2057, nahe Moskau: Februar

Habe gerade noch mal meinen Eintrag vom letzten Jahresanfang gelesen und ein bißchen gelacht, denn es gibt hier Wölfe und Schnee und Stille, aber keine Irischen Kneipen, keine Tanzschuppen, und die zwei hübschen Jungen sind Kollegen und somit off-limits. Seufz.

Nicht, daß ich mich beklage, nicht wirklich. Nach etwas Geknurre und Geblaffe am Anfang komme ich mit den Leuten gut aus. OK, einige von ihnen sind cleverer als ich, ein paar schneller, etliche intelligenter oder stärker, aber ich halte im Moment den Klassenrekord in Durchhalten und miesen Tricks. Man nimmt, was man kriegt. Heute ist Feiertag außer der Reihe, dafür, daß sie uns gestern - zweimal! - über einen Killerparcours gescheucht haben, den der durchschnittliche Space Marine nur einmal machen muß, uns dann einen Satz trickreicher feinmechanischer Aufgaben machen ließen, die Prüfungen für Nahkampftraining gleich hintendranhängten und DANN einen Psycho-Streßtest machten. Die meisten anderen hängen noch in den Seilen oder versuchen, sich zu erinnern, ob sie Männlein oder Weiblein sind. Mir geht's ganz gut, nur daß ich es irgendwie geschafft habe, mir das linke Handgelenk zu verbeulen und jetzt einhändig tippe. Morgen kommen die Testergebnisse rüber. OK, ich bin auch noch matschig im Hirn. Als der ganze Streß vorbei war, konnte ich absurderweise nicht schlafen. Fragte mich wieder, ob ich das Richtige getan hatte, fühlte mich meiner Moral nicht sicher. Beim Militär, beim MK kann man immer noch eine Illusion von Fairneß aufrechterhalten, es gibt haufenweise Traditionen, die einem dabei helfen zu glauben, Krieg sei ein Handwerk, die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, der Vater aller Dinge und alles in allem ein Ausnahmezustand, aus dem man irgendwann zurückkehrt und das Kapitel abschließt, mit allem, was man getan hat, und sagt, die Zeiten waren eben so. Ein Spion zu sein ist nicht das gleiche. Man lernt, jemanden von hinten zu töten. Man lernt zu lügen. Man lernt, Masken zu tragen und jemand anders zu sein. Und ich frage mich, ob man jemals damit aufhören kann und ob ich in fünfzig Jahren noch jemand sein werde, den ich gerne kennenlernen möchte. Verdammt, ich frage mich, ob ich HEUTE jemand bin, den ich gerne kennenlernen möchte. Und wer ich vor 50 Jahren war. Damals war das Klassentreffen, und ich hatte schlechte Träume, weil ich jemanden umgebracht und dabei sein Gesicht gesehen hatte. Als wenn es besser wäre, nichts zu sehen. Als wenn es besser wäre, Kanonen auf Schiffe abzufeuern statt Blaster auf Leute. Welches absurde Konstrukt in der menschlichen Psyche läßt uns glauben, es gäbe einen Unterschied?

Argh, ich bin wirklich neben der Kappe, wenn ich schon wieder über Problemen brüte, die ich nicht lösen kann. Wenn ich vermeiden wollte, schlechte Dinge zu tun, müßte ich mir einen anderen Job suchen. Und das will ich nicht. Basta. Ende der Fahnenstange. Keine Krokodilstränen mehr. Ich glaube, ich gehe wieder pennen.

Über die Feiertage (Weihnachten bis Neujahr) hatten wir frei, um nach Hause zu Muttern zu fahren und Heringsauflauf zu essen. Ich besuchte Jo in Adelaide. Sie hat mit einer Freundin zusammen ein Dachgeschoß in einem viktorianischen Haus gemietet, mit Blick auf einen Park. Es ist eng, aber gemütlich, und in Australien war natürlich Sommer, so daß wir Segeln und Schwimmen gingen. Ich erzählte die üblichen fast-nicht-Lügen (habe ich mich in meinem letzten Eintrag über Lügen beklagt? Heuchlerin. Seit ich 18 bin, habe ich nicht aufgehört, Lügen zu erzählen), über einen Kybernetik-Job in Terrania und eine Weiterbildung in Moskau. Sie ist immer noch bei der Zeitung, und es gefällt ihr. Im Moment nervt sie ihren Chef damit, daß sie ins ET-Ressort versetzt werden möchte. (ET steht für ExtraTerrestrische Berichterstattung, erfuhr ich.) Mit ihrer Familie hat sie keinen Kontakt mehr.

