2058

Ich verbrachte Silvester und Neujahr in Terrania auf gepacken Koffern. Am 2. Januar ging mein Flug nach Arkon.

Also, ich dachte, ich würde Raumflüge kennen. Metallene Korridore. Enge Betten. Das schwere Wummern von Triebwerken. Hypersprünge, die einem das Mark aus den Knochen ziehen und die Nerven unter Überspannung setzen. Schlechtes Essen. Enge Kabinen, wo man Schach spielt und verbotenerweise Poker um Zigaretten.

Nichts da. Die ORION, das Linienschiff nach Arkon (am 2. jedes Monats) hat mit Teppichboden ausgelegte Gänge, Holzimitat und polierte Messinglampen an den Wänden. Sie hat Kabinen, von denen die kleinste größer ist als meine 'Notwohnung' in Terrania, Spielsäle, Sportsäle, Speisesäle, eine Horde Köche und Stewards und Zimmermädchen, eine Tanzkapelle, Panoramagalerien, und genug Sprungdrogen, daß ich die Finger davon ließ - so bedröhnt wollte ich nicht sein. Das Geräusch der Maschinen war ein sanftes Brummen, das man nur spürte, wenn man den Kopf gegen eine Wand lehnte, und die Sprünge waren butterweich.

Ich reiste erste Klasse und mit Hofstaat: ein schwarzer Butler, Cyrano, der für die Abwehr arbeitet und Mai, eine asiatische Zofe, die mindestens zwei schwarze Gürtel hat - ich kenne das Procedere, aber ich komme mir vor wie ein Imperialistenschwein. Gott, bin ich alt.

Außerdem gibt's Paparazzi. Was für eine Plage. Wenn ich mich nicht gerade in meiner Kabine einschließe, lauern sie um mich herum wie die Geier. Das heißt natürlich, daß ich von früh bis spät die Rolle zu spielen habe, die die Abwehr für mich zusammengeschrieben hat. Solveig Jamieson, Tochter aus gutem Hause (europäischer Dorfadel, um genau zu sein), Abitur, interstellare Handelsschule, Studium, Diplomatenschule. Mit 'nem silbernen Löffel im Mund geboren. 29 Jahre alt. Eine echte Dame. Ha. Und ich tigere in meiner Prachtkabine auf und ab vor unabgeladener Energie, denn besagte Dame kann ihre Tage natürlich nicht damit verbringen, Punchingbälle oder Trainingsroboter zu malträtieren oder was dergleichen schweißtreibende Beschäftigungen mehr sind.

Statt dessen treibe ich mich rum und baue den anderen Teil meines Images auf. Ich verbringe viel Zeit im Spielsalon und verliere in Maßen, entwickele eine Begeisterung für Tanzveranstaltungen, kippe gerne Likörchen, trage meine Garderobe spazieren und flirte mit wohlhabenden Männern, die kaum jünger sind als ich. In homöopathischen Dosen entwickele ich eine junge Frau, die nicht ganz perfekt ist, die den Job auf Arkon als ein großes Abenteuer betrachtet und sich gerne amüsiert. Cyrano und Maj wirken skeptisch, aber nicht besorgt, an ihren Gesichtern lese ich die Feinabstimmung meiner Rolle ab.

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Noch zwei Wochen bis Arkon. Bis auf Ito ist meine gesamte 'Schulklasse' an Bord, wenn sie auch, bis auf Eddie, Economy fliegen. Was, wenn man Andrea glauben darf, immer noch sicher in den Armen des Luxus ist.

Oh mann. Was für ein Leben. Völlig irreal. Ich habe jeden Moment das Gefühl, daß jemand die Kulissen zurückrollt und das vertraute kahle Metall eines Schlachtschiffes enthüllt, oder auf mich zumarschiert und mich als Hochstaplerin anklagt. Ich kriege die Idee nicht in meinem Kopf, daß ich ein Mensch bin, der in erste-Klasse-Salons lebt. In meiner Ahnenreihe müssen irgendwo Hungerleider, Zigeuner und Gesetzlose gewesen sein. Die Hypersprünge sind wie Nägel, die mich mit der Realität in Verbindung halten. Noch ein Grund, die Sprungpillen nicht zu nehmen.

Eddie ist ein gottbegnadeter Pokerspieler. "Du schummelst" sagte er an einem Abend zu mir, als ich knapp 12 Solar am Spieltisch verloren hatte. Ich wies darauf hin, daß ich VERLOREN hätte. "Eben" sagte er. "Du hast ein Full House geschmissen. Santiago hatte zwei Siebener." Ich dachte darüber nach und grinste ihn dann an. "DU schummelst. Du wußtest, was ich auf der Hand hatte." Er machte eine wegwerfende Geste. "Man sollte Karten nicht zu lange verwenden. Ich habe ein fotographisches Gedächtnis."

"Und verschwendest es womit?"

"Nun, damit, mich bei meinen Kunden einzuschleimen natürlich. Sie sind so geschmeichelt, wenn man sich daran erinnert, wann ihr Hund Geburtstag hat."

"Ich sehe, das Geschäftsleben ist nichts für mich," stellte ich fest.

"Zu kleinkariert?"

"Zu manipulativ."

Wir grinsten.

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3. Februar

Gestern haben wir den letzten Hypersprung beendet und sind im Systemanflug auf Arkon. Heute waren ein Haufen Roboter von der Systemverteidigung da und haben sich generell unbeliebt gemacht, alles durchwühlt, die Wände abgeklopft und blöde Fragen gestellt. Dann sind sie bis auf zwei Lotsen verschwunden, und jetzt fliegen wir im Schneckentempo durch M13. Wenn nicht irgendeinem Positronenkopf noch eine Laus über die Entscheidungsroutinen läuft, sollten wir übermorgen auf Arkon II sein. Die Paparazzi haben angefangen, sich mit mir zu langweilen und sind jetzt hinter einem gewissen William of Huntington her, einem reichen Playboy mit zwei toupierten Blondinen in hautengen Overalls am Arm. Besser er als ich.

