bedenke, daß ich aus einem Land stamme, wo es hundert Jahre vor meiner Geburt noch Hungersnöte und kein fließendes warmes Wasser gab, könnte das ziemlich gut hinkommen.

Ach. Gerade kam durch, daß wir zum Dinner in Uniform zu erscheinen haben. Perry will die Arkoniden verwirren. Ein Jammer.

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