Neujahr 56/57 war ich bei Cory in Vancouver, wo es (natürlich) regnete. Meine alte Bude fühlte sich ganz und gar wie Corys an, bis zu den Comics auf dem Klo und dem Staub in den Ecken, und irgendwie machte mich das melancholisch, bis ich mir einen Tritt gab und mich daran erinnerte, daß ich schon in Terrania ein Solveig-Jamieson-Gedenkappartment hatte und bestimmt keine zweites brauchte - das wäre es noch, Erinnerungen an vergangene Leben zurücklassen wie eine Schlange ihre Häute, nur eingerichtet und abgestaubt und die Miete bezahlt, so daß man sich an jedem Ort daran erinnern kann, wie fremd man seiner Vergangenheit wird, wenn man gerade mal nicht hinguckt. Oh nein, mehr melancholischer Blödsinn. Muß das russische Wetter sein. 'Danny's' hatte dicht gemacht, also gingen wir statt dessen ins Fiddler's. Jesse war da, zusammen mit einer asiatischen Frau, die die Bodhran spielte, und sang Lieder von danebengegangener Liebe und gelungenen Saufgelagen.

Dazwischen war ich zwei Tage in Terrania, verteilte russische Weihnachtsgeschenke (überwiegend 'richtiges' Essen, das in Terrania ganz bedauerlich außer Mode ist. Wie wollt ihr aus dem Schlangenfraß ein Imperium aufbauen, fragte ich, worauf André meinte, je besser die Armee, desto schlechter das Essen, das hielte die Krieger bei schlechter Laune), fand einen Brief von Luke vor, der voller Fachsimpeleien, geklauter Codes und einem wunderschönen Virusfragment steckte. In meiner Antwort blieb ich ihm nichts schuldig.

Es fehlt mir, allein zu sein. Alles andere geht OK, aber manchmal schließe ich mich auf dem Klo ein, nur um für einen Moment meine Ruhe zu haben. Besser, wenn das nicht rauskommt. Die Arkoniden, hörte ich, halten die Terraner unter anderem deswegen für barbarisch, weil die es aushalten, so eng aufeinander zu hocken. Die haben gut reden.

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Mai

Der Schnee ist weg, und ohne eine Anstandsfrist wird es heiß. Die Klimaanlage scheint auch noch aus dem letzten Jahrhundert zu stammen, sie ächzt und stöhnt und kracht und kriegt nicht wirklich etwas getan. Habe heute Hong im Combatschießen besiegt - um zwei Ringe. Ich könnte schwören, ich habe gewußt, wann die Scheibe kommen würde, bevor sie es tat. Interessant.

Nächste Woche haben wir wieder so einen Härtetest. Letztes Mal war ich dritte - ich sollte 'kollegialer' sein wurde bemängelt, und beim Psychotest wäre ich zu aggressiv gewesen. Ich bin untröstlich. Hrmph.

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August

Komme gerade aus Moskau zurück, wo ich ein interessantes Gespräch mit Mercant hatte. Sieht so aus, als hätte unser werter Imperator, seine Majestät etc.p.p. Atlan von Arkon einen Mutanten angefordert. Um genau zu sein, mich. Und jetzt fragte Mercant mich, was ich davon hielte, nach Arkon zu gehen. Es hieße, an die jetzige Ausbildung noch zwei Monate Kulturtraining ranzuhängen. Und dann Arkon, für zwei Jahre oder fünf oder zehn oder fünfzig oder wie lange es seiner Majestät beliebt. Weg von Terra.

"Wie komme ich zu der Ehre?" fragte ich.

Mercant sah in seine Papiere. "Wenn Sie hören würden, wie Seine Majestät sich ausgedrückt hat, würden Sie diesen Begriff nicht verwenden", sagte er milde.

"Das heißt, er braucht jemanden, um seine Höflinge zu brüskieren", spekulierte ich.