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10. Februar: Arkon. Terranische Botschaft.

Estor Terevan, der Botschafter, empfing mich als sei ich eine lästige Reporterin und quartierte mich irgendwo unterm Dach ein, wo ich niemandem vor den Füßen rumlaufe. Sehr rücksichtsvoll. Ich revanchierte mich, indem ich in der Kaffeküche herumhockte, bis Amey, Terevans Sekretärin, auftauchte, mich für die Praktikantin hielt und ihrem Ärger über scheintote Arkoniden, dämliche Roboter und terranische Geschäftsreisende Luft machte. Ich hörte mir das an und machte zustimmende Geräusche, ehe ich mich vorstellte. Amey verfärbte sich und ich versicherte ihr eilig, daß mein Job als Sonderbotschafterin genau darin bestünde, diesen Streß auf mich zu ziehen und ihr und dem Rest der arbeitenden Bevölkerung geistige und körperliche Zusammenbrüche zu ersparen. Seither mag sie mich und versorgt mich mit Tratsch und Akten, während ich darauf warte, daß Seine Majestät von sich hören läßt.

Mein momentanes Leben ist relativ fad. Arkon hat keine öffentliche Kultur, das gesamte gesellschaftliche Leben spielt sich auf privaten Parties ab. Die nächste Kneipe ist auf Arkon II. Die terranische Botschaft hat, ihrer nominellen Wichtigkeit entsprechend, einen eigenen Trichterbau auf dem Hügel der Weisen, und wenn es Fenster nach außen gäbe, hätte man Blick auf den Kristallpalast. Die Einrichtung ist spartanisch für arkonidische Verhältnisse und zu repräsentativ, um bequem zu sein, für terranische. Der Trichterbau faßt locker zweitausend Leute, tatsächlich sind aber nur 800 da, so daß es eine Menge leere Räume und verlassene Korridore gibt, wo nach gut terranischer Sparsamkeit nur eine Notbeleuchtung brennt. Die Hauselektronik hat ihre Probleme mit terranischen Anforderungen und spielt einem gelegentlich Streiche von der Art, daß ein Energiefeld anfängt, einen durch die Korridore zu schieben als könne man nicht selber laufen, oder irgendwelche angeblich beruhigenden Fiktivbilder zu projezieren, wenn man unter der Dusche steht. Die Hälfte der Akteneingänge sind Klagen von Terranern, die es nach Arkon verschlagen hat, und die entweder beleidigt sind, weil man sie wie Orang-Utans behandelt, oder dabei sind, an der arkonidischen Vorstellung von 'Dienstweg' zu verzweifeln. Ein weiteres Drittel sind mehr oder weniger elegant verpackte Beleidigungen und Beschwerden von Arkoniden über terranisches Benehmen oder was als solches durchgeht. Ein sich über zwei Jahre erstreckender Briefwechsel mit den unterschiedlichsten arkonidischen Stellen lief darauf hinaus, daß ein Botschaftsadjutant in einer fünfstündigen Vernissage auf seinem Sitz eingeschlafen war. Kein Wunder, daß Terevan graue Haare kriegt.

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Der Vorteil war, daß ich Arbeit getan kriegte, und nach einer Woche vorschriftsgemäß meinen ersten Bericht abschickte.

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Am 3. März steckte Amey mir eine Einladung mit meinem Namen darauf zu. Anläßlich der Ankunft irgendwelcher Provinzdignitäten würde es am 7. einen Empfang im Kristallpalast geben, zu dem ich eingeladen sei, und so weiter, und so fort. An die Einladung war ein sehr terranisch-praktischer Klebstreifen gepinnt, auf dem stand: 'Ich freue mich besonders auf Ihre Anwesenheit - A.'

Ich grinste. "Gute Nachrichten?" fragte Amey neugierig.

"Nur eine Notiz, daß Seine Majestät überglücklich ist, endlich mal mein Gesicht zu sehen," sagte ich wahrheitsgemäß.

Amey fand das sehr komisch und ließ mich schwören, daß ich ihr sämtlichen neuen Tratsch getreulich berichten würde.

Ich bin kribbelig wie ein Teenager vor seiner ersten Party. Vor zwei Monaten hatte ich das Gefühl, es könnte nichts schiefgehen, aber mein Einstieg hier war ziemlich bescheiden, und wenn sämtliche relevanten Leute der terranischen Botschaft mich weiterhin ignorieren, könnte es recht schwierig werden, irgendetwas sinnvolles zu tun. Der Preis für das Rauffallen der Leiter.

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Am 7. schmiß ich mich also in ein Abendkleid im terranischen Stil - schulterfrei und kurzer Rock, wenn man sich nicht groß darum scherte, wie man dabei aussah, bestens geeignet für Saalschlachten - griff mir meine Einladung und wartete bereits am Ausgang, als Terevan die Treppe herunter kam, einen halben Hofstaat, darunter Duschnow in seiner gefürchteten Paradeuniform, hinter sich herziehend. Er sah mich und blieb stehen.

"Was machen Sie denn hier?"

Ich schwenkte meine Einladung. Er machte ein grimmiges Gesicht.

"Hören Sie, Miss Jamieson - es ist mir völlig egal, mit wem Sie ins Bett gegangen sind, um diesen Posten zu bekommen, Sie werden Seine Majestät NICHT mit ihrer Gegenwart behelligen."

