A day in the life: 22.10.1989, Samstag, Terrania

Ich habe mir überlegt, an ein paar ganz normalen Tagen einfach aufzuschreiben, was ich tue. Wie ich lebe. Die Welt ändert sich so schnell - in zehn oder fünf oder zwei Jahren könnte 'Heute' schon unglaublich weit weg sein. Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, aber heute ist Samstag und ein guter Tag, um damit anzufangen.

Also.

Ich bin um 6 aufgestanden, wie ich es für gewöhnlich tue. Samstag müßte ich nicht, aber ich bin zu faul, den Wecker umzustellen, außer ich hatte Freitag abend Halligalli, und das hatte ich nicht mehr, seit Lissa zuletzt da war.

Um sechs ging also mein Wecker. Ich habe ihn auf Radio gestellt, und so weckte mich heute ein ganz und gar unbemerkenswerter Schlager. In meinem ersten wachen Gedanken sang eine Frau auf Hindi. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber aus der nach Osten gehenden Fensterfront meines Schlafzimmers im 23. Stock eines dieser topmodernen Hochhäuser in Terrania-Mitte sah ich schon die Dämmerung am Horizont über die Gobi kriechen, die in diesem Licht weiß ist, mit Millionen von Sternen darüber. Auf dem Raumhafen weit im Süden konnte ich die STARDUST II und die TITAN groß wie Berge aufragen sehen. Meine Fenster lassen sich nicht öffnen. Das Außenthermometer zeigte -6 Grad.

Ich schaltete das Licht nicht an, als ich meine Sport- und Schwimmsachen aus dem Schrank holte, meinen Bademantel anzog (der grün ist - das ist zwar eklatant unwichtig, aber es fällt mir gerade ein) und zum Aufzug ging.

Ich trag Mr. Sahun im Aufzug. Er arbeitet am Tower des Flughafens von Terrania und hat Samstags Dienst. Er weiß nicht, was ich tue, nimmt aber an, daß ich auch für Terra arbeite. Die meisten Leute, die im Haus wohnen, tun das. Vom MK wohnt außer mir noch Gregor Tropnow hier. Manchmal treffe ich ihn morgens, aber im Moment ist er bei einem Einsatz. Er ist ein Hypno, und es ist einer seiner Jobs, Undercoveragenten auf Planeten außerhalb des Terranischen Einflußgebietes alte Bekannte, die sich an sie erinnern, zu verschaffen, da kommt er viel rum.

Ich fuhr jedenfalls in den Keller, wo die Sportanlagen sind. Um diese Zeit habe ich sie meistens für mich. Ich lief ein paar Runden, um mich aufzuwärmen, machte ein bißchen Krafttraining und schwamm ein paar Bahnen. Ich mache das jeden Morgen, ich gehe außerdem regelmäßig zum Karate und trainiere auf der Schießbahn. Es ist zwar für eine Mutantin nicht so wahrscheinlich, tatsächlich irgendwo ein vorderster Linie zu stehen, aber ich hätte es sehr ungern, wenn der unwahrscheinliche Fall einträte und ich dastünde wie ein Sesselfurzer. Schlimm genug, daß die Space Marines einen auf Einsätzen behandeln als würde man kaputtgehen, wenn einer hustet.

Gegen sieben kam Mrs. Wong herunter. Ihr Mann ist Major auf einem Städtekreuzer und wenig zu Hause. Sie tröstet sich mit Hausfreunden und teuerer Garderobe. Wir redeten ein wenig, übers Wetter und über den jungen Allen Berwath, nichtsnutziger Sohn eines stinkreichen Vaters, der regelmäßig rauschende Partys in seinem Apartment abhält, deren Gäste dann nachts um 3 im Hausflur gröhlen.

Um halb 8 frühstückte ich und las die Morgenzeitung. Ich frühstückte Joghurt und Früchte und Kaffee. Muß ein bißchen auf meine Figur achten. Die Schlagzeilen schrien Erfolge. Verhandlungen mit Rußland. Mit Australien. Burma hatte sich der Dritten Macht zugehörig erklärt. Ich erinnerte mich an Burma aus einem Kipling-Gedicht und sah es im Atlas nach. Auf einer Messe war eine Positronik für den Hausgebrauch vorgestellt worden. Als wenn irgend jemand so ein Ding brauchen würde. Mercedes-Benz kündigt an, nächstes Jahr einen serienmäßigen Antigrav-Gleiter auf den Markt zu bringen. Mal gucken, ob ich mir den leisten kann, wenn er kommt.

Ich verdiene 50 Solar im Monat. Davon zahle ich knapp 16 Steuern, etwa ein Drittel. Mein Vater in Schweden zahlt das Doppelte. Sozialabgaben zahle ich als Mitglied des Mutantenkorps keine. Die Miete beläuft sich auf 10 Solar, das ist ziemlich viel, aber das Haus ist auch extrem schnieke und ich kann's mir leisten. Das läßt mir 24 Solar zum verjubeln.

Ich trage in meiner Freizeit Jeanshosen und T-Shirts und Turnschuhe. Eine solche Ausstattung kostet 2 Solar. Markenklamotten. Ein Taschenbuch kostet 10 Soli. Ein Abendessen in einem anständigen Lokal 25 Soli, Getränke extra. Der Mercedes soll um die 1000 Solar kosten.