"Wenn Sie den Auftrag wollen, schlage ich vor, daß Sie die Einzelheiten mit Seiner Majestät selber besprechen." Er packte seinen Kram zusammen. "Teilen Sie Ihrem Ausbildungsleiter innerhalb einer Woche mit, ob sie den Auftrag ZD37 annehmen oder nicht. Noch Fragen?"

"Ja", sagte ich. "Was mache ich in diesem verdammten Psychotest falsch?"

"Finden Sie's heraus", sagte er.

Das nahm ich als Aufforderung und hackte mich in den Rechner des Ausbildungszentrums ein. Natürlich gingen die Alarmsirenen an, und sie verfolgten den Hacker, blieben aber an einem öffentlichen Datenterminal in Terrania hängen. Der Schlüssel zu diesen Psychotests ist ziemlich kryptisch. Soweit wie ich im Moment bin, testen sie, wie weit man 'man selber' ist, wenn man sie beantwortet. Im Klartext, wie gut man zu der Persona zurückfindet, die man den Ausbildern und Psychologen alle Tage vorspielt. In beiden Streßtests war mein Wert für 'Aggression' sichtbar über meinem Standard und der für 'Impulsivität' eine ganze Kategorie höher. Überrascht mich nicht wirklich. Ich werde da noch ein bißchen drüber meditieren. NACHDEM ich die inkriminierenden Daten von meinem Pad gelöscht habe.

Den Auftrag ZD37 nahm ich am Tag nach meinem Gespräch mit Mercant an. Warum nicht Arkon? Und mit Atlan war, soweit ich mich erinnerte, ganz gut auskommen.

Die Abschlußprüfungen kamen und gingen. Ich verließ Moskau ohne Bedauern, besuchte Jo und erzählte, daß ich nach Arkon gehen würde. "Leg' beim Imperator ein gutes Wort für mich ein", sagte sie im Scherz. "Stell' dir vor, Joanna Cavanaugh, die erste nicht-staatliche Korrespondentin auf Arkon..."

"Wenn ich den Imperator treffe", sagte ich ernsthaft, "werde ich viel zu beschäftigt damit sein, vor soviel Glanz und Herrlichkeit damenhaft in Ohnmacht zu fallen..."

Der Kulturkurs nahm seinen Lauf. Es war abgemacht, daß ich als Botschaftsuntersekretärin gehen würde. Aber als nach den DORTIGEN Abschlußprüfungen (ich hoffe, daß ich nie im Leben wieder so viele Prüfungen in nur zwei Jahren machen muß!) wartete auf mich ein dringendes Schreiben, mich sofort beim Häuptling zu melden.

Mist, dachte ich, und merkte, daß ich mich schon auf Arkon gefreut hatte. Wo brennt's jetzt? Wenn die jemanden für Sicherheitsprüfungen brauchen...

"Es gibt ein Problem mit Ihrer Abordnung nach Arkon II", sagte Rhodan.

Ich machte ein aufmerksames Gesicht und hielt meinen Mund. Er schob mir eine Klatschzeitung rüber, die ich mißtrauisch beäugte. Ich fand die Stelle schnell. Auf den vier Sonderseiten, die mehr oder weniger erfundenen Klatsch vom Kaiserhof berichteten, stand eine Notiz, daß gewöhnlich gut informierten Quellen zufolge noch in diesem Jahr eine 'wichtige Persönlichkeit' von Terra auf Arkon erwartet würde.

"Wo ist das Problem?" fragte ich. "Das Zeug glaubt doch sowieso keiner."

"Wünschen wir uns das nicht alle..." murmelte Bully.

"Leider", sagte Rhodan, "ist das nur die Spitze es Eisberges. Das Gerücht existiert, und jeder Neuankömmling von Terra am arkonidischen Hof wird mißtrauisch betrachtet und von Spionen und Klatschreportern verfolgt werden, die versuchen, hinter seine 'Maske' zu kommen."

Ich verstand das Problem immer noch nicht. "Heißt das, wir müssen den Prince of Wales zum Staatsbesuch schicken?"

Rhodan warf mir einen mißbilligenden Blick zu und verzichtete darauf, mich zu informieren, daß sämtliche terranischen Monarchien noch im letzten Jahrhundert abgeschafft worden waren. Bully grinste. Solveig, du und dein Mundwerk. Ich guckte Rhodan mit meiner besten 'du bist der Chef, tu du was'-Unschuldsmiene an.