"Ihre Fürsorge ehrt Sie" sagte ich glatt, "aber ich habe eine Einladung zu diesem Empfang erhalten, und ich werde Seine Majestät NICHT damit beleidigen, ohne einen angemessenen Grund zu fehlen."

"Dann denken Sie sich einen Grund aus" knurrte er. "Da sind Sie ja gut drin."

Er verschwand mit seinem Hofstaat im Wagen. Duschnow wirkte irritiert - er glaubt an Rang. Ich zwinkerte ihm zu, als er in den Gleiter stieg.

Als die ganze Gesellschaft außer Sichtweite war, knackte ich Teverans Sportgleiter - ein schnieker blauer Zweisitzer - und machte mich ebenfalls auf den Weg zur Party. Jetzt durfte sich der Gleiter nur nicht um Mitternacht in einen Kürbis und sechs Mäuse zurückverwandeln.

Kaum war ich durchs Tor, erkannte ich die Gegend. Es hat sich nicht viel verändert in den letzten 14 Jahren - nicht in den letzten zehntausend, Atlan zufolge. Ich fand den Weg zum Haupteingang ohne Probleme und überließ den Wagen dem zuständigen Robbie.

Bei aller Vorbereitung - Arkon plättet mich immer wieder. Der postkommunistische Monumentalstil Terranias verblaßt gegen die arkonidischen Prachtbauten, hinter denen Jahrtausende der Angeberei stehen. Ein livrierter Lakeiroboter inspizierte meine Einladung, hieß mich willkommen (was nur 30 Sekunden dauerte, Atlans Neuerungen in Aktion) und ich stieg hinunter in eine Halle, die mit 10 Jahrtausenden Erfahrung daraufhin konstruiert war, dem Besucher seine Unbedeutendheit vor Augen zu führen - ein Effekt, gegen den Arkoniden natürlich immun waren, nicht aber, stellte ich fest, Terraner. Nicht mal 90jährige Mutantinnen. Neuere Versuche, das Ganze einladender zu machen hatten hauptsächlich in schlechtem Geschmack geendet, und wenn alles nach klassischem Protokoll vorgegangen wäre, hätte der Imperator in einem schwebenden Thron über dem ganzen hängen sollen wie Gottvater in einer Kinderbibel, und als die einzig bedeutende Person im Raume erscheinen.

Atlan trug die Uniform eines Flottenadmirals mit so vielen Orden und Ehrenzeichen, daß er aussah wie der Präsident einer Bananenrepublik, aber zumindest stand er auf dem Fußboden wie die Normalsterblichen und -unsterblichen auch. Er war von einem Rudel Protokollanten, Leibwächtern und Speichelleckern umgeben und sprach mit dem Ekhonidischen Botschafter, der seinerseits von drei gutaussehenden Sekretärinnen begleitet wurde. Offenbar war ich der einzige Gast ohne Hofstaat. Ich schnappte mir ein Getränk und einen Happen von einem der schwebenden Tabletts und begann, die Gesichter den Namen zuzuordnen, die ich aus den Akten der Botschaft kannte.

Den kleinen, rundlichen Mann in einem schlecht sitzenden Anzug, der auf mich zusteuerte, kannte ich nicht. Er stellte sich als Joshua Katz aus Bern vor und war überaus entzückt, meinen Namen zu hören. Er machte mich mit einigen Leuten bekannt, deren Körpersprache unmißverständlich klarstellte, daß sie mir vielleicht noch einen zweiten Blick schenken würden, da ich hübsch war und einen kurzen Rock anhatte, aber nicht dem armen Herrn Katz, der außer einem schlecht sitzenden Anzug auch noch eine altmodische Hornbrille zu bieten hatte. Ich war ausgesucht höflich und freundlich, und wurde das Gefühl nicht los, in einer Fernsehserie mitzuspielen. Der Abend endete damit, daß mir ein dem Brandy zugetaner Katz ausgiebig sein Leid mit der Welt im allgemeinen und den Arkoniden im speziellen klagte, und ich ihm versprach, zu sehen, was sich machen ließe. Das Versprechen kostete mich nichts, ich konnte immer noch sagen, 'Da läßt sich nichts machen', aber seine Schilderungen gaben mir das Gefühl, daß er versucht hatte, mit den arkonidischen Verantwortlichen 'vernünftig' zu reden, was für Europäer eine schlechte Idee war.

Ich versuchte, mich zu empfehlen, ehe Tevaran zurückfuhr und seinen Sportgleiter vermißte, aber er bemerkte mich, ehe ich mich verkrümeln konnte und eilte auf mich zu. Ich verabschiedete Katz und machte mich auf, dem Löwen entgegenzutreten.

"Was machen Sie hier?" zischte Tevaran. Blöde Frage.

"Ich bin eingeladen," wiederholte ich das offensichtliche.

"Verlassen Sie sofort diesen Empfang!"

Das war lächerlich. "Ich habe nicht die Absicht" sagte ich, "und sie können es mir nicht befehlen, und werden sich lächerlich machen, wenn sie es versuchen."

Er wurde dunkelrot. "Ich habe zehn verdammte Jahre meines Lebens dafür verschwendet, bei diesen eingebildeten Affen gut Wetter zu machen, und ich werde nicht zulassen, daß irgendein verwöhntes Gör hier seinen Hintern schwingt und alles einreißt, was ich aufgebaut habe!"

Ehe ich mich entschließen konnte, beleidigt zu sein oder ihn zu fragen, wo ER 2044 gewesen war, hörte ich eine Stimme hinter mir.