Um neun war ich fertig mit Frühstücken und Zeitunglesen und fuhr ins HQ. Ich mache das gewohnheitsmäßig auch Samstags, nur um zu gucken, ob irgendwas neues auf meinem Schreibtisch liegt. An Werktagen bin ich für gewöhnlich um 8 bei der Arbeit, wenn nichts besonderes anliegt, und lese die Zeitung in der Mittagspause, wenn ich überhaupt dazu komme.

Inzwischen war es Tag, die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel. Das Thermometer zeigte immer noch Minusgrade, aber die Rollsteige verlaufen überwiegend unterirdisch oder in Tunnels, in denen die Lufttemperatur um diese Zeit 18 Grad betrug. Die Tunnels sind überall mit Pflanzen dekoriert, deren Namen ich irgendwann einmal lernen will. Die Wüste draußen ist hellbraun und gelb und grau, und der Himmel so blau wie ein Saphir. Der Wind, der den Staub in die Luft treibt und dem Himmel die gleiche Farbe gibt wie der Wüste, war noch nicht aufgekommen.

Im HQ grüßte mich Olaf, der Pförtner, freundlich. Er ist aus Deutschland. Auf meinem Schreibtisch lag eine Anfrage, ob ich nach Mars City hinausfliegen könnte und zwei Leute scannen, die möglicherweise telepathisches Talent hätten, und eine Nachfrage zu meinem letzten Bericht - einem Spionagefall auf einer Springerwelt. Ich beantwortete die Frage und schob den Umschlag in die Hauspost.

Es war 12, als ich mein Büro verließ. Auf dem Gang traf ich John. Wir redeten ein bißchen und gingen zusammen Mittagessen in einem thailändischen Restaurant, wo künstliche Vögel im Bambuskäfigen sangen. Sein Schreibtisch quoll natürlich über. Er erzählte etwas von Evert IV, einer neuentdecken Welt, etwa dreihundert Lichtjahre entfernt, erdähnlich. Ein Team sollte sie untersuchen und feststellen, ob es eingeborenes Leben gab oder ob man sie zur Besiedlung in Betracht ziehen konnte. Ob ich Interesse hätte, bei dem Team zu sein? Gerne, sagte ich. Ich bin gerne unterwegs.

Dann kehrte er an seinen Schreibtisch zurück, und ich machte mich auf meinen samstäglichen Stadtbummel. Mein Lieblingsladen ist einer für alte Taschenbücher. Sie haben haufenweise vor-Raumfahrt-Science Fiction. Ich entdeckte 'A Different Light' von Elizabeth Lynn, was ich irgendwann in der Abschlußklasse Nikki, meinem damaligem Freund, geliehen habe und dann nie wiedergesehen. Ich kaufte es. Schöne Universen machen mich immer sentimental. Außerdem kaufte ich mir einen bunten Wollpullover, was natürlich eine blöde Idee war, weil ich in Terrania so etwas ohnehin nie trage. Trotzdem kaufe ich jeden Herbst einen und schicke ihn dann meiner Mutter oder Lissa zu Jul. In der Zwischenzeit freue ich mich daran.

Lebensmittel werden ins Haus geliefert, also kaufe ich keine.

Gegen vier war ich wieder zu Hause. Im Fernsehen kamen nur Soaps und japanische Zeichentrickfilme, also kochte ich mir einen Tee und verzog mich mit meinem neuen/alten Buch in eine Sofaecke.

Um 19:30 guckte ich die Nachrichten auf TTV 1, anschließend kam 'Das Fenster zum Hof'. Ich schob mir ein Essen in die Kücheneinheit und aß beim Fernsehen. Diese Essen sind enorm praktisch. Man kann sie Monate im Schrank aufbewahren, schiebt sie einfach in die Kücheneinheit, zieht die Folie ab und fertig. Die leeren Behälter wirft man weg.

Ich glaube, es war der Film, der mich auf die Idee gebracht hat, das hier zu schreiben.

Was könnte noch interessant sein?

Meine Wohnung hat drei Zimmer, eine Küche/Eßzimmer, wo ich frühstücke, schreibe und Zeitung lese, ein Wohnzimmer, wo das Sofa und der Teetisch und das Bücherregal stehen, und der Schrank mit dem guten Geschirr, das mir zu schenken meine Mutter unbedingt nötig fand, und die Vitrine mit dem Whiskey. Dann habe ich noch ein Schlafzimmer mit einem Bett, das groß genug für zwei wäre, aber ich lebe sehr anständig. Ich bin vor einem halben Jahr in diese Wohnung eingezogen, weil ich dem Himmel näher sein wollte. Die Einrichtung ist blau und grau und weiß, aber an den Wänden hängen Film- und Comic- und Bandposter und stören den gepflegten Eindruck nach Kräften. Ich habe eine Stereoanlage, auf der ich gerne laut Musik höre und die Größe der Räume ausnutze, um wild herumzutanzen.

Jetzt ist es elf Uhr durch und ich sollte langsam schlafen gehen.

War das ein typischer Tag? Ich weiß nicht. Letzes Wochenende war ich mit Ishi in Tokyo auf einem Michael-Jackson-Konzert, und am Sonntag waren wir shoppen wie die Wilden. Tokyo ist klasse. Unglaublich wuselig. Und vor zwei Wochen war ich mit Betty in Kaschmir zum Skilaufen. Und nächstes Wochenende packe ich für eine Tour nach Evert IV und komme wahrscheinlich erst Ende dieses Jahres zurück.

                         

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