"Es sieht so aus", sagte er, "als müßten Sie diese 'wichtige Persönlichkeit' sein."

"Ich bin nicht wichtig", sagte ich.

"Darüber gehen die Meinungen auseinander", sagte er. "Selbst, wenn man die Klatschpresse außer acht läßt, könnte es Ihrer Arbeit nützen, einen höheren Rang innezuhaben. Sie gehen als Sonderbotschafterin."

Er hatte mich kalt erwischt. Ich starrte ihn dumm an.

"Gibt es damit Probleme?" fragte er.

"Sir... Ich weiß nicht einmal, mit welcher Gabel man Hummer ißt!"

"Sie werden drei weitere Monate Kulturtraining an der Diplomatenschule in Nairobi erhalten. Fühlen Sie sich der Aufgabe gewachsen?"

'Sonderbotschafterin' klang interessanter als 'Untersekretärin'. Schon gewöhnte ich mich an den Gedanken. "Selbstverständlich, Sir."

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November

Der Flug nach Wanderer war angenehm. Betty war dabei, Tifflor, und ein Haufen Hilfsmutanten, Wissenschaftler und hohe Beamte. Die meisten waren beim letzten Mal noch nicht dagewesen. Betty sagte, das inzwischen über 100 Leute auf der Wanderer-Liste stehen. Kommt mir inflationär vor, andererseits sitze ich in dieser Sache WIRKLICH im Glashaus. Außer Betty und mir war noch eine Frau dabei, Antonia Estevez aus Mexiko, Cryokinetikerin. Sie war 21 und schüchtern, und es dauerte etwas, bis wir sie aufgetaut hatten (Pun intended). Da alle Anwesenden Sicherheitsclearances wie der liebe Gott hatten, gab es keine Notwendigkeit, irgendwelche Geheimnisse für sich zu behalten. Ich erzählte Betty Anekdoten aus meiner Studienzeit und von der Abwehrausbildung, und daß ich nach Arkon gehen würde. Antonia kriegte große runde Augen und fragte, was man tun müßte, um so einen Job zu bekommen.

"Als erstes", sagte Betty ernsthaft, "mußt du eine wirklich miese Telepathin sein, damit du etwas zu kompensieren hast. Dann entwickelst du eine ausgeprägte antisoziale Ader. Und DANN hoffst du, daß sie dich genau 34.000 Lichtjahre von ihren braven Kindern weghaben wollen."

Ich boxte Betty. "Ich habe keine 'antisoziale Ader'."

"Nein, ein ganzes Venensystem. So ein nettes Mädchen wie ich wird nie eine Jane Bond."

Antonia guckte zweifelnd zwischen uns hin und her und lachte unsicher. "Ihr meint das nicht so, oder?"

*Mein Gott,* hörte ich Betty in meinen Gedanken, *sie ist ein Baby.*

*Kümmer' dich um sie,* antwortete ich, *ich bin ja nicht da, um es zu tun.*

*So ein Glück,* sendete Betty, dann lachten wir auch und ratschten weiter.

Wir fanden Wanderer ohne Probleme. (Das ist nicht selbstverständlich. 2038 hatten sie damit ungeheure Schwierigkeiten. Seither sind die Zeitpläne großzügig kalkuliert, so daß niemand vergreist, während die Routendaten nachgebessert werden.) Der Planet - das Konstrukt, ein Planet ist es ja eigentlich nicht - ist einfach merkwürdig. Ich meine nicht nur, daß er flach ist und eine Käseglocke mit künstlicher Sonne hat und eine unmögliche Bahn und nur einen Bewohner, der eine Mischung aus Merlin und Jerry Lewis ist - er fühlt sich merkwürdig an. Ich habe auf Wanderer immer das Bild von so einer alten Zeichentrickfigur im Kopf, die über eine Klippe läuft und in der Luft steht, bis sie runterguckt und fällt. Wie eine Überlappung von zwei Realitäten.