"Miss Jamieson. Ich warte schon den ganzen Abend auf eine Gelegenheit, Sie auf Arkon zu begrüßen. Sie entschuldigen?" Letzteres an Teveran, der einen grünlichen Farbton annahm und unter Verneigungen zurückwich. Ich drehte mich um und grinste Atlan erleichtert an. "Meine ewige Dankbarkeit ist Euch sicher, Majestät. Ich war dabei, etwas sehr undiplomatisches zu sagen."

Er zog eine Augenbraue hoch. "Mit Ihnen auf der einen Seite und Tevaran auf der anderen wird niemand auch nur in Gefahr laufen, die Terraner als etwas anderes denn als ungehobelte Barbaren zu sehen."

"So und nicht anders will es unser erlauchter Adminstrator", stellte ich fest.

"Weswegen hat Teveran Sie gefressen?" erkundigte er sich interessiert.

Ich schnaubte. "Er hält mich für ein verwöhntes Gör, das seinen ordentlichen Laden durcheinanderbringen wird. Außerdem habe ich seinen Gleiter geliehen, um hierher zu kommen. Aber das weiß er noch nicht."

Atlan verkniff sich ein Lachen. "Bestellen Sie sich einen Dienstwagen. Und packen Sie ihren Kram. Morgen ziehen Sie in den Kristallpalast. Ich habe keine Mutantin bestellt, damit sie sich mit dem terranischen Botschafter streitet, so unterhaltsam das auch sein mag."

"Teveran wird glauben, ich sei Ihre Mätresse."

"Was Teveran glaubt", sagte Atlan, "ist im großen Plan der Dinge völlig irrelevant. Sie ziehen um. Ich habe Arbeit für Sie."

"Was ist mit meinem Hofstaat?" fragte ich.

"Taugen sie was?"

Ich zuckte die Schultern. "Ich habe noch nicht raus, ob sie mich bewachen oder beschützen sollen... aber ich denke, ich würde sie gerne behalten, auch wenn ich einen Butler und eine Zofe so nötig brauche wie einen Kropf. Egal, mir wird schon eine Verwendung für die Leute einfallen."

"Morgen, Achtzehnhundert. Ich schicke Ihnen einen Gleiter."

Ich deutete einen Salut an. "Zu Befehl, Flottenadmiral."

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Am nächsten Morgen löcherte ich Amey über Josh Katz und erfuhr, daß der arme Mann unwissentlich eine mindere Dignität beleidigt hatte - ein Fauxpas, der mit einer Entschuldigung und einem Geschenk leicht aus der Welt zu schaffen war, was sich aber niemand die Mühe gemacht hatte, Herrn Katz zu erzählen. So wie sich offenbar auch niemand die Mühe gemacht hatte, Katz' Hintergrund zu recherchieren. Der kleine Mann war Bevollmächtigter der Credit-Anstalt Schmitt in Zürich - nicht gerade die Jokkmokker Postsparkasse.

Ich schickte Katz eine Notiz, wo das Problem lag und wie es behoben werden konnte und packte dann meine Sachen - nicht, daß ich schon viel ausgepackt hätte. Ich erfreute mich an der Irritation meines Personals, als ich ihnen mitteilte, auf Wunsch Seiner Majestät, des Imperators, nähmen wir Domizil im Kristallpalast, und tippte schnell meinen nächsten Bericht. Ich zog gerade das Blatt aus der Schreibmaschine, als Teveran in den Raum stürmte.

"Sie haben gestern meinen Gleiter gestohlen!"

Ich sah auf und musterte ihn nachdenklich. "Schuldig im Sinne der Anklage, euer Ehren. Aber irgendein Idiot hat ihn zurückgebracht. Blau ist sowieso nicht meine Farbe."

"Ich werde Sie ausweisen lassen!"

Ich seufzte. "Wissen Sie nicht, daß leere Drohungen ihrem Ruf schaden? Sie können mich nicht ausweisen lassen. Sie können mir nicht sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe. Sie KÖNNTEN höflich zu mir sein oder mich zumindest ungestört meinen verdammten Job tun lassen. Aber das überfordert offenbar ihre Fähigkeiten."

Er plusterte sich auf. "Ich habe immer noch Hausrecht..."

"Wenn das heißen soll, Sie setzen mich auf die Straße, muß ich Sie enttäuschen. Wie Sie sehen, ziehe ich gerade aus." Ich drückte ihm den Unschlag mit meinem Bericht in die Hand. "Schicken Sie das bitte als Diplomatenpost nach Terra. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden..."

Der Gleiter mit dem kaiserlichen Enblem kam wie versprochen um 1800, Roboter luden mein Gepäck ein und ich und mein Hofstaat verließen den sicheren Vorposten terranischer Zivilisation und begaben uns in den Dschungel arkonidischer Hofintrige.

Und arkonidischer Vorstellungen von Komfort. Eine Neuarkonidin geleitete mich in meine Räume. Säle, sollte ich sagen. Ich habe dieses unstillbare Bedürfniss, ein paar Freunde einzuladen und ein Volleyballturnier zu veranstalten. Leider habe ich hier keine Freunde. Vielleicht könnte ich lernen, Golf zu spielen. Fünf Zimmer, keine Fenster, und jedes einzelne verdammte Möbelstück ist eine Falle für die Ahnungslosen. Ich dachte, ich hätte das schlimmste vermieden, als ich mich aufs Bett setzte und nicht auf einen der bedrohlich herumlungernden Lehnstühle. Denkste. Das Bett kickte mich in die Horizontale, versuchte, mich aufzufressen und gab dabei brummende Geräusche von sich. Die Arkonidin verfärbte sich vor unterdrücktem Gelächter und teilte mir DANN mit, daß der Raum so konfiguriert sei, daß ein lautes 'HALT', mit meiner Stimme gesagt, sämtliche Möbelstücke in einen Zustand der Inaktivität zurückversetzen würde. Lara, das ist ihr Name. Braune Augen. Das heißt, die 'reinblütigen' Arkoniden behandeln sie wahrscheinlich als sei sie eine angemalte Barbarin. Ein bißchen Spaß auf meine Kosten kann ich ihr da kaum mißgönnen.

Die Nacht verbrachte ich mit den Konfiguration des Mobiliars. Am liebsten hätte ich all ihre kleinen positronischen Gehirne geröstet, aber wenn ich mich auf Arkon bewegen wollte, mußte ich lernen, mit dem Kram umzugehen.

Gegen Mitternacht kam Atlan vorbei.

"Setzen Sie sich nicht in DEN Sessel" sagte ich. "Ich richte ihn gerade darauf ab, Leute zu beißen. Wissen Sie, wie EINFACH es ist, die Möbel zu Todesfallen umzufunktionieren?"

Er warf dem Sessel einen kritischen Blick zu. "Wir haben hier nur arkonidische Assassinen, die niemals einen völlig gewöhnlichen Gebrauchsgegenstand zu einer Waffe umfunktionieren würden."

"Assassinen?" fragte ich interessiert.

Er gab mir eine lakonische Einführung in die politischen Verhältnisse auf Arkon.

Es auf der Uni oder in der Diplomatenschule zu hören, ist eine Sache. Aus dem Mund des Imperators von Arkon ist es eine andere. Jeder Terraner weiß, daß Arkoniden 'degeneriert' sind. Aber was heißt das?

Es heißt (und ich kämpfe hier gegen den die alte Unigewohnheit an, eine Abhandlung über das Thema zu schreiben) daß die meisten dieser Häuser leerstehen. Daß jeder Arkonide, der geboren wird, in seinem Leben nicht einen Tag arbeiten muß. Daß jeder einzelne Bewohner Arkons in einem Luxus lebt, der auf Terra Privileg der wirklich Reichen ist. Man kann sein Leben im Bett verbringen, und es gibt keinen einzigen verdammten Grund, es nicht zu tun - außer auf Partys zu gehen, denn Arkoniden, wie Terraner auch, haben ein Bedürfnis nach anderen ihrer Art.

Der Grund, daß sie so leben können, sind die Roboter. Sie besorgen nicht nur die Arbeit, sondern auch die Organisation, das Denken und Planen, und wollen nichts dafür.

Vom Standpunkt des Individuums aus ist es ein perfektes System. Und Atlan hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Perfektion zu zerstören, das Überleben des Volkes ist ihm wichtiger als das Glück des Individuums. Kein Wunder, daß sie ihn umbringen wollen.

Atlan faßte sich kürzer als einer meiner Professoren. Als er mit seinem Überblick fertig war, stellte ich trocken fest: "Sie sind in Schwierigkeiten."

"Sie haben eine bemerkenswerte Gabe, das Offensichtliche auszusprechen. Eine Eigenschaft, die ich an euch Terranern immer bewundert habe."

"Wollen Sie mich deswegen hier haben? Weil ich das Offensichtliche ausspreche?"

Er zündete sich eine Zigarette an und ließ das Päckchen auf dem Tisch liegen. Ich bediente mich selber. "So amüsant das ist" sagte er, "nein. Laut Ihrer Akte sind Sie Empathin und Antihypnotin?"

"Korrekt. Was wollen Sie von mir?"

"Sie sollen mir sagen, wem ich trauen kann."

Ich nehme an mein Grinsen wirkte nicht sehr heiter. "So schön hat mir noch keiner gewöhnliche Sicherheitsüberprüfungen verkauft."

"Sagte ich 'gewöhnlich'? Ich brauche nicht noch einen fleißigen, gewissenhaften Terraner der sich durch sechstausend Jahre positronischer Datenbanken wühlt."

Ich machte mein 'oh, wirklich?'-Gesicht.

"Was ich brauche, ist jemand, der am Hofe herumhängt und mir sagt, wer von den dreihundert Leuten um mich rum als nächstes auf mich schießen oder irgend eine alberne Todesfalle im Durchgang zum Thronsaal aufbauen wird. Oder, die Götter mögen uns helfen, plant, aus Protest gegen meine Regierung Arkons Sonne in eine Nova zu verwandeln."

Ich war beeindruckt. "DAS hat jemand versucht?"

"Sie sind in der Planungsphase hängengeblieben. Nicht genug Organisationsvermögen, um ein Picknick zu veranstalten, aber Gerätschaften haben, die Sonnen sprengen können."

Ich nickte ehrfürchtig.

"Wenn Ihnen diese Art von Job zu schwierig oder zu gefährlich ist, werde ich bestimmt auch etwas anderes für sie finden-"

"Vergessen Sie's. Der Job gefällt mir."

Atlan nickte als hätte er nichts anderes erwartet. "Ich habe Sie für morgen 0930 bei meiner Sicherheitschefin, Tazli von Angran, angemeldet. Sie wird Ihnen die große Tour geben. Melden Sie sich um 1600 bei mir im Büro."

Keine große Überraschung, daß er schon jemand für die Sicherheit hatte. Wenn das mal keine gekränkten Egos gab.

"Wo ist eigentlich mein Hofstaat hin?" fragte ich.

"In einer der Suiten für mindere Dignitäten, wenn ich mich recht erinnere."

Die Armen.