Im Grunde, dachte ich, als wir landeten, kann ES einem leid tun. Nur in Welten zu leben, die sein eigener Geist erschafft, intelligent genug, um sein eigenes Denken zu verstehen, fast allmächtig, aber außerstande, irgend etwas Neues zu erleben oder irgend etwas zu berühren. Das Klima auf Wanderer war wie immer mild, das Wasser des zahmen Meeres warm, und wenngleich die Wellen sich den Anschein gaben, ihr Geschäft ernst zu nehmen, trugen sie doch kaum den Sand vom Strand fort. Der Wind kam von den Bergen und roch nach nichts. Nichtmal blutrünstige Eingeborene gab es, anscheinend wurden die nur ausgepackt, wenn Rhodan persönlich zu Besuch kam. Wir schliefen im Schiff, während wir darauf warteten, daß ES sich meldete. Ich hatte Alpträume. Ich lief durch einen Nebel und suchte eine Welt, die ich verloren hatte. Und dann merkte ich, daß ich auf einer Milchglasscheibe stand, und während der Nebel um mich dichter wurde, begann das Milchglas, sich zu klären und ich wußte, daß ich nicht sehen wollte, was darunter lag. Ich kniff die Augen zu und schrie und glitt in einen anderen Traum, in dem ich durch den kalten weißen Sand einer Wüste lief (oder war es Schnee?), die Sonne (oder der Vollmond?) tief hinter mir und mein Schatten vor mir war nicht der eines Menschen.

Am Morgen war neben unserem Schiff eine aufwendige technische Installation erschienen. Im Inneren, umgeben von einer Unmenge von Röhren und Maschinen, Energiefeldern und weiteren vermutlich völlig überflüssigen Installationen stand die Zellduschkabine. ES ließ sich nicht blicken.

Tifflor übernahm das Kommando, wahrscheinlich hatte er das Manual gelesen. Der Schiffscomputer loste eine Reihenfolge aus, und jeder kriegte seine zehn Sekunden Lichtdusche.

Sie sagen, es sind zehn Sekunden, und es sind auch nur zehn Sekunden vergangen, wenn man heraustritt. Aber ich könnte schwören, daß ich in der Zeit in einem altertümlichen Wohnzimmer auf einem zierlichen, gepolsterten Stuhl saß und chinesischen Tee aus durchscheinenden Porzellantassen trank, während eine Lichtkugel mir gegenüber das gleiche tat.

"...und du findest, daß ich zu bedauern bin?" sagte die Lichtkugel. "Ihr Sterblichen hört nicht auf, mich zu erheitern. Bin ich nicht unsterblich? Unverwundbar? Herr meiner eigenen Welt und niemandem untertan? Kenne ich nicht Vergangenheit und Zukunft und verfüge über nahezu unbeschränkte Macht? Entstehen nicht Welten und Sterne und intelligente Rassen aus meinen Launen heraus?"

"Und hast du nicht allen Pfeffer Indiens und allen Mais in Iowa?" führte ich fort und nippte an meinem Tee. "Wen willst du überzeugen?"

"Vergeistigung ist der logische nächste Schritt, weißt du", sagte die Kugel.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein danke."

Dann fehlt mir ein Stück. "Ich werde euch nie verstehen", sagte die Kugel.

"Uns Sterbliche?" fragte ich und wartete nicht auf die Antwort. "Wenn du uns verstündest, würde dein Leben noch langweiliger."

"Was tust du hier?" fragte ES. (Ich nehme mal an, daß die Kugel ES war.)

Ich sah mich um. "Ich sitze in einem Biedermeiersalon und trinke mit einer Leuchtkugel Tee", sagte ich.

Und dann fand ich mich in der Zellduschkabine wieder. Ich erwartete, ES' berüchtigtes Lachen zu hören, aber es war still, bis auf Tifflor, der sagte, "OK, der nächste." Es waren 10 Sekunden vergangen.

Ich frage Betty, was sie gesehen hätte und sie sagte, ein bißchen farbiges Licht und es hätte gekribbelt wie ein Whirlpool - "genau wie das letzte Mal."

Ich erinnere mich nicht an das letzte Mal. Dieser Planet IST unheimlich.

Nairobi liegt am Äquator. Außerdem liegt es in den Bergen, so daß das Klima zu ertragen ist. Nairobi Space Port ist der größte Raumhafen Afrikas, während nicht weit fort die Leute immer noch ihre Rinder zum Markt treiben. Es ist modern und bunt und lebendig, und ein großer Teil des Lebens spielt sich unter freiem Himmel ab.