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Die Nacht war kurz. Ich stand um 0600 auf, tobte mich ein bißchen aus - diese großen Räume *waren* zu etwas gut - duschte lange, und bestellte mir dann ein ausladendes Frühstück. Blöde Idee. Die Arkoniden waren *wirklich* degeneriert. Die Lebensmittel waren alle synthetisch und schmeckten wie eingeschlafene Füße. Also Kaffee und Saft. Der Saft war genausogut wie in meiner Erinnerung. Um 0800 ließ ich meine Dienerschaft aus den Kojen klingeln und erklärte ihnen kurz den neuen Stand der Dinge. Es lief darauf raus, daß sie meinen Terminkalender in Ordnung halten sollten, Besucher beeindrucken, und aufpassen, daß mich keiner umbrachte. So dackelte Maj mir also nach, als ich bei Tazli von Angran auftauchte.

Die arkonidische Sicherheitschefin war klein - kleiner als ich - aber silberhaarig mit rotgoldenen Augen und bronzefarbener Haut: kein gemischtes Blut hier. Sie bewegte sich wie eine satte Katze, als sie aufstand und mir nach terranischer Art die Hand schüttelte.

"Solveig Jamieson, terranisches Mutantenkorps," stellte ich mich vor.

"Tazli von Angran, Sicherheitsdienst seiner Majestät des Kaisers."

Wir tauschten eine Weile Höflichkeiten aus, dann gab sie mir die 'große Tour'. Sicherheitsprotokolle, Kontrollpunkte, Notfallpläne. Am Ende kamen wir in eine gewaltige Rechnerzentrale, wo man den Rechnerpark des HQ in Terrania bequem in einer Ecke hätte verstecken könnte. "Das Herzstück des Ganzen," sagte Tazli, aber unter ihrer großen Barbaren-beeindrucken-Geste hörte ich ihren Zweifel. Sie mochte das Ding nicht, und sie sagte in dem Raum nichts, was einen paranoiden Roboter auf irgendwie dumme Gedanken hätte bringen können. Wir verließen die Zentrale durch einen Nebengang, als eine Sirene losheulte und ein irrwitziges Arsenal an Lichtern zu blinken begann. "Und das," sagte Tazli nüchtern, "ist ein Großalarm."

Ich folgte ihr durch eine Wandtür und einen Kurzstreckentransmitter in einen Raum, der von Fernsehschirmen eingenommen wurde. Tazli schaute auf ihr Ortungsgerät. "Bereich Rot 3... Ebene Beta..." Die Bilder wechselten. Ich sah Explosionen, kriegte einen Maßstab. "Ein Roboter," sagte ich.

"Näher ran!"

Auf dem Schirm erschien einer der Wachroboter des Palastes, angestrichen in dezentem Rot und aus allen Rohren ballernd. "Vektor!" bellte Tazli. Ich interpretierte die aufgeblendete Karte aus der Erinnerung. "Richtung Thronsaal... Da."

Tazli nickte. "Sicherheitsschleuse Rot 3 Beta 4 schließen... verdammt!" Die Tür war zu langsam. Zu lange Codes, dachte ich. Tazli war offenbar der gleichen Ansicht und schlug blind auf ein paar Knöpfe. Vor dem Roboter baute sich ein Energiefeld auf. "Hat ihn."

Der Roboter ballerte auf das Energiefeld. "Hält das?" fragte ich.

Tazli begann ein paar Zahlen zu rezitieren, aus denen hervorging, daß das Energiefeld selbst dann halten würde, wenn der Roboter sich zur Selbstzerstörung entschließen sollte - "aber unglücklicherweise steht zu befürchten, daß er uns diesen Gefallen nicht tut."

"Warum Gefallen?" fragte ich. Ich hatte da so eine Idee, aber ich wollte nicht wild herumtheoretisieren.

"Der Imperator empfängt im Thronsaal gerade Abgeordnete der ghalassischen Föderation," sagte Tazli. "Aviniden. Sehr schreckhaft. Seine Majestät versucht sie davon zu überzeugen, daß ihnen auf Arkon keine Gefahr droht."

Ich mußte lachen. Tazli sah mich irritiert an. "Ich kann es kaum erwarten, mir den Typen vorzunehmen, der das hier inszeniert hat," erklärte ich. "Es hat Witz."

"Terraner!" schnaubte sie.

Ich bemühte mich, wieder konstruktiv zu werden.

"Können wir ihn abschalten oder abschießen?"

Sie schüttelte den Kopf. "Es ist eine autonome Einheit. Und er sendet eine Freund-Kennung."

"Welche Frequenz? Kann man sie stören?"

"Nein. Sicherheitsgründe."

Argh. "Na gut, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt... Die Kampfroboter sind doch immer noch zentral gesteuert, oder? Können wir IHRE Freundkennung ändern?"

Tazli begann, Befehle zu geben, war ungeduldig mit der Geschwindigkeit des gesprochenen Wortes - Umstellen der Kommandosprache auf Interkosmo oder Angloterranisch, vermerkte ich mir im Stillen - und begann, auf die Steuerungstasten einzuhacken. Da sah ich ein Problem auf mich zu kommen: Viele der Farbcodierungen waren im Blaubereich und für Terraner kaum zu unterscheiden.

"Los!" sagte Tazli abschließend. Zwei Kampfroboter betraten den Korridor. Auf einem anderen Schirm sah ich, wie der Imperator sich von den ghalassischen Gesandten verabschiedete. "Geht das ein bißchen schneller?"

"Codierung überspielen..." murmelte Tazli.

Die Kampfroboter hielten für einen kurzen Moment inne, sahen dann die Szene vor sich (der Wachrobbie schoß immer noch um sich) mit ganz neuen Augen und begannen, auf den roten Roboter zu feuern.

Im Thronsaal wandte sich die Delegation zum Gehen. Tazlis Augen tränten leicht.

"Wie wäre es mit einem Spaziergang durch die Gärten?" fragte ich.

Tazli kapierte, was ich meinte und zog sich ein Mikro rüber. "Tevallin, bringen Sie unsere Gäste durch Pforte F raus... Danke."

Ein Jüngling, der bisher im Hintergrund herumgelungert und gut ausgesehen hatte, trat vor und sagte etwas zu den buntgefiederten Gästen. Mehr Gerede. Mehr Getue. Mehr ruckhaftes Kopfnicken. Die Delegation ließ sich von dem Jüngling durch eine Nebentür aus dem Thronsaal führen. Der amoklaufende Robbie explodierte. Zum Glück hielten die Schilde, was Tazli versprochen hatte, aber das Stück Gang war ein Fall für die Rundumerneuerung.

"Wilkommen auf Arkon," sagte Tazli trocken.

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Um 1600 stand ich bei Atlan im Büro.

"Wie gefällt Ihnen ihr erster Arbeitstag?" fragte er.

"OK soweit," sagte ich.

Er verkniff sich ein Grinsen. "Schreiben Sie einen Bericht und dann wiederholen Sie das."

Ich kniff die Augen zusammen. "Sie versuchen wirklich, meine unverwüstliche gute Laune zu verderben, Majestät?"

Er machte eine Geste als wollte er die Katze vom Milchtopf scheuchen. "Na, gehen Sie schon."

Nur die harten komm'n in'n Garten, dachte ich, als ich ging, und pfiff mir eins, nur um zu zeigen, wie wenig mir das alles ausmachte.

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Den Rest des Tages verbrachte ich im Labor, wo die Überreste des Robbies untersucht wurden - ohne Ergebnis - und mit dem Schreiben eines Berichtes in landesüblicher vierfacher Ausfertigung. Ich erwischte mich dabei, Teile wegzulassen, weil das Formular keine Angriffe durch sich unprogrammgemäß verhaltende Wachroboter vorsah, schrieb alles noch mal - andere Formulare, noch ein Punkt - und setzte dann ein kurzes Memo an Atlan auf, der bestimmt besseres zu tun hatte, als sich durch den ganzen Bericht zu ackern.

Um Mitternacht tauchte Atlan in meiner Suite auf.

"Wir müssen aufhören, uns so zu treffen," sagte ich. "Die Leute reden."

Atlan verwendete ein paar ausgewählte altarkonidische Ausdrücke um klarzumachen, was 'die Leute' ihn konnten.

Wir tranken einen Kaffee und redeten über Kleinkram, Tratsch von Terra und so was. Ich kriegte das Gefühl, daß Atlan eine Abwechslung von all den ehrerbietigen Leuten um ihn rum brauchte.

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So läpperten sich die Tage zusammen, wurden Wochen. Ich machte mich mit den Systemen und den Leuten vertraut. Tevallin, der weder so jung noch so geistesabwesend ist, wie er erscheint, ist Atlans Assistent und Leibwächter (einer von mehreren). Cerwath von Astrien ist Kommandant der Palastwache, Halwegar Rinthorn ist der obligatorische Rechnerfritze. Plus Tazli als Sicherheitschefin und mir hatten wir den Job, Atlan gesund und munter zu erhalten.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind beeindruckend, aber ich entdeckte ein paar Haken. Der erste, über den auch Tazli ausgiebig klagte, war, daß Atlan sich weigerte, in einem goldenen Käfig zu leben. Nicht nur, daß er darauf bestand, sich im Garten aufzuhalten, nein, er besuchte Partys, pflegte persönlichen Kontakt mit Abgesandten der Kolonial- und verbündeten Welten, und, Höhepunkt des Leichtsinns, zeigte sich bei öffentlichen Anlässen dem Volke (soweit die von ihren Fiktivschirmen hochkamen). Ich kannte das: Das Hauptproblem beim Personenschutz sind immer die Personen, die sich partout nicht so verhalten wollen, daß man sie schützen kann. Wenigstens suchte Atlan sich, anders als Rhodan, nicht gezielt die gefährlichsten Missionen im Quadranten aus.

Der zweite Haken waren die Roboter. Es stimmt zwar, daß Menschen sich leichter täuschen lassen als Automaten, aber dafür fallen künstliche Gehirne auf Tricks rein, die ein halbausgewachsener Schimpanse durchschauen würde. Dazu kommt, daß sie arkonidische Robotik zwar hochentwickelt ist, aber die meisten dieser Entwicklungen schon in biblischer Zeit Staub angesetzt hatten. So kann jeder, der sich die Mühe macht, sich aus öffentlich zugänglichen Quellen auf den neuesten Stand arkonidischer Kybernetik bringen - anders als auf Terra, wo Versuche, Regierungsrobbies zu sabotieren, meist schon daran scheitern, daß ihre Funktionsweisen nur wenigen bekannt sind.

Der übelste Fehler aber ist eine Sicherheitsmaßnahme, die die Integrität des Wachsystems mittels der Verhaltenskonsistenz seiner Elemente prüft. Das heißt im Klartext, wenn eine unvorhergesehene Situation auftritt, wird das System wahrscheinlich alle Elemente, die kreativ auf die Situation reagieren, isolieren.

Ich überzeugte Halwegar, mir eine komplette Systembeschreibung und Rechnerzeit auf einem der Hauptrechner zu geben, der nicht mit den anderen Systemem kommunizierte. Wenn ich Zeit habe, werde ich mal eine Komplettsimulation schreiben und mit ein paar Angriffsplänen herumspielen.