Die Ausbildung an der Diplomatenschule ist sehr viel anders als das Kulturtraining. Anstatt acht Stunden am Tag die Schulbank zu drücken, haben wir von früh bis spät eine Person von Rang und Stand darzustellen. In der 'Arkon'-Gruppe sind wir acht Studenten und zwei Lehrer. Die Unterbringung ist einem first-class-Hotel angemessen, außerdem versuchen sie, uns zu mästen. Ein Teil des Lehrplans ist offensichtlich, zu lernen, wie man sich zwischen Staatsbanketten und Geschäftsessen vor dem Fettwerden drückt. Mir kommt meine natürliche Anlage zu hektischer Betriebsamkeit entgegen - ich jogge morgens, treffe mich in der Nachmittagsfreizeit mit Eddie zum Fechten und drehe abends im Schwimmbad meine Runden. Andrea spottete schon, daß es gut wäre, daß arkonidische Gewänder die Gestalt verhüllten, sonst würden die Arkoniden mich für die neue Football-Trainerin halten. Die Leute sind OK und die Stimmung ist gut. Eddie ist mit vollem Namen James Edward III, Earl of irgendwas, und Andrea ist altbayrischer Geldadel, und beide bestätigen die These, daß nur der aufgestiegene Mittelstand etepetete ist, der Adel dagegen exzentrisch. Eddie führt seine Ahnenreihe auf irgendwelche Seeräuber zurück, Andrea, wie es sich für eine gute Deutsche gehört, auf Ingenieure. Sie geht als Korrespondentin für TTV, er als Berater für terranische Geschäftsleute auf Arkon. Die anderen sind Alexander Duschnow, ein Colonel, der zur terranischen Botschaft soll, um dort, wie er grimmig sagt, Paradeuniformen spazieren zu tragen, Kosta Aristides, der offiziell für's terranische Kartographische Institut arbeitet (jaja), Li Wu, Ingenieur und 'Entwicklungshelfer', der im Auftrag einer arkonidischen (!) Firma deren Fertigungsabläufe optimieren soll, Sébastien Moróla, neuer Südamerikadozent am terranischen Kulturinstitut, Ito Kiomoto, Biologe, neuer Leiter einer Forschungsgruppe im arkonidischen Herrschaftsbereich, und Chajin Bharad, Robotiker, der zur kaiserlichen Robotik-Kommission berufen wurde, deren unerklärtes Ziel es ist, die Herrschaft der Automaten über Arkon auszuhebeln. Es ist eine auf dem Silbertablett servierte Möglichkeit, zukünftige einflußreiche Leute kennenzulernen. Und da wir ja alle Personen von Rang und Stand sind, gehen wir höflich miteinander um. Nebenher lerne ich mich gegen Leute zu wehren, die HÖFLICH nerven. Moróla und Duschnow sind die schlimmsten, aber sogar mit denen ist auszukommen, wenn man nicht zuläßt, daß sie ins Dozieren geraten oder versuchen, einem Arbeit abzunehmen.

Man sollte meinen, daß das alles hinreichend wichtige Persönlichkeiten sind, so daß es nicht not tut, aus fadenscheinigen Gründen eine arme Hilfsmutantin die Karriereleiter hochzuschubsen, aber wer bin ich, mich zu beklagen.

Heute ging ich die Straße hinauf zu dem Hotel, eine Gegend voller Villen und großen Gärten, weiße Mauern und grün, wo man sich die Kolonialherren mit Tropenhüten und ihre Frauen in viktorianischen Röcken vorstellen kann. Ich kreuzte eine größere Straße, wo kleine, teure Läden exotische Dinge feilboten, die nicht zu kaufen schwerfiel, als ein Radfahrer den Hang heruntergebraust kam, ein Junge auf einem viel zu großen Fahrrad. 'Bahn frei!!!' rief er, und die Leute sprangen beiseite. Eine alte Frau wich ungeschickt aus, stolperte über den Kantstein und fiel. 'Rüpel!' rief jemand. Ich ging zu der alten Frau, um ihr aufzuhelfen.

Sie war in einem Alter, wo man auf Dinge wie das Färben von Haaren und weitere Schönheitsoperationen verzichtet, aber ihre Augen waren scharf und blau. Sie sah mich an und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. "Solveig?" sagte sie.