Außerdem fand ich den Verantwortlichen für den Roboterzwischenfall. Elementare kriminalistische Arbeit - die Funkprotokolle zeigten, daß der Robbie von einem Signal getriggert worden war, das zu kurz war, um die nötige Umpropgrammierung vorgenommen zu haben. Also ging ich jeden durch, der seine ungewaschenen Finger an diesem Roboter gehabt hatte, und landete so bei einem Servicetechniker von Ryleh. Durchforsten und Korellieren der Datenbanken ergab, daß Ryleh nicht gerade das begeisterte Mitglied des arkonidischen Imperiums war, und Thrii, der Techniker, nicht gerade der Typ, sich damit abzufinden. Er hatte einfach den Ghalassianern andeuten wollen, daß man sich besser nicht mit Arkon assoziierte.

Ich schrieb einen Bericht.

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Am 26. April terranischer Zeit bekam ich ein Päckchen auf meinen Schreibtisch. Cyrano, der inzwischen als mein Sekretär fungiert, hatte es nach allen Regeln der Kunst durchleuchtet, so daß ich es eher verwundert als besorgt auspackte. Es enthielt ein teures Parfum und ein Dankschreiben von Herrn Katz, der sich für 'Rat und Unterstützung' bedankte. Es blieb nicht bei diesem einen. Herr Katz machte offenbar kein Geheimnis daraus, wer ihm geholfen hatte. Am 29. April erschien ein höchst distinguierter Herr, der einen Technikkonzern vertrat, und bat mich, ihm ein Gespräch mit dem zuständigen Arkoniden zu vermitteln. Ich informierte ihn, daß er besser mit dem zuständigen Zaliter sprechen sollte, und er schickte mir eine Flasche edlen Likör. Wenige Tage später kam ein Typ von TTV, der fürchtete, einen Arkoniden beleidigt zu haben, der ihm jetzt einen Killer auf die Hacken gesetzt hatte. Ich besprach mich kurz mit Tevallin und konnte dem TTV-Menschen dann versichern, daß der Arkonide lediglich seine Nachfahren bis ins fünfte Glied verflucht hatte. Er lud mich zum Essen ein. Netter Kerl.

Terranisch gesehen sollte ich all diese Sachen nicht annehmen, aber arkonidisch gesehen muß ich. Atlan, den ich nach der angemessenen Etikette in dieser Sache fragte, meinte: "Lassen Sie sich schenken, was immer sie wollen, aber nehmen Sie keine Bezahlung an. Es schadet nie, Freunde zu haben."

Ich erwartete, daß die Menge an Post auf meinem Schreibtisch stetig zunehmen würde, und bemerkte Ende Mai, daß sie es nicht tat. Das wunderte mich, und ich erschien am 1. Juni noch vor dem Frühstück in meinem Büro und stellte fest, daß Cyrano meine Post sortierte.

Ich erklärte ihm höflich, daß er das in Zukunft zu unterlassen habe und schrieb anschließend ein Memo an Mercant, daß seine Leute die Finger von meiner Post lassen sollten. Ich schickte es nicht ab, sondern bastelte einen kleinen Sniffer, den ich in die Postverteilungroutinen hängte. Seither kann ich jeden Morgen beim Frühstück abrufen, wie viele Briefe mich später in meinem Büro erwarten. Bis jetzt stimmt die Anzahl.

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Arkon ist, naja, interessant. Was mir am meisten fehlt, sind Fenster und das Wetter. Was mir am meisten gefällt ist, Tag für Tag Kontakt mit exotischen Leuten zu haben, mein Gehirn auf schwierige und komplexe Probleme loszulassen, und eine Person von Rang und Namen zu sein - UND eine terranische Barbarin. Es *gefällt* mir, daß haufenweise Leute mir Gefallen schulden, daß der terranische Botschafter und die Hälfte der Hofschranzen mich für einen Reiter der Apokalypse halten, daß ich es bin, zu der die einflußreichen CEOs terranischer Konzerne rennen, wenn sie nicht weiter wissen, und mit der ihre Sekretärinnen in der Kaffeküche schwatzen.

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Was mir weniger gefällt, ist daß ich heute eine Briefbombe in meinem Postkorb hatte. Der Sniffer hat gute Dienste geleistet, der überzählige Brief fiel mir sofort auf. Ich schmiß mich hinter meinen Terkonit-Aktenschrank, als die Bombe, die offenbar von meinen Individualschwingungen gezündet wurde, hochging, und kriegte nur ein paar Beulen und Kratzer ab. Jetzt kann ich natürlich das blöde Büro neu einrichten. Cyrano ist bestimmt froh, daß er es aufgegeben hat, mit meiner Post rumzuspielen. Ich ließ mir die Logfiles der Postanlage in die Krankenstation schicken. Jemand hatte sich offenbar eine Hintertür gebaut, um nach Belieben Postsendungen in den Palast einzuschleusen. Ich veranlaßte, daß alle Sendungen, die auf diesem Wege reinkamen, in Tazlis Hochsicherheitslabor landeten.

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Ganz plötzlich war es Weihnachten und Zeit für meinen Jahresurlaub. Fast alle Terraner fahren Weihnachten nach Hause, also tat ich das auch. Wir hatten eine große Weihnachtsparty in Imperium Alpha, tauschten den neuesten Tratsch aus, und danach fuhren Betty und ich für eine Woche nach Hawaii und rissen Surferknaben auf. Ich hatte die ganze Zeit vor, mal bei Cory und Jo vorbeizugucken, aber am 30. Dezember kam eine Nachricht, daß sie auf Arkon den Absender der Briefbomben erwischt hätten, und er offenbar in Verbindung mit Terra stünde, also sitze ich heute, am Silvesterabend, in einem Linienschiff nach Arkon, Touristenklasse, weil irgendwelche Schnösel die erste Klasse für eine Party gebucht haben. Noch zwei Minuten bis Mitternacht. Noch eine.

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Frohes Neues Jahr.

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© inge 1999