Ich hätte sagen sollen, "Wer?" oder, "Sie kannten meine Großmutter?" oder nur diesen verwirrten Blick, vor dem die Leute glauben, sich rechtfertigen zu müssen und kein Interesse an weiteren Fragen haben. Das wäre freundlicher gewesen. Aber ich schaltete nicht schnell genug. "Stefani", sagte ich.

Es war Stefani, mit schneeweißem Haar und dünn wie ein Stecken, mit der Nonchalance der wirklich Reichen gekleidet, als müßte sie das erste Mal in ihrem Leben niemanden beeindrucken. "Es stimmte also doch", sagte sie.

Ich nickte nur, sammelte ihre Handtasche aus dem Rinnstein, reichte sie ihr. "Alles in Ordnung?"

"Den Umständen entsprechend", sagte sie. "Ich bin 94 Jahre alt. Sonst geht's mir großartig. Ich wohne hier. Eine anständige Witwe." Sie hustete. Ich bugsierte sie auf den nächsten Stuhl, der zu einem Straßencafé gehörte. Der Kellner stellte uns unaufgefordert einen Krug Eiswasser und zwei Gläser auf den Tisch. Stefani dankte ihm und sah mich an. "Wann war es?" fragte sie. "Du siehst aus wie 35."

"Einunddreißig." Ich antwortete mechanisch. Irgendwie wurde ich mit der Situation nicht fertig.

"Du solltest besser auf dich aufpassen." Sie nippte von ihrem Eiswasser, zog dann einen Spiegel aus ihrer Handtasche und begann, ihr Make-up aufzufrischen. "Was bist du?" fragte sie.

Ich schaute sie verwirrt an.

"Na komm schon", sagte sie ungeduldig. "Wissenschaftlerin bist du nicht. Teleporterin? Kannst du dich unsichtbar machen? Oder hast du einen Röntgenblick?" Sie lachte.

"Antihypnotin", sagte ich.

Stefani lachte heftiger und hustete dann wieder. "Die Lunge", sagte sie zusammenhanglos. "Paßt zu dir. So eine lumpige Halbmutantin."

Ich konnte nicht mal sauer sein. Sie hatte ja recht.

"Deswegen wolltest du nichts von uns", fuhr sie fort. "Du hattest schon alles."

"Ich wollte nie etwas von dem, was ihr hattet", sagte ich, "und du wolltest nie etwas von dem, was ich hatte. Bis heute. Und willst du es heute?"

Sie sah nicht von ihrem Schminkspiegel auf. "Nein", sagte sie. "Schönheit, Jugend... aus dem Alter bin ich raus. Ich bin froh, daß ich das hinter mir habe. Ich bin reich und alt und anständig, und das wirst du nie sein."

Ich nickte. "Gott sei Dank."

Ich hatte das Gefühl, mit einer Großtante zu sprechen, nicht mit einer alten Schulfeindin. Aber wenn es mir wie eine lange Zeit vorkam, daß wir uns auf dem Schulhof geprügelt hatten, wie lange mußte es dann ihr erscheinen? "Ich werde uns jetzt nicht damit belästigen, über die guten alten Zeiten zu schwafeln", sagte Stefani. "Wenn du mich fragst, sie waren ohnehin Mist."

"Wir könnten übers Wetter reden", sagte ich. "Oder über Politik."

"Scheiß auf Politik. Zum größeren Ruhme Terras, was braucht man mehr?"

"Ich wette, mit deinen Konversationskünsten bist du der Brüller auf jeder Party."

"Selbstverständlich. Sie lieben mich. Ich bezahle die Drinks und kenne ihre dreckigen Geheimnisse. Keiner wagt es, nicht zu lachen. Es ist sehr amüsant."

Ein paar Ballwechsel später verabschiedeten wir uns unter Beteuerung unserer gegenseitigen Nicht-Hochachtung und Stefani forderte den Kellner mit großer Geste auf, es 'auf die Rechnung, zu den anderen' zu setzten.

Das ist jetzt auch schon wieder zwei Wochen her. Arkon rückt näher. Meine Klamotten sind bestellt. Ich gucke in den blauen Erdhimmel und frage mich, wie Arkon sein wird. Hach, ich klinge wie ein Teenager. Ich war schon auf Arkon, und abgesehen davon, daß sie uns alle umbringen oder in einen Zoo sperren wollten, war's hübsch. Und Atlan ist Kaiser von Arkon.

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© inge 1999